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Journal 2023

Die Violinistin Patricia Kopatchinskaja

(16.10.2023) Gestern und heute mehrere Videos über und mit der wunderbaren moldauisch-österreichisch-schweizerischen Violinistin Patricia Kopatchinskaja angeschaut. Technisch absolute Weltklasse, im Ausdruck und ihrer Leidenschaft kenne ich nichts vergleichbares. In starkem Kontrast zu - na ja - vergleichbaren Stargeigerinnen erscheint Kopatchinskaja im ersten Moment nahezu bieder: Fast ungeschminkt, keine extravagante Kleidung, meist barfuß, nicht sexualisiert. Aber wehe, sie fängt an zu spielen - sofort ist man gebannt und überwältigt von dieser Leidenschaft.

Einige besonders schöne Videos:

Und selbstverständlich sollte man sich die Webseite von Patricia Kopatchinskaja anschauen, auf der so manches ungewöhnliche zu entdecken ist.

Karl Ove Knausgård - "Sterben"

(7.10.2023) Dieser immerhin 575 Seiten umfassende Roman des hochgelobten und in mehr als 30 Sprachen übersetzten Autors hat bei mir wenig mehr als ein Achselzucken erzeugt. Knausgård schildert in diesem autofiktionalen Text seine Kindheit und Jugend (teils minutiös und ausführlich, teils mit großen Auslassungen) sowie sein schwieriges Verhältnis zum Vater, samt Beschreibung seiner Reaktion auf den Tod des Vaters. Wenn man diese Themen so umfangreich beackert, will man sicherlich nicht nur die (erhoffte) Neugier eines (erhofften) Publikums befriedigen, sondern eigene Lebensprobleme, eigene Idiosynkrasien verstehen, vielleicht auch überwinden. Falls das schwierige Verhältnis zum Vater Knausgård wirklich so entscheidend vorkommt, fragt man sich, warum er dann auch sein Verhältnis zu anderen Personen so weitschweifig erzählt. Man könnte auch fragen, warum er dann auch schon über sein Leben als Schriftsteller, als Ehemann und Vater so viel erzählt. Man könnte noch weitergehend fragen, warum so umständlich immer wieder beschrieben wird, wie er Tee kocht, wie er putzt, wie er eine Zigarette anzündet und so weiter. Dass er sein erstes sexuelles Erlebnis mit einem Mädchen sehr ausführlich erzählt, das kann man ja noch verstehen, da genießt man es ja fast noch einmal, alles andere empfand ich schlicht als zu geschwätzig. Für eine (Auto)Biografie, die radikal ans Eingemachte gehen soll, bringt dieser Text eindeutig zu wenig. Er will offenbar radikal sein, aber das wenige, was man so interpretieren könnte, haben andere Autoren besser beschrieben.

Karl Ove Knausgård - Sterben

Der norwegische Originaltitel "Min Kamp" ("Mein Kampf") war wohl bewußt provozierend gewählt und ging für ein norwegisches Lesepublikum auch noch durch. Für die deutsche Übersetzung war dieser Titel natürlich nicht zu halten. Statt dessen den Titel "Sterben" zu wählen, trifft den Inhalt des Buches aber nicht, da hätte man auch "Bekenntnisse eines Trinkers" oder "Zauber der ersten Liebeleien" nehmen können.

Insgesamt also ein eher durchschnittliches Buch, welches ich nur fertiggelesen habe, weil ich ein eigenes autobiografisches Projekt am Laufen habe und dafür auch andere Lebensbeschreibungen studiere.

Steffen Hantke - "Raumpatrouille Orion"

(05.07.2023) Diese 2023 erschienene Veröffentlichung der "Landeszentrale für politische Bildung Thüringen" kann ebendort kostenlos und portofrei bestellt werden. Der Autor Steffen Hantke (Professor für Amerikanistik an der Sogang University in Seoul) hat schon eine lange Reihe von Büchern und Aufsätzen zu zeitgenössischen und populären Themen und Genres wie Science Fiction und Horror in Literatur, Kultur und Film vorzuweisen. Diese 39-seitige Veröffentlichung ist seine zweite zum Thema "Raumpatrouille Orion". Mit etwas Aufwand kann man auch seinen Aufsatz "Raumpatrouille: The cold war, the 'Citizen in Uniform' and West German Television" (Science Fiction Studies, Vol. 31, No. 1 (Mar., 2004), pp. 63-80) via Internet finden; dieser ältere Aufsatz ist im Ton etwas akademischer gehalten und inhaltlich etwas dichter. Womit nichts negatives über die Veröffentlichung der "Landeszentrale" gesagt werden soll.

Steffen Hantke, Raumpatrouille Orion

Ich habe den Aufsatz mit großem Interesse und viel Gewinn gelesen. Die sieben Raumpatrouille-Sendungen (erste Folge am 17.9.1966, siebte und letzte Folge am 10.12.1966) habe ich alle gesehen, aber als damals 13-Jähriger naturgemäß unter anderen Vorzeichen goutiert. Vor etwa zehn Jahren habe ich mal eine Folge auf YouTube angeschaut, empfand das ganze allerdings als doch stark gealtert, wenngleich einige Eigenheiten (die Tänze im Starlight-Casino!!) schon herrlich waren. Commander Cliff Allister McLane als Gegenfigur zum deutschen Militarismus samt Kadavergehorsam war für mich (mit 13) noch kein Thema, wäre es aber sehr wohl einige Jahre später nach dem Einberufungsbescheid zur Bundeswehr und der anschließenden Vorbereitung auf die damals so genannte "Kriegsdienstverweigerung" gewesen. Das neue Leitbild "Bürger in Uniform" habe ich nie ernst nehmen können.

Das Inhaltsverzeichnis benennt die behandelten Themen:

Ich kann die Broschüre nicht nur den Raumpatrouille-Fans unbedingt empfehlen. Man erfährt viel darüber, wie sich große Politik in populären Genres widerspiegeln kann. Die auffallend hohe Zahl an Grammatik-Fehlern und Buchstabendrehern muss man halt ignorieren.

Navid Kermani - "Einbruch der Wirklichkeit. Auf dem Flüchtlingstreck durch Europa"

(04.06.2023) Die "Flüchtlingskrise in Europa 2015/2016" (Wikipedia) führte 2015 und 2016 zu jeweils rund 1,3 Millionen Asylbewerbern (meist aus Syrien, Afghanistan und dem Irak) in der Europäischen Union, von denen die meisten in Deutschland unterkamen. Politisch, sozial, wirtschaftlich hatte diese Krise massive Auswirkungen, auch wenn unterm Strich Deutschland eine gute Figur machte.

Navid Kermani, Einbruch der Wirklichkeit

Natürlich musste der "Spiegel" auch über die Fluchtbedingungen und -gefahren auf dem langen Weg nach Deutschland einen Artikel bringen. Dieses Buch ist die stark erweiterte Fassung des Spiegel-Artikels vom 11.10.2015, für den der Autor Navid Kermani und der Fotograf Moises Saman im Auftrag des Spiegels vom 24.9.-2.10.2015 einer typischen Flüchtlingsroute in umgekehrter Richtung bis Izmir gefolgt waren. Eine Woche Zeit für diese weite Reise, die Vorbereitungen, das Aufsuchen nicht unbedingt leicht zu erreichender Örtlichkeiten, die Suche nach geeigneten Ansprechpartnern - das ist auch für Profis eine Herausforderung. Das Ergebnis ist zwar beeindruckend und dem auch persönlichen Engagement (als Ergebnis der Betroffenheit) der Autoren zu danken, aber die Analyse der Ursachen und das Aufzeigen von denkbaren Lösungen (wenn überhaupt möglich...) kommt zwangsläufig etwas zu kurz.

Der Text springt etwas unmotiviert hin und her, von Lesbos nach Budapest, dann nach Sid, wieder nach Lesbos, dann nach Belgrad und so weiter. Insgesamt werden die wichtigen Hotspots aber knapp und gut vorgestellt, die wichtigeren davon sind:

Kermani findet deutliche Worte zum Zusammenhang des vorgefundenen Elends mit den Asylrechten der europäischen Länder:

"Indem es alle Flüchtlinge in die Schlauchboote und auf tagelange Fußmärsche zwingt, betreibt das europäische Asylrecht ungewollt eine Auslese der körperlich Starken und übrigens auch der Bedürfnislosen, also der Armen, die an bürgerlichen Komfort nicht gewöhnt sind."[S.12]

"Die europäischen Asylvereinbarungen sind nichts anderes als eine massive staatliche Förderung der Schlepperindustrie"[S.46]

Was sagen die Flüchtlinge selbst, warum sie kommen, was erwarten sie?:

An die Schlepper (für die Schlauchboot-Überfahrt von der türkischen Küste nach Lesbos) zahlen die Geflüchteten pro Kopf 1200 Euro. Damit sind die Kosten bis Deutschland aber nicht abgedeckt. Von Lesbos aus müssen die Flüchtlinge noch folgende Kosten stemmen:

Manche Länder würden gerne die Grenzen dicht machen. Aber hilft das wirklich? Eine Frage an den kroatischen Innenminister Ranko Ostijic: Kann man Flüchtlinge aufhalten?

"Menschen, die so verzweifelt sind, können Sie nicht aufhalten. Wenn sie an der einen Stelle nicht durchkommen, suchen sie sich eine andere. Und wenn Sie Mauern errichten, bleiben sie vor den Mauern sitzen, bis wir den Anblick nicht mehr aushalten. Letztlich ist die einzige Möglichkeit, Flüchtlinge aufzuhalten, auf sie zu schießen. Niemand will das."[S.26]

Zu den finanziellen Gewinnmöglichkeiten der Schlepper und Schleuser: An manchen Tagen kamen bis zu einhundert Schlauchboote auf Lesbos an, mit etwa 3000 - 4000 Flüchtlingen. Schlepper nehmen an einem Schlauchboot, dass 2000 oder 3000 Euro gekostet hat, bis zu 50000 Euro ein. Die verlassenen Schlauchboote sind kein Müll: Die Motoren und festen Kunststoffböden der Schlauchboote werden eingesammelt und immer wieder weiterverwendet, also nochmals verkauft. Kein Wunder, dass die oft ungewarteten Motoren mitten auf See ausfallen können.

Dass jenseits dieser Ausbeutung natürlich auch rohe Gewalt herrscht, sprich: Den Geflüchteten noch in der Türkei die benötigten 1200 Euro geraubt werden, versteht sich. Man könnte an der Menschheit verzweifen, wenn man solche Texte liest. Zum Glück unterschlägt Kermani es nicht, dass es in jedem Land viele Bürgerinnen und Bürger gibt (selbst in Ungarn), die den Flüchtlingen Hilfe zukommen lassen. Das tröstet.

Dass aber zum Beispiel die Moscheen (in Izmir) ihren geflüchteten Glaubensgenossen keinen Schutz und keine Hilfe gewähren, stößt diesen hart auf und führt zu kernigen Kommentaren:

Von der Güte der Nachbarn leben wir, sagt der Alte und erzählt, dass die Bewohner und Händler des Viertels die Flüchtlinge mit Kleidung, Decken, täglich mit Essen und die Bedürftigen mit ein paar Lira versorgen. Denn nicht nur für Bad und Toilette, ebenso für jede Steckdose, in der ein Flüchtling sein Handy auflädt, und jedes Gläschen Tee verlangt die Moschee Geld.
"Ich bin ein frommer Mann, ich fehle bei keinem Gebet. Aber ein Islam, der keine Barmherzigkeit kennt, ist nicht einmal eine Notdurft wert.[S.76/77]"

Die Antworten auf die Frage, ob es denn kein arabisches Land gäbe, in das die Flüchtlinge könnten, sind sehr deftig, lohnen die Lektüre. Nur ein Beispiel:

"Der Schuh von Frau Merkel ist mehr wert als alle arabischen Führer," ruft ihr Mann.[S.74]
(...) Aus dem Schuh wird prustend die Sohle, aus der Sohle der Schmutz unter der Sohle der Bundeskanzlerin, der mehr wert sei als die arabische Welt.[S.75]

Herta Müller - "Mein Vaterland war ein Apfelkern"

(20.02.2023) Das war eine harte Lektüre, so deprimierend für mein Gefühl, dass ich zwischendurch einige Monate Auszeit nahm: Letztes Jahr im Herbst habe ich die erste Hälfte gelesen, jetzt im Februar die zweite Hälfte. Dabei ist das Buch in einer hochartifiziellen Sprache geschrieben, die Lektüre macht richtig Spaß. Aber der Inhalt...

Herta Müller, Apfelkern

Basis des Buchs sind fünf lange Gesprächsrunden, die die freie Lektorin Angelika Klammer mit Herta Müller um den Jahreswechsel 2013/14 führte. Aber natürlich handelt es sich bei diesem Buch nicht um Gesprächsprotokolle. In einem Gespräch auf Deutschlandfunk Kultur mit Jörg Magenau beschreibt sie den Weg von den Gesprächen zum Buch genauer:

"Die Angelika Klammer hat das Gespräch natürlich aufgezeichnet und dann hat sie es aufgeschrieben. Und als ich es gelesen habe, hatte ich wieder mal diese erschreckende Erfahrung, dass mündlich und schriftlich überhaupt nicht geht. Wenn man etwas druckt, dann taugt das Mündliche nicht. Dann habe ich das Ganze vom ersten bis zum letzten Satz noch einmal geschrieben. Das heißt, ich habe inhaltlich nichts verändert, aber ich habe die Art der Sätze verändert oder Dinge vertieft. Wenn ich dachte, es ist etwas redundant, habe ich es herausgenommen. Und so hat sich das ergeben, weil ich gesagt habe, wenn man ein Buch liest, muss man ein Buch lesen. Und ein Buch ist kein mündliches Gespräch, sondern im Mündlichen geht das, was im Schriftlichen nicht gut daherkommt. Und dadurch kommt es zu diesen poetischeren Sachen. Denn im Mündlichen, aus dem Stegreif hätte ich das wahrscheinlich nicht so gesagt."

Um was geht es im Buch? Die 1953 geborene Herta Müller beschreibt ihre Kindheit - zum Teil als Hütemädchen - in dem kleinen Ort Nitzkydorf bei Temeswar, in einer deutschsprachigen Enklave im Banat. Der Vater ist ein ehemaliger Waffen-SS-Mann, der im Krieg die Deutschen unterstützte, und auch nach dem Krieg sein Denken nicht änderte. Zum Glück für Herta Müller wurde er nicht alt. Die Mutter musste wie viele der deutschstämmigen Rumänen (Männer und Frauen) nach dem Krieg für fünf Jahre in ein Arbeitslager, um Wiedergutmachung zu leisten (denn die deutschstämmigen Rumänen galten als Täter, die Rumänen, die auch an Hitlers Seite kämpften, dagegen als Helden). Von dort kam sie 1950 mit inneren und äußeren Wunden zurück und konnte verständlicherweise keine mitfühlende Mutter mehr werden. Immerhin erkannte sie die Begabung ihrer Tochter und ermöglichte ihr eine gute Schulbildung und ein Germanistik- und Literaturstudium. Herta Müller schreibt dann über ihren weiteren Lebensweg (Studium, Fabrikarbeit, Hilfslehrerstelle), der immer von Schikanen geprägt ist. Und immer wieder wird auch ihre Poetik, ihr Schreiben zum Thema.

Herta Müller ist durch zwei Diktaturen geprägt: Vom deutschen Nationalsozialismus (via ihren Vater) und durch die realsozialistische und neostalinistische Diktatur Ceausescus. Diese bis 1989 bestehende Diktatur gründete sich auf einen umfangreichen "Sicherheitsapparat" (gemeint ist natürlich die "Sicherheit" des Diktators). Die im Namen dieser "Sicherheit" verübten Verbrechen sind zahllos und unfassbar brutal. Da ist mir die Lektüre schon sehr schwer gefallen.

Herta Müller kommt ins Fadenkreuz der Securitate, als sie es während ihrer Zeit in der Fabrik ablehnt, für den Geheimdienst zu arbeiten. Ob das wirklich das auslösende Moment war, sei einmal dahingestellt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass jeder, der nicht mitmachen wollte, in dem Umfang ausspioniert worden ist, wie es Herta Müller von sich behauptet. Jedenfalls nehmen die Schikanen dann kein Ende, und ihr ganzer damaliger Freundeskreis wird überwacht, natürlich zum Teil unabhängig von ihr.

Die Schilderung des grauen Alltags, des ständigen Mangels ist derart deprimierend, dass ich immer versucht war, die Lektüre zu beenden. Für Herta Müller ist letztlich alles grau, das Land, die Menschen, die Kleidung, alles.

Mir fehlt manches im Buch. Es wird nicht über Sexualität geschrieben - ist die Autorin oder das Volk asexuell? Nicht vorstellbar. Wie liebt es sich, wenn man ständig überwacht wird? Wie muss es sein, im Nachhinein zu erfahren, dass die eigene Wohnung von den Schergen des Systems total verwanzt worden war, also auch das Sexleben (wenn vorhanden) überwacht war? Es wird für mein Gefühl auch nicht ausreichend erklärt, wie es trotz aller Schikanen dazu gekommen ist, dass Herta Müller ihr erstes Buch in Rumänien veröffentlichen konnte. Zensur hin, Zensur her - sie sagt selbst, dass auch ihr erstes deutsches Buch (im Rotbuch-Verlag herausgekommen) vom Verlag zensiert wurde. Da möchte man doch genaueres wissen und die Unterschiede herausgearbeitet haben. Und, schaut man sich die Fotos von Herta Müller aus der Zeit in Rumänien an, dann sieht die Kleidung nicht "grau" aus. Gibt es vielleicht manche Übertreibungen im Buch?

Für mich das spannendste Kapitel war die Schilderung der Zusammenarbeit mit Oskar Pastior. Herta Müller brauchte für das Buchprojekt "Atemschaukel" authentische Berichte aus einem Arbeitslager, und da konnte Oskar Pastior mit seinen Erfahrungen aus einem ukrainischen Arbeitslager aushelfen - Herta Müller war ja weder im Gefängnis noch in einem Arbeitslager.

Auch wenn das Buch empfindsame Gemüter mitnimmt, die Lektüre lohnt sich unbedingt.

Ich habe zum Verständnis des Ganzen lange Wikipedia-Artikel über die rumänische Geschichte, über Ceausescu und über Hertha Müller selbst gelesen. Daneben in dem von Norbert Otto Eke im J.B.Metzler-Verlag herausgegebenen "Herta Müller-Handbuch" einige Kapitel zur Biographie der Autorin und zur rumänischen Geschichte. Das hat viel geholfen.

Stephen Stills - CD "Just Roll Tape"

(21.01.2023) Die Geschichte dieser CD klingt wie erfunden: Stephen Stills begleitet am 26.4.1968 (welches Datum angezweifelt wird, auch der 26.8.1968 wäre möglich; wie es dann aber zum schönen und nicht zu übersehenden Datumsstempel auf der Bandschachtel kommt - ??) seine damalige Freundin Judy Collins zu einer Aufnahmesession, bezahlt im Anschluss daran den Toningenieur John Haeny (schon damals kein unbeschriebenes Blatt) privat, einige Demoaufnahmen mit ihm zu machen. Das Band bleibt im Studio (hey, für was macht man hochwertige Demo-Aufnahmen, wenn man sie nicht mitnimmt?), Stills vergisst sie (wie?? was?? er vergisst sie??), betrachtet das Band irgendwann als verloren (statt im Studio nachzufragen). Bei der Auflösung des Studios 1978 bekommt ein Musiker (Joe Colasurdo) vom Studio-Eigentümer die Erlaubnis, alles an vorhandenen Bändern mitzunehmen, was er will (hey, kommt der Eigentümer nicht auf die Idee, das Material zu sichten und selber zu Geld zu machen?). Colasurdo braucht einige Zeit, bis er eine Bandmaschine auftreibt, um das Material überhaupt abspielen zu können (zu einer Zeit, zu der Bandmaschinen noch verbreitet sind), und nachdem er sie endlich gehört hat und den Wert der Aufnahmen erkannt hat, versucht er, mit Stills Kontakt aufzunehmen - und braucht dazu 25 Jahre! 25 Jahre!! Wie blöd muss man sein oder wie berechnend (wären sie nach Stills' Tod velleicht wertvoller?), um dafür 25 Jahre zu brauchen??

Stephem Stills, CD Just Roll Tape

Na, zum Glück hat die Geschichte ein Happy End, 2007 - nach 39 Jahren! - werden die alten Aufnahmen endlich als CD veröffentlicht. Stills singt und begleitet sich auf der Gitarre, kein weiterer Musiker macht mit. Einige Titel hat er später in Bands oder alleine in eine endgültige Form gebracht, andere Titel verlaufen im Sand, die gibt es nur auf diesem "Roll Tape". Die Aufnahmequalität ist passabel, aber auch damals schon nicht State-of-the-Art: 1968 gab es schon technisch weit bessere Aufnahmen, störend bei Stills' "Roll Tape" ist besonders eine gar nicht so seltene Übersteuerung. Na ja, vielleicht war der Toningenieur überarbeitet, es war ja am Ende eines Arbeitstages.

Ich habe Stephen Stills immer für einen Super-Songschreiber gehalten, im Vergleich zu ihm sind seine häufigen Mit-Musiker David Crosby, Graham Nash und auch (jawohl!) Neil Young überschätzt. Ein Jammer, dass er irgendwann ausgebrannt war. Mir gefällt die CD also sehr gut. Sieht man von der ganz natürlich mitzudenkenden Nostalgie des Hörers ab hat das rohe, das spontane, das manchmal brüchige, manchmal selbstbewusste Musizieren von Stills einen ausgesprochenen Charme. Fast die Hälfte der Titel sind für mich seit Anfang der siebziger Jahre gute alte Bekannte, und diese vollkommen anderen "Roll-Tape"-Versionen nun zu hören hatte und hat immer noch etwas ungemein spannendes. Ich lege die CD sicherlich jedes Jahr mal auf, und jedes Mal gefällt sie mir. Für fünf Sterne sind die Aufnahmen technisch zu nachlässig gemacht, aber vier von fünf Sternen hat die CD verdient.

Erik Grankvist - "I Spent 3 Years Alone Building A Log Cabin"

01.01.2023 Kevin Kelly verdanke ich den Hinweis auf dieses beeindruckende YouTube-Video von Erik Grankvist. Kevin Kelly geht sorgsam mit seiner Zeit um. Wenn er schreibt "I watched the whole thing", dann müssen sich die 1:30:28 Laufzeit lohnen. Ich habe also angefangen zu schauen - und das Video auch komplett angesehen. Toll! Und nach noch nicht einmal zwei Monaten 17.000.000 Aufrufe zu haben, ist ebenfalls toll. Mich hat es an Knut Hamsun "Segen der Erde" und an Thoreau "Walden" erinnert.

Beginn des Baus

Erik Grankvist erläutert in einigen Sätzen den biografischen Hintergrund des Videos, warum er ganz allein ein Blockhaus im Wald bauen will. Das macht er so gut, dass man ihn nur zitieren kann:

"4 years ago I felt lost, even though society had clearly paved the path for me. I was 17 and living in Stockholm Sweden. After seeing the documentary "Alone in the wilderness" by Dick Proenneke, I became completely obsessed with the idea of just packing a rucksack of hand tools and wondering off into the vast forest of Sweden to create my own life, living off the land and build a log cabin. I found my meaning, but I was still in high school. My Grandparents owned forest so I started spending more and more time with them every weekend, wandering out, dreaming of my obsession and asking for advise. I had absolutely no prior knowledge of anything how I was going to do this, just the obsession to learn. When I turned 18 I told everyone of my plans. I received a gopro camera from my parents, so I could at least film some of my adventures. I hadn't even thought about filming anything but I did so and am I glad I did. It is a long story from here of hard work, pain, cold, making many many mistakes and figuring out how to solve problems all alone by trial and error. But I finally built the cabin all alone after 3 years. Along the way I also became passionate in filmmaking, so I invested in a better camera. The whole journey is filmed on a tripod by myself, which was lets just say a struggle (I am insane). Some people will doubt this and say I had a film crew and construction team, which I just take as a big complement. I know my journey and I hope to inspire others the same way Dick Proenneke inspired me."

Die ganzen 90 Minuten sind ohne Gespräche, ohne mündliche Erläuterungen - man sieht Erik den Platz im Wald aussuchen, das Grundstück planieren, Bäume fällen, bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit, ohne Arbeitshandschuhe, überhaupt ohne Rücksicht auf den Arbeitsschutz. Er geht in der Natur wandern und spazieren, findet brauchbare Bäume zum Bauen, schwimmt auch im Winter in den Bächen und Seen. Er fängt Fische und lebt von ihnen. Er sammelt Früchte und Beeren und lebt von ihnen. Harte Arbeiten bringt der Bau des Blockhauses mit sich, er muss auch Felsen brechen, viele Steinarbeiten erledigen. Er beginnt, Beete anzulegen, pflanzt u.a. Kartoffeln und Gurken an, macht Beeren, Gurken usw ein, macht Marmelade, füllt einen ganzen Vorratskeller mit seinen Erzeugnissen. Er schmiedet und schweißt (Türscharniere, große Nägel), baut einen Schlitten für Transporte im Winter. Die ganze Arbeit ist hart, geschieht aber ohne Stress. Er jagt, erlegt Wildschweine, räuchert Fleisch, räuchert Fische.

Irgendwann hat er einen Hund, den man heranwachsen sieht. Auch Erik verändert sich. Die schwere körperliche Arbeit macht aus dem typischen Städter eine richtiggehend männliche Erscheinung, mit Muskeln, die etwas leisten können, keine Bodybuilder-Muskeln.

Und endlich, bei 1:27, kommt die Familie zum Blockhaus zum großen Festessen! Und da möchte man dabei sein, so lecker sieht alles aus.

Festessen zum Schluss

Ich würde das alles nie machen wollen (und auch gar nicht können), es ist aber faszinierend anzuschauen.


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Erstellt von: Béla Hassforther