Da nähern sich drei in Lederjacken gekleidete Studentinnen. Sie umtanzen den Herrn am Katheder, versuchen ihn zu küssen. Schließlich reißen sie ihre Jacken auf und halten dem Professor ihre nackten Brüste hin. Johlendes Gelächter! Der schockierte Philosoph greift seine Aktentasche, hält sie vors Gesicht und läuft aus dem Hörsaal. Das Ganze wird oft als Anekdote erzählt [...].Eine sehr bewegende Buchpassage. Die Story kennt jeder, die genauere Beobachtung von Guido Knopp nicht. Gedanken kann sich darüber jeder selbst machen. Adorno ist übrigens kaum dreieinhalb Monate danach gestorben. Na na, wer wird denn hier einen Zusammenhang sehen wollen...? Natürlich ist Adorno nicht nur "theorieverhaftet", solche Urteile sind naiv, kein grosser Denker (und das ist Adorno) kommt ohne das Schönste und Aufregendste im Leben aus. Dazu erfährt man mehr aus einem hochinteressanten Buch, welches schon einige Wochen länger auf meinem Bücherstapel liegt: "Adorno. Eine Bildmonographie.", herausgegeben vom Theodor W. Adorno Archiv, Suhrkamp 2003.
Wer wäre damals nicht gern dabeigewesen in Hörsaal VI? Die ganze Sache scheint sehr lustig gewesen zu sein. [...]
Wer weiß, vielleicht war die Szene für Adorno nicht so komisch wie für die Lachgemeinde im Hörsall VI? In einem kurz nach dem Vorfall veröffentlichten Spiegel-Interview ist die Verstörung des Philosophen jedenfalls deutlich zu spüren. Vielleicht lohnt es, nachzusehen, was andere an diesem Tag im Hörsaal VI gesehen haben. Der Filmemacher Guido Knopp war Augenzeuge des Vorfalls. In einem Interview über seine Studienzeit in Frankfurt erzählt er: "Alle im Saal lachten. Ich saß ziemlich weit vorne, mir tat er leid. Drei hüpfende Busen in Augenhöhe, und dieser sehr im Theoriedenken verhaftete Mann versucht, sich mit der Aktentasche zu wehren. Ich sah, dass er fassungslos war. Irgendwann läßt er die Aktentasche hängen und bricht in Tränen aus. Und dann führen ihn seine Assistenten weg. Das war eine sehr bewegende Szene."(S.143ff). [Diese Passage ist auch in einem online verfügbaren Aufsatz von Jens Soentgen nachzulesen "ADORNOS Lachen, ADORNOS Tränen".]
New York, 16. Oktober 1949Im genannten Buch gibt es Bilder von verteufelt schönen Frauen. Adorno wegen einiger nackter Busen gestorben - lächerlich! Auf der Abbildung rechts Adorno auf einer Faschingsfeier - theorieverhaftet?(S.236) Fast (aber nur fast) habe ich bei den beiden genannten Geschichten (des "SM-Nachmittags der äußersten Exzesse" einerseits und der "Busenattacke" andererseits) an den berühmten Satz aus der "Dialektik der Aufklärung" denken müssen: "Kunstwerke sind asketisch und schamlos, Kulturindustrie ist pornographisch und prüde." (Horckheimer / Adorno). 12.10.2004
Das Weekend mit Carol. Sie kam, mit einer Viertelstunde Verspätung, zu den Türen der Public Library und mir Unverbesserlichem schlug das Herz. Sie sah entzückend aus mit ihrer bizarren, gleichsam überbrünetten Schönheit, von der ein Geruch wie von Rauch ausgeht. Welche Mischung aus einer libertine und einem Professor. Wir aßen im Rumpelmeier, ich setzte ihr das Programm auseinander, das wir streng innehielten; Genießen der Vorlust. Nach Reservation reizend im 5th Avenue. Nachmittag der äußersten Exzesse, in völliger Helle und Klarheit. Echte Masochistin: zweimal ihr Orgasmus nur beim freilich erbarmungslosen Schlagen. Der hagere Körper mit den markierten Hinterbacken, eine weiße malabaraise. Ihre Kunst des Hintanhaltens, der Küsse ins Leere, "tantalizing". Das Kunststück beim Lieben von Hinten einen ganz einzuschließen.
Nachtmahl bei Luchow, todmüde beide dann gut geschlafen, morgens nackte Reprise. [...]
Das entzückende "could you take advantage of a girl?" Sie hatte ihre schönsten Strümpfe an, wohl die einzig eleganten. Völlig wolkenlos, nah, dabei ohne Belastung (sie ist glücklich verheiratet). Befriedigt, gleichsam satt, aber traurig um 12 sie an die Bahn gebracht. Wir hatten einander für 23 Stunden.(S.203)
"Im Original sah ich hier zum ersten Mal ein Bild, das mir schon in den Reproduktionen mißfallen hat: Fouquets "Maria mit den Engeln und dem Kinde". Daran stört nicht der Manierismus, sondern der Widerspruch des Motivs zur Dämonie der Darstellung mit den glühenden Engeln im Hintergrund. Das wirkt, als ob der Einfluß einer beglückenden und der einer erregenden Droge sich gemischt und im Bild kristallisiert hätten." (S.39)Schade, dass Jünger nicht deutlicher wird: Was meint er mit der "Dämonie der Darstellung"? Stören ihn die von ihm als "glühend" beschriebenen Engel? Wo ist der Widerspruch zwischen "beglückend" und "erregend"? Welches davon trifft nach Jünger auf die Madonna zu, welches auf die Engel? Richtig ist, dass rote (Seraphim = "Entflammer", "Erglüher", meist brennend rot dargestellt, und mit dieser Farbsymbolik auf die Liebe verweisend) und blaue (Cherubim, meist blau dargestellt und damit auf geistige Erkenntnis verweisend) Kinderengel dargestellt sind, und besonders im Vergleich zur linken Tafel, die "noch" im irdischen Bereich spielt, die phantastische Lichtbehandlung auffällt: Die irdische Tafel wird von außerhalb (vom Himmel) beleuchtet, die himmlische Tafel strahlt von innen heraus, ist das Licht. Keine Dämonie also, sondern eine Lichtsymbolik, dargestellt mit der technischen Meisterschaft von Fouquet, eines "all time great". In Genua erhält Jünger den Brief eines Brüsseler Bekannten (Henri Plard), den er nicht in Antwerpen treffen konnte. Und in diesem Brief wird lange über eben jenes Fouquet-Bild geschrieben - und Jünger zitiert diese Briefpassage ausführlich. Hier ein kleiner Ausschnitt daraus:
"... Das merkwürdigste Werk in Antwerpen dürfte wohl jene höchst zweideutige Madonna von Jehan Fouquet sein, mit der bloßen Brust, dem züchtig (?) gesenkten Blick und der Schar von roten und blauen Engeln hinter dem Thron. Das Modell war keine andere als Agnès Sorel, die 'dame de beauté' (sie besaß tatsächlich ein Schloß mit diesem Namen) und Geliebte Karls VII., die in Schillers 'Jungfrau von Orléans' ein denkwürdiges Gespräch mit Johanna führt: Weltkind und Kind des Himmels. (...) Die ganze vertrackte Allegorie und die Verquickung des Heiligen und des Weltlichen sind typisches 15. Jahrhundert - raffiniert und von Dekadenz angehaucht." (S.52)Seltsam: Da ist Jünger in einer weltberühmten Bildersammlung, dem Koninklijk Museum voor Schone Kunsten (ohne dessen Namen zu erwähnen), und schreibt über ein Bild (ohne es zu beschreiben), welches ihm nicht gefällt. Und da erhält er Post nach Genua und zitiert ausführlich eine Briefstelle über dieses ihm nicht gefallende Bild. Große Kunst muß nicht gefallen (aber sie packt!), dass Fouquets Bild aber große Kunst ist - das hat Jünger wohl gespürt. Die Verbindung zur Agnès Sorel wird dieses Gemälde wohl nicht wieder los werden - zu schön ist dieses Gerücht. Agnès Sorel, angeblich in der Zeit Fouquets die "schönste Frau Frankreichs", starb allerdings schon 1450, vor der Entstehung des Bildes, welches Étienne Chevalier für das Grabmal seiner 1452 verstorbenen Frau Katharine Budé malen ließ. Claude Schaefer, lange Zeit ein Vertreter der Agnès-Sorel-These, ist in seiner großen Monographie von 1994 (Jean Fouquet. An der Schwelle zur Renaissance (1994), S.115ff) davon abgekommen, auch wenn eine Ähnlichkeit der Madonna mit erhaltenen Porträts der Agnès Sorel unbestreitbar ist, und vermutet, dass die ebenfalls jung verstorbene Katharine Budé der Agnès Sorel ähnelte und dem Schönheitsideal jener Zeit sicher auch mehr als entsprochen hat. Das Grab von Agnès-Sorel wurde übrigens erst unlängst geöffnet, eine Rekonstruktion der Gesichtszüge anhand des gut erhaltenen Schädels soll im Gang sein, dito eine Untersuchung der Todesursache (man vermutet ein Giftattentat im Auftrag des Sohns von König Karl VII.). Schön, dass mir Jüngers Buch Anlaß gegeben hat, mich wieder etwas mit Fouquet zu beschäftigen... 26.09.2004
[Zürich als Zentrum revolutionärer und künstlerischer Entwicklungen im Ersten Weltkrieg:] Joyce scheint von alledem keine Notiz genommen zu haben. (...) Die Zeiten, da er für den Sozialismus schwärmte, sind vorbei, und von Künstlergruppen hält er sich grundsätzlich fern: Joyce schafft als Einzelgänger seine eigene Moderne, die eher auf Entwicklungen der Populärkultur gegründet ist als auf Tendenzen der zeitgenössischen Avantgarde. (S.75)
[Stephen Dedalus in der Auftaktepisode des Ulysses:] "Aber ich, ich bin kein Held" (Rathjen: S.87, Ulysses: S.9)
"Beide Hauptfiguren [Stephen Dedalus und Leopold Bloom] gehen ohne Schlüssel aus dem Haus, und beide spielen sie mit dem Gedanken, ihre Existenz abzuschütteln [...]" (S.91)
"Bloom [...] bleibt auch deshalb Außenseiter in der auf chauvinistische Männerkumpanei gegründeten Dubliner Gesellschaft: Wie die Grenzen ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeit werden auch diejenigen der geschlechtlichen Identität durch ihn in Frage gestellt, Selbstgewißheiten in Ungewissheit überführt." (S.104)17.09.2004
1) amass knowledge of a discipline through interviews and reading;In drei Monaten in ein unbekanntes Problemgebiet einzudringen und die Lösung für ein über 90 jähriges Rätsel zu finden: Eine gelungene Generalprobe für die neue Methode. Man darf hoffen, dass Rugg mit seinem nächsten Ziel: Das Rätsel um die Alzheimer-Erkrankung zu lösen, ebenso erfolgreich ist. 15.09.2004
2) determine whether critical expertise has yet to be applied in the field;
3) look for bias and mistakenly held assumptions in the research;
4) analyze jargon to uncover differing definitions of key terms;
5) check for classic mistakes using human-error tools;
6) follow the errors as they ripple through underlying assumptions;
7) suggest new avenues for research that emerge from steps one through six.
"Oh, die Menschen, die Menschen! Man muß sie lieben - und will ja -, aber manchmal graut einem; es graut einem sogar sehr oft." [Ebner-Eschenbach: Das Gemeindekind, S. 255. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 21716 (vgl. Ebner-GW Bd. 1, S. 161)]
"Nie ist den Menschen deutlicher gepredigt worden: Seid selbstlos, wenn aus keinem edleren, so doch aus Selbsterhaltungstrieb... aber ich sehe, das ist dir wieder zu hoch - - anders also! ... In früheren Zeiten konnte einer ruhig vor seinem vollen Teller sitzen und sich's schmecken lassen, ohne sich darum zu kümmern, daß der Teller seines Nachbars leer war. Das geht jetzt nicht mehr, außer bei den geistig völlig Blinden. Allen übrigen wird der leere Teller des Nachbars den Appetit verderben - dem Braven aus Rechtsgefühl, dem Feigen aus Angst... Darum sorge dafür, wenn du deinen Teller füllst, daß es in deiner Nachbarschaft so wenig leere als möglich gibt. Begreifst du?"ab 01.05.2004
"Ich glaube, ja."
"Begreifst du auch, daß du nie eines Menschen Feind sein sollst, auch dann nicht, wenn er der deine ist?"
"So etwas", erwiderte Pavel, "hat mir schon meine Schwester gesagt."
[Ebner-Eschenbach: Das Gemeindekind, S. 261. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 21722 (vgl. Ebner-GW Bd. 1, S. 164-165)]
Ich aber werde dunkel seyn Und gehe meinen Weg allein. |