Franz Pforrs Gemälde "Sulamith und Maria" wird in der Literatur über die Romantik nicht selten als eines ihrer Hauptwerke oder als Inkunabel bezeichnet.[1] Trotz dieser verbreiteten Wertschätzung ist das Bild noch nicht Gegenstand einer eingehenden Betrachtung geworden, wie etwa vergleichbare Hauptwerke von Runge oder Friedrich.
Fritz Herbert Lehr weicht in seiner bis heute grundlegenden Arbeit über Pforr[2] ausdrücklich einer inhaltlichen Betrachtung aus; er bezeichnet es - getreu der Kunstwissenschaft seiner Zeit (Wölfflin), in der die Ikonographie nicht ernstgenommen wurde - als ein "gänzlich verfehltes Unterfangen, belastet mit dem höchst komplizierten Apparat von Vorkenntnissen an die Beurteilung des Gemäldes als Kunstwerk"[3] heranzutreten, und meint, daß der allegorische Inhalt "uns Heutige ebenso wenig etwas an(geht) wie die allegorische Ansicht des Künstlers selbst".[4] Kriterium für ein Kunstwerk ist für ihn, daß sich die Frage "Was bedeutet das?" nicht sofort aufdrängt, was seiner Ansicht nach für Pforrs Gemälde zutrifft.[5]
Dem ist aber nicht ohne weiteres zuzustimmen, zudem läßt dieses Kriterium überhaupt nur eine subjektive Antwort zu. Lehrs Auffassung ist auf jeden Fall da abzulehnen, wo den ursprünglichen Intentionen des Künstlers Gewalt angetan wird, und dieser Fall scheint bei Pforr gegeben. Kennt man nur das Wichtigste von ihm und seinen Freunden, wird klar, daß das Kunstwerk für sie überhaupt nur mit einer wie auch immer bestimmten Aussage denkbar ist und nie nur das Auge ästhetisch reizen soll. Meine Arbeit soll deswegen versuchen, das Gemälde aus seiner Absicht, seinen Entstehungsbedingungen, dem Zusammenhang von Leben und Kunst von Franz Pforr heraus zu deuten und zu erklären.
Daß bestimmte Voraussetzungen bekannt sein müssen, erhellt schon aus der Tatsache, die dargestellten Figuren ohne Vorkenntnisse nicht benennen zu können. Schon wenige Informationen aber genügen, das Bild zum "Sprechen" zu bringen, wie zum Beispiel jene, daß Pforr das Bild für seinen auf der linken Seite mit dargestellten Freund Overbeck malte und beider Lebens- und Kunstideale ausdrücken wollte, und daß das Gemälde selber nur ein Produkt einer Reihe von Darstellungsversuchen dieser Ideale ist. Da schon diese wenigen Vorinformationen Raum für ausgedehnte Deutungsmöglichkeiten geben, ist zu erwarten, erst bei genauerer Kenntnis den Inhalt angemessen erkennen zu können.
An die folgende Bildbeschreibung schließt sich deswegen die Untersuchung der unmittelbaren Begleitumstände der Bildentstehung an, da anzunehmen ist, daß sie eng mit der Aufgabenstellung zusammenhängen, danach werden vorhandene Vorformulierungen der Bildaufgabe bzw des Themas gesucht, worauf sich dann, nach der Rekonstruktion des Zentralgedankens, die Einzelinterpretation der dargestellten Gegenstände und ihr Zusammenhang anschließt.
Das Bild ist in Öl auf Holz gemalt und mißt 34,5 auf 32 cm. Mehrere Studien und eine sorgfältig ausgeführte Vorzeichnung, die allerdings in den Proportionen und einigen Details abweicht, haben sich erhalten. Ein undatierter Brief, den Pforr noch während des Entwurfs der Komposition an Overbeck schrieb, um in aller Ruhe, deutlicher als er es mündlich könnte, seine Vorstellungen zu formulieren, hatte sich im Overbeck-Nachlaß der Stadtbibliothek Lübeck erhalten, ist aber zusammen mit diesem Nachlaß im letzten Krieg verschollen; bei Lehr ist dieser Brief glücklicherweise vollständig im Anhang abgedruckt. Er bezieht sich auf eine "Skizze", an der Pforr nach seinen eigenen Worten noch nicht "studiert" hat[6], die aber dem Gesamteindruck der endgültigen Ausarbeitung schon recht nahe gekommen sein muß. Daß er sich auf die erhaltene Vorzeichnung bezieht, ist nicht anzunehmen, da diese einen ziemlich fortgeschrittenen, "studierten" Eindruck macht. Nach der Bildbeschreibung wird dieser Brief und die erhaltene Vorzeichnung zum Vergleich mit herangezogen.
Das Gemälde wird durch ein gemaltes, marmorfarbenes Rahmensystem scheinbar in mehrere Teile getrennt; den Hauptteil machen zwei hochrechteckige Tafeln aus, darüber schließt sich jeweils ein mit Spitzbogen abschließendes tympanonähnliches Feld an, zwischen diesen ist noch ein Zwickelfeld ausgeführt. Der ganze obere Teil des Bildes wird von einem Kreissegmentbogen abgeschlossen. Der Mittelpunkt dieses Bogens ist so gewählt, daß man von ihm aus einen Kreis um das Bild schlagen kann, dessen obere Begrenzung der Rundbogen, dessen untere Tangente der Bildabschluß ist. Der Mittelpunkt selber kommt dabei auf der Höhe des Bildhorizontes beider Tafeln zu liegen. Auch die Mittelpunkte der Spitzbogensegmente liegen auf dieser Linie.
Diese "Bildgeometrie" ist erst beim Gemälde durchgeführt; die Vorzeichnung hat in allen Einzelfeldern merklich andere Proportionen, weshalb auch der Mittelpunkt des abschließenden Rundbogens tiefer liegt; als Konsequenz daraus bildet der untere Bildabschluß nicht mehr die Tangente des Umfassungskreises. Wegen der nachträglichen Veränderung läßt sich eine kompositorische Absicht dieser Geometrie vermuten. Dieser Unterschied ist bis jetzt in der Literatur übersehen worden, in ihr gilt die Vorzeichnung immer als "genau" und "im gleichen Format".[7]
Das Rahmensystem ist kompliziert aufgebaut, man kann vier einzelne Teile unterscheiden: die untere Bildbegrenzung bildet ein aus einem Stück bestehender Balken, der sich an den Seiten und zwischen den beiden rechteckigen Tafeln ohne Nahtstelle ein Stück nach oben fortsetzt und somit eine Art Sockel für die anderen Rahmenteile bildet. An den Seiten ganz außen setzt ein durchgehender Rahmenteil an, welcher oben den Rundbogenabschluß bildet, und zwei gleiche Rahmen umfaßt, die aus einem Stück bestehen: ihre beiden unteren Leisten setzen jeweils auf dem mittleren sockelartigen Fortsatz der unteren Leiste an sowie auf der Innenseite des äußeren Rahmens auf den äußeren Sockeln. Nach oben hin gehen sie nahtlos in einen Spitzbogen über, wobei das entstehende Tympanon ebenfalls nahtlos mit einer Querleiste abgetrennt ist. Das ganze Rahmensystem ist von links oben scheinbar beleuchtet und macht deswegen einen plastischen Eindruck.
In der Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, daß das Gemälde aufgrund seiner Rahmung den Charakter eines mittelalterlichen Gelübdebildes oder Hausaltärchens in Form eines Diptychons hat.[8] Gerade dieser immer wieder betonte "Diptychoncharakter" will aber nicht zu einigen Details des Rahmens passen. So ist der oben abschließende Rundbogen nicht zusammenklappbar, und auch die untere Rahmenleiste zeigt keine Naht. Die Rahmung der hochrechteckigen Tafeln beginnt erst ein Stück über dem unteren Abschluß der beiden Tafeln, die beiden inneren Rahmensysteme können somit auch nicht als Diptychonseiten angesehen werden. Ein weiteres Gegenargument ist das "Material" des Rahmensystems: bei einer beabsichtigten Anspielung auf ein Diptychon sollte man annehmen, daß Pforr dann einen Holzrahmen kopiert hätte und auch die Scharniere nicht vergessen hätte; ein Diptychon mit Marmorrahmen ist dagegen eine sonderbare Vorstellung.
Beurteilt man das Bild von der scheinbaren Höhe der dargestellten Bildflächen aus, kann man zwar wie Kolberg[9] die Möglichkeit verwerfen, daß ein geschlossenes Triptychon dargestellt ist - weil das Zwickelfeld dann tiefer erscheinen müßte -, aber sein Schluß, deswegen schaue man auf ein geöffnetes Diptychon, übersieht die Schwierigkeiten bei dieser Deutung. Wenn bei der weiteren Bildbeschreibung von "Tafeln" die Rede ist, dann also immer mit der Einschränkung, eigentlich kein richtiges Diptychon vor sich zu haben.
Zum ganzen Problem des Rahmens erwähnt Pforr nur, daß er durch ihn das Bild in drei Teile abzusondern gedenkt, die Tympana über den Hauptbildern gelten ihm dabei nicht als selbstständig, sondern sie sollen "gewissermaßen mit ihnen übereinstimmen".[10]
Nachfolgend werden die beiden Hauptdarstellungen erst zusammen besprochen, bevor auf die Tympana eingegangen wird.
Die linke Tafel wird beherrscht von der sehr groß wirkenden Sulamith, die mit ihrem Kind in einem von einer Mauer abgeschlossenen Garten sitzt, von dem aus man in eine südliche Landschaft mit einer Stadt schaut. Sulamith sitzt leicht der Gemäldemitte zugewandt auf einer von links in den Bildraum reichenden, mit Gras bewachsenen Porphyrbank, deren oberer Teil etwas vorspringt. Sie trägt ein langes weißes Unterkleid mit V-förmigen Ausschnitt und langen weiten Ärmeln, darüber ein dunkelolivgrünes Mieder, und um Unterkörper und Beine geschlungen einen innen und außen roten Mantel. An ihren Füßen, die vom Unterkleid halb verdeckt sind, trägt sie rote Sandalen. Ihr dunkelgoldblondes Haar ist in der Mitte gescheitelt und geflochten, wobei die Zöpfe an den Seiten des Kopfes mit einer roten Haarschnur, die an der Stirn mit einem hellen Stein geschlossen ist, befestigt sind.
Ihren Kopf hat sie nach links unten zu dem nackten Kind geneigt, das sie mit ihrem rechten Arm in einer Mantelfalte stützt. Mit der Linken hält sie einen Granatapfel, der in der Mitte aufgebrochen ist, vor das Gesicht des Kindes. Der Knabe drückt seine rechte Hand von unten an die linke Hand der Sulamith. Seine andere Hand erscheint etwas unmotiviert vor dem Mieder der Frau; diese Stellung wird durch den Begleitbrief und durch die Vorzeichnung verständlich, nach denen das Kind mit einer Halskette der Sulamith spielen sollte, welche aber auf dem Gemälde nicht zur Ausführung kam.[11]
Der Garten, in dem Sulamith sitzt, ist - außer einem wegartigen Stück - mit einem Grasboden bedeckt. Der Weg schlängelt sich zu ihr hin, hinter der Bank setzt er sich fort bzw. erscheint ein zweiter. Links von Sulamith wächst aus dem Gras eine hohe Lilie mit drei großen weißen Blüten; ein junges weißes Reh steht sehr dicht daran, sein erhobenes rechtes Hinterbein befindet sich zwischen zwei Blättern. Das Reh schaut zu Sulamith und dem Kind auf, um den Hals hat es ein rotes Band mit herabhängenden Enden. Drei Vögel sind dargestellt: ganz im Bildvordergrund vor Sulamith sitzt ein grünliches Eisvogel auf dem Gartenweg, weiter rechts, an der Schmalseite der Porphyrbank, duckt sich ein Feldhuhn, auf dem Gras der Bank rechts neben Sulamith sitzt ein Rotkehlchen. Von der rechten unteren Tafelecke aus ragt ein Palmzweig in den Bildraum. Hinter der Porphyrbank fällt das Gelände ab, eine niedrige graubraune Mauer beschließt den Garten. Die Mauer ist mit einem Rundbogenfries geschmückt, vor ihr sind Büsche gepflanzt: links ein Lorbeerstrauch, weiter rechts ein nicht näher bestimmbarer Busch. Nahe dem rechten Tafelrand besitzt das Mäuerchen ein Tor: ein hoher Pfeiler aus weißem Marmor mit Kämpferplatte als Abschluß ist deutlich zu sehen, während die eigentliche Tür, die nach Pforr aus Zedernholz sein soll[12], fast ganz verdeckt ist; ihre Oberkante ist der Mitte zu hochgeschwungen, die Türfläche ist nahe dem Rand durch eine Profilierung verziert.
Vor ihr steht die klein wirkende Gestalt von Overbeck: mit seinem etwas unsicheren Standmotiv und den gefalteten Händen macht er einen schüchternen Eindruck. Über ein am Hals sichtbares Untergewand in weiß trägt er ein rotbraunes Hemd. Er ist in einen weiten blauen Mantel gehüllt (den berühmten "venezianischen Mantel" Pforrs, der auf vielen Gewandstudien der Lukasbrüder erscheint), der um den Unterkörper gewickelt und von hinten über seine linke Schulter geworfen ist. An den Füßen trägt er recht große hohe Stiefel. Sein bräunliches Haar ist mittellang und an seiner linken Kopfseite gescheitelt.
Links hinter der Mauer scheint wieder ein Busch hervor, vielleicht Lorbeer, dann fällt das Gelände stärker ab: rechts schaut man von oben auf den Gipfel eines grasbewachsenen Hügels, auf dem langstämmige Pinien stehen, von denen die vorderste sogar den oberen Bildrand erreicht. Links sieht man auf einen weiteren, etwas entfernteren Hügel, auf dem eine Fichte steht, um deren Stamm sich - sehr schwer erkennbar - ein Weinstock rankt.
Ab dem talartigen Einschnitt zwischen den beiden Hügeln und sich nach hinten fortsetzend bis an den Fuß eines Berges breitet sich eine Stadt aus, die durch einige bekannte Gebäude an Rom erinnert: man erkennt vorne ein Aquädukt, dahinter rechts das Pantheon, die Trajanssäule, mehrere Kirchen, auch einen Kuppelbau.[13] Der Berg hinter der Stadt ist an seinem unteren Teil mit Gras bewachsen, wird nach oben hin aber sehr felsig und steil. Von rechts aus einem höher gelegenen Teil der Stadt heraus kommt ein Weg, an dessen Rand, kurz vor der Felsenzone, eine Zypresse mit sehr hohem Stamm steht - sonst befinden sich keine Bäume auf diesem Berg.
Auf dem Weg sieht man - kaum erkennbar - Wallfahrer auf der Höhe der Zypresse; die genaue Zahl ist nicht zu erkennen, etwa sechs bis acht. Ihr Ziel ist ein großes schloßähnliches Gebäude auf dem Gipfel des Berges: das Gebäude, von Pforr "Tempel" genannt[14], besteht aus zwei Geschossen, von denen das untere sich in Bogengängen zu einer breiten Treppe öffnet, das obere Stockwerk nur leicht angedeutete Fenster hat. Ein Turm mit rechteckigen oder quadratischen Grundriss erhebt sich über der rechten Seite des Tempels.
Hinter diesem Berg und der Stadt breitet sich ein See aus, auf dem ein Segelboot angedeutet ist. Dahinter schließen hohe, bläuliche Berge die Landschaft zum Horizont hin ab; Häuser oder gar Dörfer sind auf dem gegenüberliegenden Ufer nicht zu erkennen. Über den Bergen breitet sich ein vom gelblichen zum blauen übergehender Himmel aus, der mit seiner breiten gelben Zone an einen Abend- bzw Morgenhimmel erinnert, aber das Beleuchtungslicht der Landschaft fällt von vorne links ins Bild hinein, wie an den Schatten zu erkennen ist.
Die rechte Tafel zeigt Maria in einem Innenraum: zu sehen ist die linke Wand mit einem Fenster und die Rückwand mit einem Alkoven, am Fenster sitzt Maria und flicht ihr Haar. Holzboden, Holzdecke und Möbel sowie die alt charakterisierte Wand mit dem Butzenscheibenfenster legen sofort einen "altdeutschen" Innenraum als beabsichtigt nahe.
Maria sitzt parallel zum Fenster auf einem Holzhocker, von dem nur ein Bein sowie ein Stück der Sitzfläche sichtbar ist. Ihren Kopf hat sie seitlich in Richtung Fenster geneigt und ist damit beschäftigt, das blonde Haar, das in der Mitte gescheitelt ist, auf ihrer rechten Seite zu flechten; auf der anderen Kopfseite hängt ihr eine noch ungeflochtene Haarsträhne vor dem Ohr herunter. In den Ohren hat sie auffallende grüne kugelförmige Ohrringe, einer gerade noch sichtbar, der andere halb verdeckt. Über einem weißen Unterkleid, das am Halsausschnitt und am Verschluß des Mieders gerade noch sichtbar ist, trägt sie ein rotes Kleid mit engen langen Ärmeln. Ihr rotes Mieder hat um den Hals eine schmale schwarze Borte. Eine schmale gefältete weiße Schürze, die sie mit einer Schnur um die Taille gebunden hat, fällt über ihren Schoß seitwärts zur Wand herab. Zu Füßen Marias schmiegt sich eng an der Wand eine Katze. Vor Maria steht auf einem einbeinigen Wandklapptisch, dessen Halterung ein Stück weiter oben sichtbar ist, ein Korb mit Nähzeug und einem weißen Tuch.
Das Fenster hat oben einen Bogenabschluß; da der Fensterausschnitt der Wand größer als die eigentlichen Scheiben ist, entsteht unter den Fensterflügeln ein Absatz. Das Fenster besteht aus zwei - oder drei, s.u. - hochrechteckigen Scheiben, die jeweils durch ein inneres Rahmensystem in zwei Hälften geteilt sind. Im Bogenfeld darüber sieht man nur eine kleine Scheibe über der linken hochrechteckigen: daraus läßt sich schließen, daß im unteren Teil drei Scheiben nebeneinanderstehen, von denen diejenige links außen von der Wand verdeckt ist; über der mittleren befindet sich dann die kleinere Scheibe, die beiden Bogensegmente links und rechts von ihr sind nicht verglast. Durch die Butzenscheiben ist die außen liegende Landschaft nur undeutlich zu erkennen: die Bergkette des Hintergrundes setzt sich noch am deutlichsten sichtbar fort, davor scheint sich eine Stadtansicht mit einem Fluß auszubreiten. Durch die Butzenscheiben fällt von einer tiefstehenden Sonne Licht in das Zimmer, dabei werfen die runden Butzen ein Schattenmuster an die Innenseite der senkrechten Fensterlaibung. Auf dem Fensterbrett liegt ein dickes aufgeschlagenes Buch, über dessen rechter Hälfte ein helles, anscheinend elfenbeinernes Kreuz gelegt ist, das an einem roten Band befestigt ist. Maria blickt auf das Buch, als ob sie noch beim Zöpfeflechten darin lesen wollte.
Der rechte Tafelrand wird ganz von einem dunkelbraunen Balken eingenommen, der sich oben und unten verbreitert. Auf seiner unteren Ablage liegt schräg eine Holztafel mit hellem Innenfeld und einem roten Band am Griff. Hinter Maria öffnet sich in den Wand ein Bogen, dessen grüner Vorhang nach rechts gezogen ist und somit den Blick auf den Alkoven freigibt. Über dem Bogen hängt ein Wandbrett mit einer Art "Stilleben": von links liegen bzw. stehen darauf ein Apfel, eine Sanduhr und ein stehendes und ein liegendes Buch. Die Bretter des Bodens wie der Decke laufen nach hinten in den Raum; die Decke ist zusätzlich mit Holzleisten gerahmt, wovon eine den oberen Bogenabschluß des Fensters überschneidet. Von den Ecken des Zimmers laufen diagonal Leisten über die Decke, ihr Kreuzungspunkt ist mit einem herabhängenden Pinienzapfen verziert.
Im recht dunklen Alkoven steht quer das Bett. Zwei Stufen führen zum sehr hohen Bettkasten, dessen Vorderfront mit einem von einem Kreis gerahmten Kreuz geschmückt ist. Auf das Bett ist eine lang herunterhängende bläuliche Decke gebreitet und am Kopfende umgeschlagen; eine zweite, nicht so breite bräunliche Decke ist über die erste gelegt. Lehr[15] sieht nur eine einzige, gemusterte Decke, übersieht dabei aber den Schatten,, den die eine Decke an der Vorderseite auf der anderen wirft. Links sieht man das ebenfalls bläuliche Kissen. Hinter dem Bett ist in der Wand eine Nische, in der entweder eine Statue oder ein Relief der stehenden Maria mit Kind angebracht ist. Links davon steht ein Wasserglas, rechts davon ein verzierter Krug, beide mit Blumen gefüllt, wobei man aber nur Nelken sicher erkennen kann. An der linken Stirnwand des Alkovens sieht man den Ansatz einer weiteren Wandöffnung, wahrscheinlich ein verdunkeltes Fenster.
Insgesamt macht die Stube einen gewollt alten Eindruck: die ganze Holzeinrichtung soll, wie erwähnt, auf altdeutsche Möbel anspielen; die Fensterwand ist vom Alter fleckig und braun, an der Kante der Fensteröffnung sind an mehreren Stellen Ecken abgebrochen.
Die beiden Spitzbogenfelder über den Haupttafeln nehmen jeweils einen wichtigen Farbton des unteren Bildes auf, links also blau, das einen uniformen, im Gegensatz zu dem Himmel darunter nicht verlaufenden Hintergrund bildet, rechts ein entsprechend einheitliches hellbraun. An den Rändern beider Felder ahmen ockergelbe - vielleicht goldene - Stangen die Rahmenform nach, setzen sich aber nach ihren Kreuzungspunkten, die jeweils von flachen Blüten in der Farbe der Stangen gebildet werden, nach außen fort und scheinen hinter dem Marmorrahmen noch weiterzugehen. Die beiden unteren Kreuzungspunkte werden bei beiden Feldern durch vergleichbare Blütenstilisierungen gebildet, die oberen aber unterscheiden sich: links oben im Winkel zwischen den beiden sich kreuzenden Stangen ist eine Rose, rechts dagegen ein Pinienzapfen stilisiert.
Auf der linken Seite rahmt das Gestänge einen Kreis ein, der wiederum ein Sechseck umschließt; um den oberen Teil ist ein Kranz mit roten und weißen Blumen sowie grünen Blättern gehängt, man erkennt eine weiße Lilie, drei (?) rote Rosen sowie mehrere Passionsblumen, vielleicht auch eine Nelke; bei den Blättern ist sicher erkennbar nur Lorbeer. Rechts von diesem gerahmten Sechseck sitzt auf der unteren waagrechten Stange eine weiße Taube mit bräunlichen Flügeln und schaut hinunter zu Sulamith.
Im rechten Bogenfeld ist zwischen das Gestänge ein Kreis angebracht, der ein lateinisches Kreuz umfaßt, dessen Querbalken also nicht den Kreis berührt. Um das Kreuz hängt ein Kranz aus graugrünen, schwer zu bestimmenden Blättern, vielleicht Immergrün. Im linken unteren Teil des Kreises gleich links vom Kreuz sitzt eine von hinten gesehene Schwalbe, die zum Kranz oder zum Kreuz aufschaut.
Oben im Zwickelfeld thront Johannes der Evangelist, kenntlich am Adler rechts von ihm. Johannes sitzt auf einer fast ganz verdeckten Steinbank und beugt sich nach links zu einem Pult aus hellem Stein oder Marmor, dessen Vorderfront mit einer außen umlaufenden Rille verziert ist. Auf das Pult hat er eine Tafel gelegt, die er mit dem Daumen seiner linken Hand festhält, mit der rechten hält er einen Stift und schreibt auf die Tafel. Gekleidet ist er in ein rotes, nur am Hals sichtbares Unterhemd, darüber ein grünes langärmeliges Unterkleid, über das er einen gelbbraunen Mantel trägt, der aber seine linke Schulter freiläßt und auch nur wenig über die Knie reicht. Soweit erkennbar ist er barfuß. Rechts hinter ihm sitzt ein brauner Adler auf der Bank, breitet etwas die Flügel aus und schaut zu ihm hin. Der Hintergrund wird von einer unräumlich wirkenden rotbraunen Farbe gebildet.
Vergleicht man das fertige Gemälde mit der Vorzeichnung oder dem schriftlichen Plan, stellt man außer der schon erwähnten Abweichung in den Proportionen nur wenige Änderungen in den Details fest. Auf einen Vergleich der Farbgebung des Gemäldes mit den im Brief geäußerten Angaben wird im Folgenden aber weitgehend verzichtet, da er bei Lehr im Anhang beim Abdruck des Briefes mit den Farbangaben schon geleistet ist.[16]
Am auffälligsten sind die Unterschiede im Rahmensystem der oberen Bildzone: auf der Vorzeichnung hat der obere Rand des Zwickelfeldes noch eine zweite dünnere Rahmenleiste, die als Fortsetzung der beiden äußeren Spitzbogensegmente der anstoßenden Bogenfelder gedacht werden kann. Zusätzlich setzen sich auch die bei diesen Feldern parallel zur Marmorrahmung laufenden Leisten in das Johannesfeld fort und bilden mit weiteren Leisten zu den Seiten des Zwickelfeldes ein ähnliches inneres Rahmensystem wie in den Spitzbogenfeldern. Dadurch werden diese drei oberen Felder formal enger zusammengeschlossen als auf dem späteren Gemälde. Pforr - oder Overbeck - hat dann aber wohl bemerkt, daß durch den Raumbedarf des Johannes das Gestänge im oberen Feld so weit in den Hintergrund gedrückt wird, daß es zum Bruch mit den ganz offensichtlich im Vordergrund befindlichen Leisten der Spitzbogenfelder kommt.
Das Leistensystem selbst ist auf der Vorzeichnung etwas ausgeschmückter: an den Kreuzungspunkten sind die Schmuckformen größer, in den Winkeln von Rahmenleisten und eingeschlossenen Ornamentformen sind zusätzliche Schmuckformen angebracht, die Leisten selber sehen aus, als seien sie mit Knospen besetzt. Die Schmuckformen scheinen eher dem Repertoire des Barock oder Rokoko entnommen zu sein als dem der Renaissance oder altdeutscher Stiche. Johannes selbst hat noch einen Nimbus, in dem sein Name geschrieben ist; dieses Detail ist ebenfalls im Brief erwähnt.[17] Das Pult ist etwas kleiner, dafür hat es noch einen Aufsatz, auf dem Johannes schreibt.
Auf der Sulamith-Seite sind einige Unterschiede schon bei der Frau selber zu bemerken: Sulamith ist etwas dicker, hat auch einen größeren Kopf als auf dem Gemälde und wirkt durch diesen Proportionsunterschied gefälliger. Um den Hals trägt sie die im Brief Pforrs erwähnte Kette aus Rubinen, mit der das Kind mit seiner linken Hand spielt. Der Mantel ist etwas anders drapiert und hat deutlich sichtbar eine Borte, die dem Brief nach golden sein sollte.[18] Die etwas mehr sichtbaren Füße sind barfuss. Die größten Unterschiede weist die Figur von Overbeck auf, besonders auf sie scheint sich der Satz zu beziehen, daß Pforr erst noch "nach der Natur" zeichnen muß: Overbeck erscheint kleiner und jünger und hat seinen Mantel etwas anders um den Körper geschlungen.
Die Gartenmauer ist noch ohne dem Rundbogenfries. Beim Torpfeiler hat Pforr eine wichtige Änderung vorgenommen: auf der Vorzeichnung sieht man die linke Schmalseite, während man auf dem Gemälde die rechte sieht, das heißt, daß die Perspektive beider Bildtafeln nun auf einen gemeinsamen Mittelpunkt hin bezogen erscheint. Bei der Vorzeichnung dagegen erweckt dieses Detail den Eindruck einer weit selbstständigeren, zentralperspektivisch konstruierten Bildtafel. Der Palmzweig der rechten unteren Ecke fehlt auf der Vorzeichnung noch. Der Hintergrund ist weitgehend gleich, als einzige Abweichung erkennt man auf den Bergen des gegenüberliegenden Ufers Baumbewuchs, und ein kleineres Dorf ist sichtbar.
Auf der Maria-Seite sind manche Veränderungen auf die gedrückteren Proportionen im Vergleich zum Gemälde zurückzuführen: so ist der Raum niedriger und man schaut noch nicht so schräg auf die Seitenwand. Das Fenster ist auf dem Gemälde etwas schmäler, Pforr deutet diese Änderung schon im Brief an.[19] Der Boden besteht aus quadratischen Platten, der Andeutung im Brief nach: "wie von gebrannten Steinen"[20], während beim Gemälde Holzbretter ausgeführt sind. Auf dem Täfelchen rechts unten ist auf der Vorzeichnung das Signum von Pforr, Kreuz über Totenschädel, zu erkennen. Auf dem Regalbrett über dem Bogen zum Alkoven liegt statt der Sanduhr auf der Zeichnung ein Granatapfel.
Es ist einleuchtend, daß zur folgenden Rekonstruktion der unmittelbaren Begleitumstände der Bildentstehung die Kenntnis von Pforrs Biographie, seiner Beziehung zu Overbeck und der wichtigsten Daten des Lukasbundes gehört. Dies alles ausführlich darzustellen verbietet sich schon aus Platzgründen, zudem ist es schon in genügender Detailliertheit von den jeweiligen Hauptbiographen geleistet worden; wie erwähnt ist für Pforr immer noch grundlegend die Arbeit von Lehr[21], für Overbeck ist unverzichtbar die ausführliche Monographie von Howitt[22] neben einigen Aufsätzen Jensens[23], speziell zum Lukasbund die einem der Lukasbrüder - Sutter - gewidmete Monographie von Grote.[24] Ergänzend zu Pforrs Biographie ist lesenswert die seinen körperlichen und seelischen Krankheiten gewidmete Untersuchung von Ostertag[25], die aber von einem angreifbaren psychiatrischen Modell aus das Verstehen mancher Charakterzüge Pforrs eher erschwert als erleichtert.[26].
Im folgenden soll eine Kurzfassung die Biographie Pforrs bis zur Entstehungszeit des Bildes skizzieren und eine gewisse "Grundstimmung" begreiflich machen.
Pforr verlor schon als Kind die Eltern und seinen Bruder, aber da sein Vater ein angesehener Pferdemaler in Frankfurt war, fanden sich einige Familien zusammen, die freiwillig eine Ausbildung für ihn finanzierten[27], zuerst bei seinem Onkel Johann Heinrich Tischbein d.J. in Kassel[28], ab 1805 an der Akademie in Wien.
Im folgenden Jahr (April 1806) kam aus Lübeck Overbeck nach Wien, sie lernten sich kennen (wobei Overbeck allerdings schon auf Pforr verwiesen war) und freundeten sich an. Durch die schnellen Fortschritte Overbecks wurde Pforr neidisch und zog sich zurück, fand sich aber im Lauf des Jahres 1807 immer isolierter in seinem Unbehagen am Unterrichtsstoff und den Unterrichtsformen an der Akademie - nicht aus einem Unvermögen heraus, was betont werden muß, denn er wurde von den Professoren gelobt, was als Auszeichnung galt. So entschloß er sich nach einer von ihm selbst so genannten "moralischen Revolution"[29] den nie ganz abgebrochenen Kontakt zu Overbeck wieder zu intensivieren, und nach einer langen, für beide erlösenden Aussprache schlossen sie eine innige Freundschaft. Schenkt man ihren Briefen Glauben, so bestand der Hauptteil ihrer Kommunikation in "Kunstgesprächen". Beide fühlten sich je länger, je mehr abgestoßen vom "Akademiebetrieb", vom "akademischen Schlendrian" und den losen Sitten, und bemühten sich, theoretisch und praktisch ihre eigene Linie zu finden.
Als sie damit ihrer Meinung nach erste Erfolge hatten, entzogen sie sich nicht mehr so vollkommen den anderen Studierenden und lernten im Lauf des Jahres 1808 mehrere Mitschüler kennen, die von der Eigenart der beiden beeindruckt waren und ihnen bzw. ihrer "Theorie" zustimmten. Im Sommer 1808 hatte sich nach anfänglichen Fluktuationen ein fester Zirkel mit den Mitgliedern Pforr, Overbeck, Ludwig Vogel, Konrad Hottinger, Joseph Wintergerst und Joseph Sutter konsolidiert. Bei der Geburtstagsfeier von Vogel am 10.7.1808 wurde abgemacht, sich regelmäßig zu treffen, dabei Kompositionsaufgaben zu bearbeiten und Aufsätze zur Diskussion zu stellen. Auch eine thematische Spezialisierung der einzelnen Mitglieder erfolgte schon hier, so neigte Pforr zur altdeutschen Geschichte, Overbeck wollte religiöse Bilder malen, Vogel solche zur Schweizer Geschichte, Wintergerst malte Themen des Alten Testaments, Hottinger wurde als zeitgenössischer Hogarth bestärkt und Sutter wollte Overbeck mit religiösen Bildern nacheifern, war aber darin nie konsequent.
Im Juni 1809 wurde Wien von den Franzosen unter Napoleon belagert und eingenommen, und in dieser Zeit steigerte sich bei Pforr der Wunsch, eine Schlacht zu sehen, so weit, daß er seine Laufbahn als Künstler, sein ganzes zukünftiges Leben von der Erfüllung dieses Wunsches abhängig machte. Als es trotz wochenlangen Wartens und der Ausschöpfung aller Möglichkeiten nicht gelang, brach er psychisch vollkommen zusammen, und als er sich - nach etwa zwei Monaten - seelisch wieder etwas gefangen hatte, ohne allerdings seine Meinung über die Bedeutung dieser Schlacht für sein Leben zu ändern, erkrankte er körperlich so sehr, daß er bis zum Ende des Jahres kaum etwas arbeiten konnte.
Während der Zeit der psychischen Erkrankung Pforrs wurde aus dem lockeren Arbeitszirkel der Lukasbund. Man kann dies als Steigerung, als natürliche Fortsetzung sehen: von der Freundschaft Pforrs und Overbecks zum Freundeskreis, von da zum festen Zusammenschluß, zum Bund; so wird dies auch ausschließlich gedeutet. Dagegen weisen aber mehrere Andeutungen in den Quellen darauf hin, daß die anfängliche Begeisterung bald abnahm, die Übungsaufgaben noch im Jahre 1809 eingestellt wurden und außer den vier ersten Kunstaufsätzen keine weiteren mehr geschrieben wurden. Die Mitglieder der Gruppe trafen sich, weil sie sich angefreundet hatten, natürlich weiter, aber man kann davon ausgehen, daß die intensive "Aufbruchsstimmung" erloschen war. Bedenkt man, daß Pforr gerade einige Tage vor der Gründung des Bundes psychisch regelrecht zusammenbrach - er schildert seine Stimmung sehr eindringlich selber -, kann man in der Geburtstagsfeier Vogels, dem Fest zum "Einjährigen" und dem innigeren Zusammenschluß auch ein Bemühen der Freunde sehen, Pforr abzulenken, was teilweise auch gelang.
Das Ziel von Pforr und Overbeck war nun für die Zukunft eine Reise nach Rom, wo sie ihre Studien gewinnbringender fortzusetzen hofften als an der Akademie, die zudem nach der Einnahme Wiens nur noch einen eingeschränkten Unterrichtsbetrieb aufrechterhalten konnte, an dem "Ausländer" wie Pforr und Overbeck nicht teilnehmen durften. Pforr erhoffte sich daneben seelische und körperliche Erholung in Rom. Nachdem sein Gesundheitszustand es zuließ - auch Overbeck kränkelte übrigens etwas -, reisten sie am 10.5.1810 ab, zwei der Freunde, Vogel und Hottinger, schlossen sich nach einigem Hin und Her an.
Am 20. oder 21.6.1810[30] kamen sie in Rom an, nach einem kurzen Aufenthalt in der Villa Malta konnten sie billig im benachbarten leerstehenden Kloster San Isidoro unterkommen und zunächst begeistert die Schätze der Stadt für sich entdecken. Aber nach den ersten Monaten traten bei allen vieren wieder heftige Selbstzweifel auf, die auch aufgrund der mißlichen äußeren Bedingungen schnell wuchsen.
Hottinger, der sowieso immer als lustig und flatterhaft galt, änderte immer wieder seine Malrichtung, war nie zufrieden, schied dann auch im nächsten Jahr (1811) aus. Vogel, der zu seinen Eltern ein sehr inniges, geradezu kameradschaftliches Verhältnis hatte, versucht seine nagende Selbstkritik nie zu verbergen, hat aber in seinem erlernten Beruf als Zuckerbäcker eine beruhigende Alternative zum unsicheren Malerdasein. Overbeck, dessen Briefe oft den Charakter von höflich aalglatten Pflichtschreiben haben, drückt sich nie so direkt aus: seine Eltern - besonders sein Vater - waren zu oft als Gegner seines Traumberufs aufgetreten, als daß er nun offen Schwierigkeiten zugeben würde. Aber manchmal kann er in Briefen "Stoßseufzer" nicht unterdrücken, und in einem Brief vom März 1811 klagt er ganz offen über seine Entfremdung von der Kunst[31], wenn auch immer wieder abgelöst von selbstbewußten Auftritten. Deutlicher ist seine Verunsicherung in den Tagebüchern nachzuvollziehen. Er faßte im Lauf des Jahres regelrecht den Vorsatz, sich "vollends zu erneuern", worauf er immer wieder in Andeutungen zurückkommt und seine Fortschritte beurteilt.[32] Von diesem Vorsatz machte er auch eine knappe Mitteilung an seinen Vater.[33]
Pforr, dessen Briefe an Passavant fast die einzigen persönlichen Quellen von ihm sind, ist trotz der Anerkennung durch seine Freunde ab etwa 1809 ständig im Zweifel über seine Kunst, seine Fähigkeiten. Von seinen Voraussetzungen her hatte er es ähnlich schwer wie Overbeck, wenn auch durch andere Umstände bedingt: er fühlt sich immer wieder durch die auf ihm ruhenden Erwartungen seiner finanziellen Gönner belastet. In häufigen Rechenschaftsbriefen an seinen Vormund Sarasin sowie einem sehr ausführlichen Studiumsbericht am Ende der Wiener Zeit versucht er immer wieder, seine Schritte zu begründen, schickt Bilder zum Beweis seiner Fortschritte etc. Pforrs Dankbarkeit ist verständlich, schaut man sich das Schicksal von Waisen zu jener Zeit an oder überhaupt die materiellen Verhältnisse, angesichts derer Pforr dank seiner Gönner zu einer sehr schmalen Schicht finanziell gut abgesicherter Personen zählte. Seine Selbstzweifel und Selbstkritik, deren Ausmaß sich nur aus der Lektüre seiner Briefe ergibt, kulminierten im Lauf des Jahres 1811; jedenfalls schreibt er, selber entsetzt, daß er aus seinen Schwierigkeiten heraus schon Trost im Wein suchte.[34]
Man muß sich diese Ausgangslage vor Augen halten, will man den Entschluß zu der Ausführung des Bildes angemessen würdigen: in Rom mit einer harten Realität konfrontiert (Finanzsorgen, ungewohntes Klima, häufige Krankheiten, Elend der Bevölkerung, Gleichgültigkeit der anderen Künstler gegenüber der Kunst), alle mit stärksten Selbstzweifeln, der Versuch, sich durch enge Zusammenarbeit, durch die Wiederaufnahme von Diskussionsabenden selber zu finden - man übertreibt wohl kaum, wenn man eine Art Protest gegen die drohende Verflachung und Auflösung ihrer Ideale darin sieht. Die Absicht, ein "Programmbild", ein "Manifest" zu malen also als ein Versuch unter anderen, sich wieder zu fangen, wieder "Lust zur Kunst" zu bekommen.
Es scheint Overbeck gewesen zu sein, der den konkreten Anstoß zur Ausführung des Gemäldes lieferte; einen Beleg dafür liefert aber nur Howitt.[35] Demnach "kam Overbeck auf den Gedanken, es sollte jeder für den Andern ein Bild malen, in welchem die wesentliche Schönheit und der Charakter der Jedem eigenthümlichen Kunstweise zur Erscheinung kommen müßte; dieselben könnte, meinte er, ganz wohl durch zwei Frauengestalten, als Repräsentanten der beiden von ihnen erwählten "Arten der Malerei", dargestellt werden".[36] Die Stelle ist von Howitt nicht belegt, so ist die Datierung von Overbecks Wunsch unsicher - man könnte im Anschluß an die folgenden Ausführungen auch einen früheren Zeitpunkt als 1811 für möglich halten. Auffallend ist ebenfalls, daß die Textstelle so unvermittelt die Möglichkeit der Visualisierung ihrer Kunstideale in Gestalt von zwei Frauen als etwas neues (Konjunktiv!) ausdrückt. Diese Verschlüsselung bzw. Allegorisierung ihrer Ideale ist nämlich nicht erst 1811 geschaffen worden, sondern reicht länger zurück. Um das Gemälde von 1811 besser zu verstehen, wird es also nötig sein, den Entwicklungsweg der Hauptallegorien in erhaltenen Bildern und Texten nachzuspüren. Die wichtigsten Leitfragen dabei sollen der Zusammenhang der Frauen mit dem Bildthema sein sowie eine eventuelle verschiedene Charakterisierung der beiden.
Die erste nachweisbare Formulierung ihrer Ideale fällt schon in die Anfangszeit ihrer wiedererneuerten Freundschaft. Am 5.2.1808 gibt Overbeck auf eine briefliche Frage seines Vaters über das von ihm gewählte Fach die Zusammenfassung eines Gesprächs mit Pforr wieder. Während einer Unterhaltung über ihre Studienpläne und gegenseitiger Aufmunterungen, "mutig vorwärts und hinauf zu streben"[37], kam die Rede natürlich auch auf das Ziel dieser Bemühungen, aufs Ideal:
Wir forderten uns gegenseitig auf, uns jeder das seinige dem andern so viel möglich zu beschreiben und mitzutheilen. Pforr, der eine sehr lebhafte Phantasie besitzt, war mit dem seinigen bald fertig. Er zeigte mir ein Mädchen jung und schön, blond, zart und äußerst liebenswürdig, in einfacher, doch geschmackvoller Kleidung; nicht herausgeputzt, doch auch nicht ohne eine gewisse den Mädchen so eigene Neigung sich zu schmücken; kurz ein Mädchen, wie es Deutschland im Mittelalter hätte hervorbringen können.-
Nun kam an mich die Reihe. Pforrs angenehme Erzählung hatte auf einige Augenblicke ganz mein Ideal verwischt, ich glaubte in den ersten Augenblicken, er hätte in dem seinigen auch das meinige beschrieben; doch ich fand bald, daß noch etwas abgehe, und je mehr der Eindruck der Erzählung verschwand, desto mehr Unterschied fand ich wieder.
Doch war es noch so unbestimmt, das Bild, das meinem Geiste vorschwebte, da ich nie vorher darüber nachgedacht hatte, daß ich selbst nicht einmal wußte, ob ich es Weib oder Mann nennen sollte. Ein Wesen, war alles was ich sagen konnte, ernst, doch sanft, in ein mächtiges Gewand gehüllt, mit dunkeln Haaren, nur Kopf und Hände sichtbar, sonst alles in das großfaltige Gewand gehüllt: in der Mitte etwas Heiliges, Überirdisches; in Stellung und Geberde etwas Geheimnisvolles - kurz ein Wesen, das man nicht bloß lieben, sondern das man anbeten könnte; dessen Anblick einen hinreißen könnte zu den heiligsten Gefühlen.[38]
Pforr kommt von der Kunst übergangslos zu der Schilderung eines Mädchens - was nebenbei ein bezeichnendes Licht auf seine bisherigen Kontakte oder Beziehungen zu Frauen wirft: sind sie in diesem Ausmaß verfügbar für Projektionen gleich welcher Art, kann kein ungestörtes Verhältnis vorliegen.[39]
Es wird in dieser Briefstelle Overbecks deutlich, daß die Visualisierung des Kunstideals durch eine Frau von Pforr ausgeht, denn Overbeck selbst hatte sich anscheinend darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Für Pforrs Ideal von der Kunst läßt sich nur erschließen, daß sie "schön", "bürgerlich bescheiden", ohne große Leidenschaft des Ausdrucks, zum "liebhaben" ist. Der Zusatz "Deutschland im Mittelalter" ist aus der Schilderung nicht ableitbar, denn es ist nicht anzunehmen, daß Pforr bei aller Zeitkritik sich in seiner Gegenwart kein solches Mädchen vorstellen konnte - hat er doch von den Schwestern seines Freundes Passavant eine sehr hohe Meinung.
Overbeck fällt die Schilderung seines Ideals schwerer; bedeutsam ist, daß er an der ausschließlich irdischen Erscheinung des Pforrschen Ideals keinen Gefallen findet: er braucht etwas anbetungswürdiges, mit Autorität versehenes, etwas, was nicht nur angenehme, sondern vor allem "heiligste" Gefühle weckt. Für die damit gemeinte Kunst gibt Overbeck im weiteren Verlauf des Briefes nähere Erklärungen: ihm schweben religiöse Gegenstände aus der Bibel vor, mit wenig Handlung, in einfältiger aber bestimmter Zusammenstellung, mit denen der geheimnisvolle Eindruck hervorgerufen werden soll. Vorbildlich ist ihm zum Beispiel Wächters Hiob. Während man zu diesem Zeitpunkt also für Pforr eine Mädchengestalt als Personifikation seines Ideals nachweisen kann, ist es für Overbeck eigentlich noch nicht möglich, was mit der Un- bzw. Überirdischen Komponente seines Ideals zusammenhängt.
Daß bei den Schilderungen im Brief schon Maria und Sulamith gemeint sind, geht aus einer späteren Briefstelle von Overbeck hervor, wo er diese als Geburten der Phantasie zur Zeit der abendlichen Kunstgespräche in Wien bezeichnet.[40]
Als Overbeck noch im Februar 1808 mit der "Auferweckung des Lazarus", seinem "Erstgeborenen"[41] beginnt, liefert er damit einen Anlaß für die weitere Ausgestaltung ihrer Ideale. Während Overbeck einige Jahre später in einen Brief an seinen Bruder nur schreibt von "zwei Mädchen, die Pforr und ich haben zu der Zeit, da ich meinen Lazarus malte, in der Phantasie ausgemalt" und daß sie in seinem Herzen einen ähnlichen Platz wie seine Familie behaupten[42], erregen diese zwei Mädchen bei Pforr weit mehr und lassen ihn sogar ein Gedicht "An Deutschlands Frauen" verfertigen.[43] Anlaß dazu und überhaupt zu einem längeren Gespräch über ihre erträumten Frauen sind zwei weibliche Gestalten auf Overbecks Bild, "die ausnehmend schön und angenehm sind".[44] Pforr fährt fort:
Ich kam einen Abend zu ihm und setzte mich vor das Bild und sah mit innigem Wohlgefallen die zwei Weiber. Wir sprachen über Verschiedenes, und endlich fragte mich Overbeck, weil ich so unverwandt hinsah, im Scherz, ob ich in eine von beiden verliebt sei. Ich antwortete ja und konnte mich nicht enthalten, die mannigfaltigen Schönheiten an den Weibern zu nennen. Wir kamen im Gespräch weiter und jeder beschrieb ungefähr, wie ein Weib beschaffen sein müßte, das ihm gefallen könnte. Es war darüber dunkel geworden, welches unsere Phantasie noch mehr erhitzte, kurz, ich ging nach Haus, fühlte mich so voll, daß ich unwillkürlich mich hinsetzen mußte, und so entstand das Gedicht.[45]
Am gleichen Abend entsteht noch sein Emblem, ein Kreuz auf einem Totenschädel mit einem Schmetterling darüber; die Bedeutung: "der Schädel bedeutet den Tod, der Schmetterling die Seele, das Kruzifix die ewige Seeligkeit, von der wir nur durch den Tod Christi Gewißheit erhalten haben".[46]
Zu diesem Zeitpunkt bringen Pforr und Overbeck also ihr Ideal von der Kunst mit dem ihrer erträumten Frauen zusammen, wenn es auch nicht ausdrücklich gesagt wird.
Mit der "Allegorie der Freundschaft" ist zum erstenmal eine bildliche Darstellung nachweisbar, in der zwei Mädchen das Thema sind. Genau läßt sich ihre Entstehung nicht datieren, Pforr erwähnt sie zuerst im Brief vom 9.8.1808 an Passavant. Die Originalzeichnung ist verloren, erhalten ist eine Vorstudie, eine eigenhändige Konturenpause sowie eine Lithographie.
Zwei junge Frauen sitzen nebeneinander auf einer Bank, haben ihre Rechte ineinandergelegt und schauen sich an. Die linke Frau legt ihren linken Arm der anderen Frau um die Schulter, diese hält ein dreiblättriges Kleeblatt in ihrer Linken. Beide tragen Kränze: die Frau mit dem Kopfschleier einen Kranz aus enggeflochtenen Myrtenblättern, die andere Frau einen Lorbeerkranz. Beide tragen lange Kleider, die linke Frau mit Gürtel, während die rechte Frau das Kleid in Hüfthöhe gerafft hat und eine Art Schulterüberwurf trägt.
In der Mauer über den Frauen ist eine Abendmahlsdarstellung angebracht, links von den Frauen öffnet sich ein großes Fenster, unter dem in einem Kreis die Buchstaben P O P erscheinen. Aus dem Fenster schaut man auf zwei Türme: einen hohen gotischen und einem niedrigeren Rundbau mit Kegeldach; weitere Gebäude sind nach rechts hin angedeutet, vor allem auf der Vorstudie. Hinter der Stadt breitet sich das Meer aus, über dem sich gerade die Sonne erhebt. Ein Adler auf der Fenstrerbrüstung blickt zu ihr hin.
Vor den Frauen am Boden befinden sich: ein geöffnetes Geldsäckchen mit einigen davorliegenden Münzen; ein Schlüsselbund, eine geflügelte Scheibe, die von einer sich in den Schwanz beißenden Schlange umschlossen ist; ein Schwert; ein Hund, der zu den Frauen aufschaut. Auf dem Bodensockel unter dem Fenster steht noch ein Täfelchen mit der Jahreszahl "1808".
Den Sinn dieser Darstellung hat Pforr mit der Bezeichnung "Allegorie der Freundschaft" im oben erwähnten Brief selber angegeben: gefeiert wird die Freundschaft zwischen Pforr, Overbeck und Passavant - daher die Initialen "POP" -, obwohl sich Overbeck und Passavant noch lange nicht persönlich kannten und sich über Pforr erst gegenseitig Grüße übermittelt hatten.
Der Hauptbedeutung sind die einzelnen Gegenstände bei der Interpretation unterzuordnen; der Hund deutet dann auf die Treue[47], das Schwert auf Zusammenhalt in "Noth und Tod"[48] und die Bereitschaft, für die Freunde einzustehen, die Schlüssel auf Offenheit voreinander[49], das Geld nach Lankheit[50] auf die Gemeinsamkeit alles Besitzes, das Abendmahl weist auf die höchste Liebesfeier[51], der zur Sonne blickende Adler bedeutet vielleicht das künstlerische Streben[52], das Kleeblatt sowie die Initialen "POP" stehen für den Dreibund[53], und die sich in den Schwanz beißende Schlange ist ein altes Symbol für Ewigkeit, für ewige Wiederkehr.
Bei der geflügelten Scheibe - die manchmal als Herz gesehen wird[54], was aber nicht nachvollziehbar ist[55] - könnte man an eine durch Pforr falsch kopierte Allegorie denken: bei Henkel/Schöne ist ein Schlangenring um eine geflügelte Kugel abgebildet[56], was die das Schicksal überwindende Weisheit bedeuten soll. Vielleicht hat Pforr auf einer verwandten Vorlage die Kugel fälschlicherweise als frontal von vorne gesehene Scheibe gedeutet und so auf seiner Zeichnung verwendet.
Wichtiger als die Bedeutung der Einzelgegenstände auf dieser Zeichnung ist aber die Charakterisierung der beiden Frauen, der Bezug zu den Idealen Pforrs und Overbecks. In dieser Illustration wird - außer der dargestellten Verherrlichung der Freundschaft - oft der Keim für die spätere Darstellung der beiden Kunstideale gesehen[57], weshalb eine der Frauen für Deutschland, die andere für Italien stehen soll. An der Kleidung kann man aber keine nationale Differenzierung erkennen, deswegen wurden die Kränze dafür herangezogen: während der eine Kranz vielleicht aus Lorbeer besteht und deswegen auf Italien verweisen könnte, besteht der Kranz der linken Frau auf jeden Fall nicht - wie Lankheit meint[58] - aus Eichenlaub, sondern eher aus Myrthenblättern. Damit wären die Kränze aber nicht eindeutig interpretierbar, sondern einer als Brautkranz und der andere - falls es Lorbeer ist - als Lohn für strebende Tugend bzw Tapferkeit; sollen aber Rosmarinblätter gemeint sein, was auch möglich wäre, hätten beide Mädchen einen Brautkranz - eine verführerische Deutung.
Auch bei den Gebäuden im Fensterausschnitt kann die "Nord-Süd Differenzierung"[59] nicht aufrechterhalten bleiben: der hohe schlanke Turm rechts weist zwar deutlich gotische Züge auf und könnte somit für Deutschland stehen, aber der Rundbau daneben ist nicht ausschließlich italienisch charakterisiert: denkbar ist auch ein mittelalterlicher Turm, vielleicht ein Burgturm, wie ihn Pforr auf dem Gemälde "Graf Habsburg und der Priester" dargestellt hat.
Möglicherweise von tieferer Bedeutung ist die enge Anlehnung an Dürers Melancholiestich von 1514: zum ersten Mal läßt sich bei Pforr ein so enger Bezug zu seinen Vorbild nachweisen. Vergleichbar ist nicht nur die Sitzhaltung der linken Frau - weshalb sie von Grote auch sofort als "Germania" angesehen wird[60], sondern die Kleidung beider Frauen übernimmt Teile der Kleidung der Melancholie: der Gürtel mit seinem Kreuzmuster, der Schulterüberwurf, die Ärmel, die Art der Kleider überhaupt. Da das auf beide Frauen zutrifft, will Grotes Deutung, eine der beiden Frauen sei Germania, nicht einleuchten.
Außer der Kleidung ist die ganze Komposition - besonders bei der Vorzeichnung - an das Vorbild angelehnt: im rechten Bildteil die Bank mit der Mauer im Hintergrund, links der Ausblick auf das Meer. Auch einzelne Motive finden sich wieder: Hund, Geldsack, Schlüsselbund. Über den Sinn dieser engen Anlehnung könnte man an Pforrs Ausspruch denken, daß seine "angenehmsten Empfindungen an das Ernste, ich möchte sagen Melancholische grenzen", den er in Anschluß an die Beschreibung des Zustandekommens seines Gedichtes an Deutschlands Frauen und nachfolgenden Entwurf seines Emblems macht.[61] Der Hauptsinn dieser Adaption liegt aber wohl in der programmatischen Hinwendung zu Dürer.
Zusammenfassend läßt sich zur "Allegorie der Freundschaft" also feststellen, daß eine nationale Charakterisierung der beiden Frauen und des Ambientes nicht eindeutig nachweisbar ist[62], wohl aber vielleicht eine Charakterisierung der Frauen als Bräute, die in einem Dürer entliehenen Kompositions-"Raum" sitzen und deshalb vielleicht noch einen Hinweis auf die Melancholie als mit Freundschaft verbundene Empfindung geben. Eine Darstellung der Kunstideale - wie es neben Grote vor allem Lankheit[63] vermutet - kann man aus der Zeichnung jedenfalls nicht ablesen.
Im selben Jahr beginnen Pforr und Overbeck mit der Arbeit an je einem ihrer Hauptwerke; beide nehmen als Thema ein Einzugsbild, was als Absicht gesehen werden muß: Pforr beginnt den "Einzug König Rudolfs von Habsburg in Basel 1273" und Overbeck seinen "Einzug in Jerusalem" - Pforr tritt in die von ihm verehrte Welt des Mittelalters ein, Overbeck in die geliebte Welt des Neuen Testaments. Auf beiden Gemälden ist das Idealpaar Sulamith und Maria dargestellt.
Overbeck scheint zuerst begonnen zu haben: von seinem Gemälde, das 1942 verbrannte und nur noch als Foto zu beurteilen ist, haben sich die Entwurfsskizze und der Karton erhalten. Während sich auf der undatierten Entwurfsskizze, die im Frühjahe/Frühsommer 1808 entstanden sein dürfte, die beiden Idealfrauen noch nicht finden, sind sie auf der Vorzeichnung, dem Karton, in der Nähe des Bildzentrums zu sehen, auffälliger als die Gestalt von Christus selber. Sie neigen ihre Köpfe aneinander, halten sich umfaßt und schauen aus dem Bildraum heraus zum Betrachter. Beide sind ähnlich gekleidet und haben vergleichbare Frisuren. Soweit die Abbildungen es erkennen lassen, sind sie nicht unterschiedlich charakterisiert.
Dieser Karton ist durch einige Erwähnungen in Briefen Overbecks an seinen Vater zu datieren[64]: demnach scheint er mit der Arbeit im Juli 1808 begonnen zu haben (was auch durch Briefe Vogels bestätigt wird[65] und zeichnet im Januar 1809 an der Gruppe seiner Familie, die er vollzählig im Bild anbringen will und deshalb um Erlaubnis bittet. In der zweiten Jahreshälfte 1808 sind dann also die beiden Frauen zum ursprünglichen Bildentwurf hinzugefügt worden. Im Ölgemälde, an dem Overbeck im Juli 1809 begann, haben sie ihre zentrale Stellung zwar noch behalten, ihre frühere Verbundenheit - durch Kopfhaltung und Umarmung zum Ausdruck gebracht - ist aber nun etwas gelockert: nur noch die linke Frau neigt ihren Kopf in Richtung der anderen, diese aber steht aufrecht mit erhobenen Kopf und schaut fast gebannt auf den Heiland, die linke Hand locker nach unten hängend, den rechten Arm um die Schulter der linken Frau gelegt. Beide haben ihren etwas vom Bildgeschehen isolierten Eindruck verloren und sind voll in das Gemälde integriert, indem ihre ganze Aufmerksamkeit dem Heiland zugewandt ist.
Der Farbcharakter läßt sich wegen dem Verlust des Bildes nicht mehr beurteilen, doch scheinen sie verschieden getönte Kleidung zu tragen: das Kleid der rechten Frau ist viel heller. Auch die Frisuren unterscheiden sich etwas: die linke Frau hat offene Haare mit einem Mittelscheitel, eine Haarschnur um den um den Kopf und eine durch das Ohr von der hinteren Haarmasse abgetrennte lockige Haarsträhne; im Ohr ist ein Ohrring mehr zu ahnen als zu sehen. Die rechte Frau hat einen Seitenscheitel (an ihrer rechten Seite) und hinter ihrem linken Ohr wahrscheinlich eine Haarspange, die nicht erkennbar ist, aber das Haar deutlich nach hinten hält. Die Haare scheinen heller und lockiger als bei der anderen Frau zu sein. Zum schlichten Kleid trägt sie einen auffallenden Gürtel, während er bei der anderen fehlt, und ist deswegen als Sulamith anzusehen. In einem Brief vom 29.3.1811 an den Vater, in dem er seinen Vorschlag, mit Hilfe der Phantasie aus schlechten Zeiten zu fliehen, mit einer ausführlichen poetischen Beschreibung des Einzugs in Jerusalem - nicht der Beschreibung des Gemäldes, aber dieses als Grundlage - ein Beispiel gibt, schreibt er:
...nur etwa jene beiden Jungfrauen nicht, die mit ihnen sind, mit den herabhängenden, schön wallenden blonden Haaren; sie selber sind Schwestern und Freundinnen meiner Seele - sie heißen Maria und Sulamith - und fürwahr, ich freue mich, auch diese hier zu sehen! sie machen mir den ganzen Auftritt doppelt angenehm, denn sie beyde, aber insonderheit die jüngere Sulamith! hat mein Herz umstrickt mit ihren goldenen Haaren, mit ihren blauen Augen, die glänzender und durchsichtiger sind als die Edelgesteine ihres Gürtels. Ist sie nicht schön? - Ja meine Freundin, du bist schön, schön bist du, die unter den Rosen weidet! O du schöne Zeit, da ich dich täglich sah, wenn der Tag kühler wurde und die Schatten sich streckten, am Arm des Freundes! Da tratest du mir entgegen und meine Finger spielten mit deinen Locken, die die köstliche Spange kaum zu halten vermochte, so entquollen sie in üppiger Fülle! da umgürtete ich oft deinen Leib mit kostbaren Gürtel, aber mein Herz hing mit Wonne an deinen Augen, wie gefesselt und durstig trank ich jedes Wort von der purpurnen Lippe![66]
In einer Anmerkung zu dem Namen "Sulamith und Maria" erklärt Overbeck ihre oben zitierte "Entstehung" bei den abendlichen Kunstgesprächen in Wien. Die im Brief erwähnten Locken, die Haarspange und der Gürtel, vielleicht auch das etwas jugendlichere Aussehen im Vergleich zur anderen, lassen zwar auf eine unterschiedliche Charakterisierung der beiden Frauen im Hinblick auf die Idealvorstellung von Pforr und Overbeck schließen, aber wiederum nicht feststellbar ist eine nationale Differenzierung. Der besonders starre Blick der Sulamith zum Heiland kann allerdings auf die beherrschende Rolle der Religion bei Overbeck verweisen, der ja fast ausschließlich religiöse Bilder malte und malen wollte.
Etwas unsicherer als Overbecks Bild ist Pforrs Arbeitsbeginn am "Einzug des Königs Rudolf von Habsburg in Basel 1273" zu datieren. Aus Pforrs Briefen an Passavant lassen sich folgende Angaben gewinnen: am 1.6.1808 meldet er, daß er in Johannes Müllers "Schweizergeschichte" liest; am 12.11.1808 teilt er mit, daß er "etwas aus der Schweizergeschichte" zeichnet, "welches in der Stadt Basel vorfällt", deshalb bittet er Passavant, der auf einer Schweizerreise auch durch Basel kam, um Mitteilung über die Bauart der Straßen und Häuser, und zwar möglichst bald; am 6.1.1809 dankt er für die Skizze des Rathauses, das er aber "wegen der Bauart" nicht brauchen könnte. Jetzt meldet er, daß er am Bild des Einzugs von König Rudolf malt.
Scheinbar etwas im Gegensatz zu diesen Daten, die einen Arbeitsbeginn gegen Ende 1808 nahelegen, stehen einige Erwähnungen des Bildes in der Literatur über Ludwig Vogel, wonach dieser Pforr kennenlernte, als der gerade am "Einzug" malte bzw arbeitete.[67] Vogel kam am 13.5.1808 in Wien an, meldet seinen Eltern am 16.6. die Bekanntschaft mit Overbeck, ist aber schon am 10.7., seinem Geburtstag, Gründungsmitglied des Künstlerzirkels; am 16.7. erwähnt er zum erstenmal Pforr, lernte ihn aber offensichtlich kurz nach Overbeck Ende Juni/Anfang Juli kennen.
Das würde also darauf hinweisen, daß Pforr gleichzeitig mit Overbecks Karton im Juli 1808 die Konzeption seines Bildes begonnen hat, aber verhindert durch Krankheiten[68] erst im Herbst weitermachen konnte. Die Arbeit zog sich wahrscheinlich allein schon durch die Menge der dargestellten Figuren dermaßen in die Länge, daß Pforr noch im November für nicht fertig entworfene Partien Detailstudien betrieb: so ist der Brief an Passavant vom 12.11.1808 zu verstehen, darauf deutet aber auch der "Auftrag" Vogels im Brief vom 16.11.1808 an seinen Vater[69], sich in Zürich um Abbildungen altschweizerischer Kostüme zu bemühen, die Pforr für sein Bild verwenden wollte, da er auf der akademischen Bibliothek kaum etwas fand.
Wie auch zu Overbecks Bild gibt es eine Vorzeichnung - allerdings nicht im gleichen Format wie das spätere Gemälde -, welche man nach dem Vorstehenden für den Zeitraum Juli bis etwa Oktober 1808 ansetzen kann.
Da das Gemälde erst in Rom vollendet wurde, man deswegen die Ausführung der Frauendarstellung auch auf etwa 1810 ansetzen muß, soll vorerst nur die Vorzeichnung kurz besprochen werden. Von rechts bewegt sich der Reiterzug des Rudolf von Habsburg durch ein Stadttor nach links; in der Mitte des Bildraums, an der Stelle, wo der Zug ins Bildinnere abschwenkt, reitet gerade noch von der Seite gesehen Rudolf in schlichterer Kleidung als die meisten Reiter seiner Umgebung. Die Straße, in die der Reiterzug einschwenkt, führt zu einen Platz, wo sich die Ratsmitglieder gerade zum Empfang versammeln. Ganz im Hintergrund erkennt man die beiden Türme des Basler Münsters.
An der vorderen Hausfront des Eckhauses hinter Rudolf befinden sich im Obergeschoß zwei nahe beieinanderliegende Fenster, die sich offenbar zum selben Innenraum öffnen. Im linken erscheint das Frauenpaar, beide jung, mit ähnlicher Kleidung und Frisur. Eine schaut zum König, die andere in Richtung Stadttor. Aus dem Fenster daneben schaut ein älteres Ehepaar: der Mann deutet auf Rudolf, die Frau schaut aber nur unbestimmt nach unten. Das obere Viertel jedes Fensters besteht aus Butzenscheiben, die ein Wappen in in runden Rahmen einschließen. Unter dem Doppelfenster befinden sich an der Hauswand drei Wandbilder mit Szenen aus der biblischen Josefsgeschichte: Traumdeutung im Kerker, Traumdeutung beim Pharao, Josef gibt sich seinen Brüdern zu erkennen. Ein möglicher Bezug dieser Darstellungen zu den Personen in den Fenstern soll erst bei der Behandlung des fertigen Gemäldes erwähnt werden. Wiederum ist keine unterschiedliche Charakterisierung der beiden Frauen zu erkennen; sieht man von der auf sie weisenden Lanze eines Reiters ab, sind sie auch nicht durch stilistische oder kompositorische Mittel betont, sondern erscheinen voll in das Bildgeschehen integriert, denn aus fast jedem Fenster schauen Bürger dem Einzug Rudolfs zu.
Voll in die Handlung integriert erscheinen auch zwei Schwestern auf einem unvollendeten Aquarell Pforrs, von Max Hasse "Die Ankunft des Ritters" genannt.[70] Ein Ritter tritt in ein Zimmer, wo ihn eine als recht schüchtern charakterisierte junge Frau weniger begrüßt als von den Eltern übergeben wird; augenzwinkernd steht der Vater neben ihr und ein Priester hinter ihr soll die Verbindung anscheinend gleich absegnen. Am Fenster, das sich in eine Fluß- oder Seenlandschaft mit steil aufragenden Bergen und Burgen öffnet, steht ein Mädchen, welches dem Geschehen im Zimmer den Rücken kehrt und versunken nach außen schaut, vielleicht zu dem auffallenden Kreuz auf einem steilen Felsen. Die Mutter schaut sich zu ihr um, während die anderen keine Notiz von ihr nehmen. Ganz eindeutig gibt das Aquarell eine Szene aus einer längeren Geschichte wieder, sei sie aus einem Roman oder von Pforr, der gerne als Schriftsteller tätig war, selbst erfunden.
Zum Inhalt läßt sich nur erschließen, daß die eine Frau dem Ritter schon zugesprochen gewesen sein muß: darauf deutet die selbstverständliche Art, wie dieser die Hand des Mädchens erwartet, auch die strengere Charakterisierung der jungen Frau mit geflochtenen Haaren und fast unterwürfiger Haltung sowie der Blick des Vaters und die Anwesenheit des Priesters. Die andere Frau, die sich so offensichtlich vor dem "Glück" ihrer Schwester verschließt, scheint eine schmerzliche Erfahrung hinter sich zu haben, der doch so auffallenden Anwesenheit des Kreuzes nach vielleicht sogar den Verlust ihres Bräutigams. Sie erwartet jedenfalls niemanden, worauf außer der traurigen Haltung auch die offenen Haare hinweisen - als Zeichen für Ungebundenheit - und der mitleidig-besorgte Blick der Mutter.
Wahrscheinlich gehört zum unmittelbaren Umkreis dieser Geschichte, dieses Aquarells ein seltsames, noch unveröffentlichtes Gedicht Pforrs[71], das die Liebesklage eines Mädchens zum Inhalt hat. Es beginnt in den ersten drei Versen mit der Frage an das Mädchen, warum es so klagt und gibt in den restlichen acht Versen ihre "Antwort": sie hat ihren Liebsten verloren und trauert um ihn am Ufer eines Flusses, dabei nährt sie eigene Todesgedanken.
Der Verlust des Geliebten als Thema legt nahe, auch eine Verbindung zu dem unvollendeten - leider nach dem 2. Weltkrieg zusammen mit dem Overbeck-Nachlaß verschollenen - Sternauer Roman von Pforr zu ziehen. Darin wird nach Lehr, der leider die schriftstellerischen und dichterischen Arbeiten Pforrs zu streng nach ausschließlich ästhetischen und stilistischen Kriterien als mangelhaft bezeichnet und deswegen als unbedeutend stark vernachlässigt, eine Anekdote erzählt über einen jungen Schwaben, der seines zerrütteten Geistes wegen den Freitod im Kampf gegen Apeninnenräuber sucht. In der Gestalt des Schwaben verarbeitet Pforr sein eigenes Schicksal, wie Lehr meint.[72]
Damit würde sich wiederum ein Bogen von Pforr und seinen Zukunftsängsten zu dem Aquarell schlagen lassen. Das Mädchenpaar ist also auch hier nicht in der Eigenschaft der Personifikation von Idealen angebracht, dagegen werden mit ihnen Züge der eigenen erhofften/befürchteten Schicksale verbildlicht.
Offensichtlich hat Pforr zu der Zeit der Entstehung dieser Arbeiten (1809/1810) schon begonnen, sich in eine Traumwelt zu flüchten, worin immer wieder ein junges Frauenpaar auftaucht, aber in verschiedenen Zusammenhängen.
Am weitesten ausgestaltet hat Pforr das Thema "Mädchenpaar" in der Legendenerzählung "Sulamith und Maria" und den Bildern in deren Umkreis. Um diese Bilder mit der Erzählung zu verbinden ist es nötig, den Text zu kennen.[73] Wann Pforr daran gearbeitet hat, ist nicht zu erschließen, bekannt ist nur, daß er Overbeck zu dessen Geburtstag am 25.9.1811 eine säuberliche Abschrift schenkte[74], aber schon im Vorjahr eine Szene daraus illustriert hatte. So wird man annehmen können, daß sich Pforr ab Sommer/Herbst 1810, seitdem er endgültig begann, sich von anderen Menschen zu isolieren, in seine Traumwelt flüchtete. Darauf weisen auch einige Stellen aus seinen Briefen hin, z.B. schreibt er im Entwurf zum Brief vom 15.12.1810 an Passavant: "In meiner Zelle ist mir wohl, obschon ich Mühe und Arbeit genug in ihr finde, allein ich kann doch wahr und herzlich mit meinen Figuren (!) sprechen, und das kann man ja kaum sonst mehr", und im Brief vom 5.5.1811 verteidigt er sein fünfmonatiges Stillschweigen mit den "vielen Ideen und Geschäfte, die abgetan werden mußten".
Das "Buch Sulamith und Maria" besteht aus zehn Kapiteln. Es beginnt mit der Vorstellung der Eltern und der besonderen Geburtsumstände, die die Namensgebung der Kinder beeinflußten. Joseph und Elisabeth lebten schon 12 Jahre miteinander in Wohlstand, waren aber zu ihrem Leidwesen kinderlos. Kurz nachdem sie sich in ihr Schicksal gefunden hatten: "was der Herr tut, das ist wohlgetan" - war ihre Prüfung beendet und Elisabeth wurde schwanger. Die Geburt der Zwillingsschwestern gestaltete sich aber so kritisch, daß man glaubte, Elisabeth würde nicht mit dem Leben davonkommen und Joseph deshalb Trost in der Bibel suchte. Als er gerade das Hohelied mit der Stelle "Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith; kehre wieder, kehre wieder, daß wir dich schauen" aufgeschlagen hatte, bekam er die Nachricht von der Geburt einer Tochter, die er daraufhin sofort Sulamith nennen wollte. Als er noch einmal zum Warten angehalten wurde und er wiederum in der Bibel zufällig die Stelle des Lukasevangeliums aufschlug, in der Gabriel nach Nazareth zu Maria, der Frau Josephs, gesandt wird, bekam er die Nachricht von der Geburt einer weiteren Tochter, die folglich nur noch Maria heißen konnte. Beide wuchsen dann in großer "Schönheit und Zucht" auf.
Zu dieser Zeit herrschte ein Königspaar, das ebenfalls an Kinderlosigkeit litt. Als die Königin einmal am Haus Josephs vorbeifuhr und die beiden schönen Töchter sah, überzeugte sie ihren Mann davon, daß sie für ihr Seelenheil unbedingt eins dieser Mädchen im Hause bräuchte. Die beiden Mädchen, von ihren Eltern schweren Herzens vor die Wahl gestellt, welche zur Königin wollte, waren sich schnell einig: Sulamith wußte, wie schwer der häuslichen Maria ein Abschied von ihrem Heim fallen würde und ging freiwillig zur Königin. Dort wurde sie wie eine Tochter behandelt und mit allen erdenklichen Reichtümern verwöhnt. Bei gegenseitigen Besuchen zeigte sich der verschiedene Charakter der Zwillingsschwestern deutlich: Sulamith, die weltoffene, besuchte Maria häufig; diese, die häusliche, Sulamith dagegen nur selten. Auch in ihrer Einstellnug zum Schmuck waren sie sehr verschieden: während Sulamith es genoß, sich mit allen möglichen Schmuckstücken königlich herauszuputzen, kleidete sich Maria bewußt "nach Art der Bürgerstöchter" und weigerte sich, Gold und Edelsteine anzunehmen; nur zwei Ohrringe und ein elfenbeinernes Kreuz konnte Sulamith ihr als Geschenk aufdrängen.
Als die Königin starb, durfte Sulamith mitsamt den Schmuck zu ihren Eltern zurückkehren. Joseph begann sich nun Gedanken über eine Verheiratung seiner Töchter zu machen. Da träumte er nachts, daß er zwischen seinen Töchtern saß und zwischen ihm und Sulamith ein Palmzweig, zwischen ihm und Maria ein Rosmarinzweig emporwuchs, welche beide hochwuchsen und die Mädchen überschatteten. Auf diesen Traum hin wachte er auf und überlegte sich eine Deutung: für Sulamith sah er darin Glück und Frieden ausgedrückt, für Maria dagegen den Tod.
Zufällig war am Tag nach dem Traum Heiligabend, und zum Ersatz für zwei geladene, aber verhinderte Bekannte befahl er seiner Frau, die nächsten beiden draußen Vorbeikommenden zum Mahl einzuladen; zwei junge Malergesellen waren gerade vor der Tür und wurden hereingebeten. Beim Essen bemerkte Joseph zu seiner Überraschung, daß beide ein Zeichen auf die Brust gestickt hatten: sie erklärten daraufhin, daß sie Mitglieder eines Malerbundes wären, der zur Verbesserung ihres Handwerks gegründet war. Der eine, Johannes, trug ein weißes Täfelchen mit einem grünen Palmzweig, der andere, Albrecht, ein rotes Täfelchen mit einem schwarzen Kreuz auf weißem Totenkopf. Joseph erkannte daraus sofort die wahre Bedeutung seines Traumes, erzählte aber erst nach einem Jahr und der näheren Bekanntschaft mit den beiden seiner Frau davon und äußerte die Absicht, seine Töchter mit den beiden Gesellen zu verheiraten.
Zuerst wollte er sie aber noch einmal prüfen und erzählte ihnen von einem Fest, das er zur Vermählung seiner Töchter geben wolle - worauf beide Gesellen sehr erschraken. Albrecht vertraute sich Johannes an und erzählte ihm von seiner Liebe zu Maria, worauf Johannes sofort zu Joseph ging und für seinen Freund um die Hand von Maria bat. Joseph beendete nun aber seine Prüfung und versprach beiden eine Tochter. Am nächsten Tag ging Johannes zu Sulamith, um sie um ihr Jawort zu bitten; er fand sie im Garten, und unter einer Palme, an der sich ein Weinstock hochrankte, war die Verlobung schnell beschlossen. Albrecht fand seine Maria in einem Zimmer beim Nähen, hatte es bei ihrer Schüchternheit etwas schwerer, erhielt aber ebenfalls ihr Jawort.
Beide Paare bekamen dann von Joseph ihren Segen: Sulamith wurde als edle Rose angesprochen, der es an nichts fehlen werde und die in Reichtum leben werde, Maria aber als unschuldige Lilie, deren Zukunft insgesamt etwas bescheidener ausfallen werde, aber mit zufriedenen Herzen ertragen werde.
Als der König von der Verlobung hörte, ließ er Sulamith und Johannes zu sich kommen und beauftragte Johannes mit der Ausmalung seines Münsters "Unserer lieben Frauen". Johannes erbat und erhielt die Erlaubnis zur Mitarbeit von Albrecht, und so entwarfen sie gemeinsam den Plan zur Ausmalung: Johannes übernahm den Hauptaltar, die vier Seitenaltäre und die Ausmalung einer Seitenkapelle, Albrecht ein Bild dieser Seitenkapelle und die Ausmalung einer zweiten - also weniger und unbedeutendere Arbeiten. Johannes wählte für das Münster Themen aus der Mariengeschichte, für seine Seitenkapelle Geschichten aus dem Leben des Evangelisten Johannes. Albrecht steuerte für diese die Darstellung der Apokalypse bei und entwarf für die andere, die Kapelle der Ritterschaft, Szenen aus dem Leben des Hl. Georg aus Kappadokien sowie Bilder über das richtige, tugendhafte Leben eines Ritters. Mit den guten Zukunftsaussichten der Gesellen konnte nun die Hochzeit geplant werden.
Am Morgen des von Joseph festgesetzten Hochzeitstages erwachte Sulamith zuerst und weckte Maria: "Steh eilends auf, daß wir uns schmücken zur Hochzeit." Nachdem sie vor einem Marienbild gebetet hatten, kleideten sie sich an, was von Pforr ausführlich geschildert wird. Sulamith zog ein weißes Kleid mit reich verzierten Mieder an, Maria ein rotes Kleid mit schwarzen Saum. Die verstorbene Königin hatte Sulamith ein Kästchen geschenkt mit Schmuck, den noch niemand getragen hatte; mit dem schmückte dann Maria ihre Schwester, wobei eine rubinbesetzte goldene Haarspange und ein edelsteingeschmückter Gürtel aus Gold besonders auffallen - Overbeck erwähnt solchen Schmuck in der oben zitierten Briefstelle als kennzeichnend für seine Sulamith.
Während nun Sulamith aussieht "wie die Sonne beim Aufgang", ließ sich die bescheidene Maria nur mit einem elfenbeinernen Kruzifix an "rosinfarbener Schnur" und zwei Ohrringen mit aus Beryll geschnittenen Granatäpfeln schmücken. Zum Abschluß setzen sich beide Myrtenkränze auf. Kurz darauf werden sie vom Brautzug abgeholt - wobei ein Knabe als Begleiter Albrechts besonders erwähnt wird - und halten den Tag über Hochzeitsfeierlichkeiten. Am Abend eröffnet Joseph den beiden Paaren, daß er eine lange Reise tun muß und seine Frau - die wahrscheinlich auch davon überrascht ist - solange zu ihren Bruder bringt. Am Ende des Hochzeitstages werden die Paare noch in ihre Häuser geleitet.
Am nächsten Morgen reisen Joseph und Elisabeth ab, sind nach neun Tagen bei dem Bruder, und Joseph reist allein weiter. Seine "Geschäfte", die nicht erläutert werden, nehmen ein ganzes Jahr in Anspruch, und während dieser ganzen langen Zeit scheinen Joseph und Elisabeth untereinander und mit den beiden Brautpaaren keinen Kontakt zu haben.
Als Joseph wieder zurück bei seiner Frau ist, schicken sie einen Boten zu ihren Kindern und machen sich auf die Heimreise. Nach sieben Tagen kommen die beiden "Gesellen" ihnen entgegengeritten, von ferne noch nicht zu erkennen, einer grün gekleidet auf "blanken Schimmel", der andere rot gekleidet und auf einem schwarzen Pferd. Nach herzlicher Begrüßung reiten die beiden wieder vor in die Stadt.
Joseph und Elisabeth machen sich am Tag nach ihrer Heimkehr auf, ihre Kinder zu besuchen. Zuerst gehen sie zu Sulamith und Johannes: Sulamith sitzt im Garten, der ausführlich beschrieben wird. In ihm wachsen Feigenbäume, Granatapfelbäume, Weinstöcke, Mandelbäume, Palmen, Blumen; an Tieren finden sich weiße Rehe, Reiher, Pfaue, Tauben; dazu steht noch ein Brunnen in ihm. Insgesamt vermittelt dieser Garten ein Bild südlicher Fruchtbarkeit.
Sulamith hat gerade ihr erst einige Monate altes Knäblein auf dem Schoß. Nach der ersten Begrüßung führt sie ihre Eltern ins Haus, ein trotz des Zusatzes "einfältig erbaut ohne große Pracht" palastartig anmutendes Gebäude mit offenem Säulengang, Gemächern, Hallen und einem Söller. Der Säulengang ist schon mit alttestamentlichen und apokryphen Gestalten bemalt. Johannes arbeitet gerade an einem Handriß für das Münster.
Nach einem Mittagessen unter der Palme und einem Rundgang durchs Haus mit Vorführung von Johannes' Arbeiten - lauter Geschichten aus dem Leben und Leiden Christi - besuchen alle zusammen Maria und Albrecht, die in einem kleinen alten Haus an der Stadtmauer zusammen mit dem von Albrecht geliebten Knaben wohnen. Vor dem Eintritt sehen sie durch das Türfenster Maria in der Stube sitzend nähen, ein wohl eher etwas trauriger Anblick, doch auf die besorgte Frage der Mutter nach dem Wohlergehen antwortet Maria - wie nach dem Segen Josephs nicht anders zu erwarten - daß sie zufrieden und glücklich sei. Ein Kind hat das Paar noch nicht. Albrecht selber ist gerade an der Arbeit, und auch seine Bilder werden begutachtet: lauter Geschichten aus den Legenden der Heiligen und Taten der Väter. Die Wohnung ist sehr "idyllisch": durch ein außen von einem Weinstock umranktes Fenster sieht man auf einen Strom, der die Stadt in zwei Hälften teilt; alles in der Stube ist betont alt, als Vollendung der Idylle besitzen Maria und Albrecht auf der Stadtmauer ein Gärtchen, das nur zum Strom hin nicht von hohen Mauern umgeben ist, also sehr abgeschlossen ist. Am Abend wird noch ein einfaches Essen eingenommen, und Joseph rührt die Versammlung mit seinem Dank an Gott über sein und seiner Kinder Glück.
Die ganze Erzählung ist eine kuriose Mischung aus imaginierten altdeutschem Milieu, alttestamentlichen Patriarchenerzählungen, verfaßt in einem penetrant anmutenden "altdeutschelnden" Ton, über allem wie ein Alpdruck die Moral des 19. Jahrhunderts. Völlig willkürlich entscheidet und handelt Joseph, völlig bewußtlos sagt Elisabeth "Ja und Amen" zu allem und "schafft", erschreckend eng und perspektivenlos gestaltet sich das Schicksal der beiden Schwestern - besonders das von Maria -, wenig verlockend auch die Zukunftsaussichten zumindest des zweiten Gesellen, von Albrecht. Das ganze macht auch ohne nähere Kenntnis der Lebensumstände des Autors weniger den Eindruck von freudiger Schilderung eines Ideals als den einer verbitterten Flucht aus der Gegenwart.
Der Inhalt der Legende ist für das Thema dieser Arbeit von zentraler Bedeutung: er erklärt einige Züge der schon vorgestellten Bilder, er ist unverzichtbar für die folgenden Werke. Zum erstenmal erscheinen die beiden Frauen direkt verbunden mit verschiedenen Kunstweisen, wobei es wichtig ist, daß es keine oberflächliche Beziehung ist, sondern die gesamten Lebensumstände, die Lebensweise umfaßt. Ein Künstler muß ein "gutes" Leben führen, er soll vorbildlich in allen Belangen sein.[75] Die Frauen stehen für verschiedene Lebensweisen, für verschiedene Klassen geradezu, aber in jeder ist derselbe Kanon von Werten bestimmend, wie Gottesfurcht, tugendhafter Lebenswandel, Liebe untereinander u.ä. Die beiden Frauen zeigen, daß die verschiedenen Kunstweisen eine gemeinsame Wurzel haben: sie sind Zwillingsschwestern. Nur aus einem reinen, gottergebenen Gemüt entspringt die wahre Kunst[76] - die Eltern der Mädchen wurden vierzehn Jahre lang geprüft und fanden sich in ihr Schicksal. Die Kunst ist schwer für den, der sie ausübt - die Klagen der Lukasbrüder sprechen Bände zu diesem Thema -, so war auch die Geburt der Zwillingsschwestern sehr kritisch. Die Herkunft der Namen wird geklärt: Sulamith ist die königliche Braut des Hohenliedes, Marias Namenspatronin ist die Gottesmutter[77], die Magd des Herrn, die gleichzeitig das größte Leid ertragen mußte, den Tod ihres Sohnes. So werden die verschiedenen Charaktere und Eigenschaften im Text immer weiter herausgearbeitet: Sulamith, die edle Rose, ist die weltoffene, gewandte, zweimal ganz direkt mit einem fruchtbaren südlichen Garten verbundene, auch selber fruchtbar, denn sie hat schon ein Kind; Maria dagegen ist bescheiden, bürgerlich, immer als "Heimchen" gezeichnet, seit der Ankündigung der Hochzeit in Josephs Traum begleitet von einem Schatten des Todes. Kleidung und Schmuck charakterisieren die Frauen weiter. Auch private Belange von Overbeck und Pforr werden verschlüsselt: die tiefe Freundschaft der beiden, Pforrs Liebe zu dem italienischen Knaben Safferio, die Mitgliedschaft im Lukasbund mit seinen Gebräuchen. Besonders auffallend auch die Huldigung Pforrs an seinen Freund, indem er den Gesellen Albrecht durch Johannes' Mithilfe zu seiner Braut kommen läßt - nur durch Overbeck meinte Pforr auf den richtigen Weg in der Kunst zu kommen.[78] Selbst der höhere Rang der Overbeckschen Kunstweise wird ausgedrückt: Sulamith ist die Erstgeborene.[79] Nicht zuletzt werden genau die Malthemen geschildert, die jeden von beiden vorschweben: Overbeck malt Geschichten und Gestalten aus der Bibel und den Apokryphen, auch sein Lieblingsevangelist Johannes wird besonders betont; Pforr malt Legenden und "Taten der Väter", steuert aber auch eine Darstellung aus der Offenbarung hinzu - und tatsächlich ist er in der Realität mit einem großen Karton dazu beschäftigt (Ende 1810), wie er auch zum erwähnten Hl. Georg aus Kappadokien ein Triptychon entworfen hat und den Drachenkampf als Gemälde ausführte.
Im Nachhinein ist es unübersehbar, wie diese mit den Schwestern verbundenen Bezüge schon in den vorher geschilderten Einzugsbildern seit ihrer ersten Konzeption (Mitte 1808) mitschwingen. Die Schwierigkeit dabei ist, daß die Schwestern nicht mit Hilfe eines platten Rasters charakterisiert sind ("deutsch - italienisch"), sondern daß ihre Eigenart viel tiefer reicht - und dies ist nur mit einer Schilderung auch des "Umraums" auszudrücken, bzw. nur dann für Außenstehende erkennbar.
Mit dem bekannten Inhalt der Erzählung läßt sich eine Zeichnung Pforrs (datiert auf 1810) sofort als Illustration zum "Hochzeitsmorgen von Sulamith und Maria" bestimmen. Sie besteht aus zwei Hälften, die so dargestellt sind, daß die mittlere Trennung gleichzeitig ein Schnitt durch eine Wand mit einer Tür ist, eine Art Einblick in eine "Puppenstube". Rechts erblickt man ein Schlafgemach, das durch einen großen Bogen über die ganze Zimmerbreite andeutungsweise in zwei hintereinanderliegende Hälften geteilt ist. Der ganze Vordergrund wird von Marias Bett eingenommen, das mitten im Zimmer steht und den Zugang zur Tür links daneben erschwert. Außer dem sehr massiven Bett, fast ein Altar, das an den Ecken geschnitzte Pfosten hat, steht kein anderes Möbelstück im vorderen Teilraum. Sulamith beugt sich gerade über die noch schlafende Maria: "Steh eilends auf, daß wir uns schmücken zur Hochzeit".
Im hinteren Teil des Schlafraums steht an der gegenüberliegenden Wand Sulamiths Bett, darüber ein Madonnenbild in einem auffallenden Rahmen, rechts davon eine Tür oder ein Fenster, von dem wegen eines zugezogenen Vorhangs nur noch der Bogenabschluß zu sehen ist. In der Zimmerecke rechts daneben steht eine Waschschüssel mit Waschkrug. An der linken Wand öffnet sich zu einem Garten hin - man sieht einige Pflanzen - ein Fenster, davor steht eine Kommode mit Blumentopf darauf.
Im linken Bildteil erscheinen die beiden Mädchen gleich zweimal. Links im Vordergrund ist Maria im Begriff, mit dem Schmuck des Kästchens der Königin ihre Schwester zu schmücken. Sulamith trägt ein weites aufwendiges langes Kleid mit weiten langen Ärmeln und verziertem Mieder. Im Haar trägt sie an der linken Seite die schon mehrfach erwähnte Haarspange. Maria hat ein einfacheres Kleid an mit enganliegenden Ärmeln. Um den Kopf trägt sie eine Haarschnur; das Haar ist außer einer Strähne, die ihr vor dem Ohr nach vorne hängt, nach hinten gekämmt. Ob der auffallende Ohrring tatsächlich der im Text erwähnte Granatapfel aus Beryll ist, läßt sich nicht erkennen.
Links von den Schwestern steht wiederum ein fast altarähnliches Möbelstück, ein Tisch oder eine Kommode, mit einer bis zum Boden reichenden Decke mit Zierrand bedeckt. Darauf steht das erwähnte Schmuckkästchen, ein großes Kruzifix, sowie ein massiver Gürtel. Rechts von den Schwestern steht auf dem Boden eine "altdeutsche" Truhe, gleichzeitig als Sitzgelegenheit gedacht, auf der Zeichnung allerdings nur in knappen Strichen angedeutet.
Im Hintergrund verlassen die beiden Mädchen den Raum durch eine große Renaissancetür. Die Schwestern, die sich beim gehen umfassen, sind gerade eine Stufe hinabgestiegen; die linke zeigt nach links, wohin auch die andere ihren Blick wendet, den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit sieht man aber nicht. Beide sind sehr ähnlich in Figur, Kleidung, Frisur, Schritt, nur das Kleid der rechten scheint etwas gefälteter zu sein und hat eine höhere Taille, zusätzlich trägt sie noch einen Korb. Sie gehen in Richtung eines Springbrunnens, dessen Fontäne zwischen ihren Köpfen sichtbar ist. Die Landschaft macht den Eindruck eines Parks, im Hintergrund ist eine Arkadenreihe sichtbar.
Die Schwestern sind auf dieser Zeichnung im Äußeren eng verwandt, "Zwillinge" im wahrsten Sinne des Wortes. Beide sind sehr jung, das Gesicht des rechten Mädchens beim dritten erwähnten Paar ist noch fast kindlich im Profil. Außer bei der Schmuckszene ist keine deutlich verschiedene Kleidung bemerkbar, wie sich das in engerer Anlehnung an die Erzählung ergeben würde. Die Zeichnung gibt drei szenisch knappe Darstellungen mit illustrierendem Charakter wieder, die penibel fast alles, was in der Erzählung vorkommt, aufführen - mit der Ausnahme, daß die Verschiedenheit der Schwestern zurückgenommen wird.
Noch einmal erscheinen die Schwestern im Gemälde "Einzug König Rudolfs in Basel 1273". Wann genau sie im Bild angebracht wurden, läßt sich nicht mehr ermitteln, jedenfalls ist das Gemälde im Herbst 1810 vollendet. Die Anlage des Bildes ist die gleiche wie bei der Vorzeichnung und soll deswegen nicht näher beschrieben werden. Das Stadttor vom rechten Rand der Vorzeichnung erscheint aber auf dem Gemälde nicht mehr - wahrscheinlich wegen dem perspektivisch nicht ganz richtigen Eindruck, den es auf der Vorzeichnung im Verhältnis zum Reiterzug macht; statt dessen erscheint ein weiteres Haus.
Das Doppelfenster, in dem die Schwestern und das alte Ehepaar stehen, ist nun von einem farblich hervorgehobenen Rahmen umgeben. Ein recht dürrer Weinstock wächst von rechts her aus dem Winkel zwischen dem Wohnhaus der beiden Paare und dem statt dem Stadttor eingefügten Gebäude, und breitet einige Triebe von oben hauptsächlich über dem Fenster mit den jungen Mädchen aus. Besonders auffallend ist dieser Weinstock, da er überhaupt die einzige sichtbare Pflanze auf dem Bild ist. Um die in den Butzenscheiben eingelassenen Wappen ist je ein Name geschrieben: links, über den Mädchen, "Iost Klaus Fischer", rechts "Elsbeth Sternauerin".
Die Haltung der beiden Paare ist die gleiche wie in der Vorzeichnung. das linke Mädchen hat aber nun ihre rechte Hand auf einen vor ihr auf der Fensterbrüstung sitzenden Falken gelegt. Sie trägt über ein weißes Unterkleid ein hellrotes Kleid mit schwarzen Saum. Ihre blonden Haare sind in der Mitte gescheitelt, vor dem Ohr hängt eine Haarsträhne herunter. Im Ohr trägt sie einen auffallenden grünen Ohrring in Form eines Kreuzes. Das rechte Mädchen trägt über einem weißen Unterkleid ein dunkelrotes Kleid, ihr Mieder ist mit Gold bestickt. Ihre Haare sind ebenfalls blond und in der Mitte gescheitelt, lassen aber die Ohren nicht frei. Um den Kopf trägt sie eine rubinrote Haarschnur.
Das Paar im Fenster daneben wirkt im Vergleich zu den Mädchen auffallend alt. Der Mann hat graue Haare und einen Vollbart; er trägt ein weißes Hemd und darüber eine Art olivgrüner Mantel mit Pelzbesatz an Kragen und Ärmeln. Die tief dunkelbraun - fast schwarz - gekleidete Frau trägt um Kopf und Hals eine weiße Haube, die nur das alt wirkende Gesicht freiläßt. Der Mann zeigt nicht näher bestimmbar nach unten, schaut aber mehr in Richtung Rudolf, die Frau, die sich bei ihm einhängt, scheint sich weder an der Geste ihres Mannes noch an der Anwesenheit von Rudolf zu orientieren, sondern blickt nur schräg nach unten.
Unter dem Fenster erscheinen wieder die schon von der Vorzeichnung her bekannten Bilder aus der Josephsgeschichte, dazugekommen sind noch links um die Ecke des Hauses zwei weitere Bilder: "Verkauf Josephs" (zum Teil abgedeckt) und "Joseph flüchtet vor Potiphars Frau". Die schon auf der Vorzeichnung auf die beiden Mädchen weisende Lanze eines Reiters geht mit ihrer Spitze genau durch den Hals von Potiphars Frau, sicher nicht ohne moralisierende Absicht.
Mit den bis jetzt vorgestellten Bildern zusammen mit der Erzählung lassen sich die Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen. Das linke Mädchen ist Maria: sie trägt dasselbe rote Kleid mit schwarzen Saum wie die Maria im Diptychon und die aus der Erzählung bei der Beschreibung des Hochzeitsmorgens. Ihre Frisur ist der der Maria des Diptychons vergleichbar, ebenfalls der der Zeichnung zum Hochzeitsmorgen: beide Male ein Mittelscheitel und eine Haarsträhne vor dem Ohr, also eine Frisur, die Pforr für seine Traumfrau offenbar bevorzugte. Dazu kommt noch der Ohrring, der zwar nicht derselbe wie auf dem Diptychon ist, aber da immer nur eines der Mädchen mit Ohrringen dargestellt ist, in der Legende sowie in der brieflichen Beschreibung des Diptychons Pforr immer wieder auf Ohrringe für seine Maria hinweist, kann dieses Schmuckstück also auch hier nur auf Maria hindeuten. Mit den "Erkennungszeichen" Ohrring und Haarsträhne könnte man rückblickend aber auch das rechte Mädchen in der "Allegorie der Freundschaft" als Maria - oder Antizipation von ihr - bestimmen.
Das rechte Mädchen am Fenster ist Sulamith, einmal wegen des verzierten Mieders, dann wegen der Frisur und, allerdings nicht so eindeutig, der Haarschnur, die auch jene Sulamith im Diptychon trägt und auf die im Begleitbrief hingewiesen wird; abweichend davon trägt beim Hochzeitsmorgen und bei Overbecks "Einzug" Maria die Haarschnur.
Der Falke vor Maria hat sein Gegenstück auf dem nachfolgend beschriebenen "Idealbildnis Pforrs" von Overbeck: auch dort ist er der Pforrschen Idealhäuslichkeit und seiner Maria zugeordnet. Der Weinstock, der sich beim "Einzug" über beide Mädchen ausbreitet, ist im "Idealbildnis" sowohl wie in der Legende und dem Begleitbrief ein Bestandteil des Traumheims.
Das ältere Ehepaar ist sicher Joseph und Elisabeth; das erklärt ihr auffallendes Alter, darauf weist aber auch der Name Elsbeth = Elisabeth Sternauerin um das linke Wappen. Inwieweit mit Iost Klaus Fischer vielleicht Joseph mitgemeint ist, muß offen bleiben[80], die fünf Bilder aus der Josephsgeschichte sind aber ein ausreichender Hinweis auf die Identität.
Die Vorzeichnung, auf der beide Paare dargestellt sind, beweist, daß das "Sulamith und Maria"-Thema schon 1808 von den Freunden weit ausgestaltet war; in diesen Rahmen versucht Pforr, der sich immer mehr in seine Traumwelt flüchtet, neue Gestalten zu integrieren bzw. seine Schöpfungen miteinander zu verbinden (vgl. den Hinweis auf den Sternauer-Roman durch den Nachnamen von Elisabeth). Für Außenstehende wird es durch diese Verquickung privatester Phantasien vollends unmöglich, diese Bilder zu verstehen, falls nur dieser Themenkomplex dargestellt ist. Wird innerhalb eines größeren Rahmens ein Aspekt daraus vorgestellt, bleibt dieser ohne Hintergrundwissen unerkannt - wie die beiden ansonsten unauffälligen Paare beim Einzug. Für die Freunde reicht dagegen die Darstellung eines Mädchenpaares schon aus, um sämtliche Ideale zu beschwören.
Auch wenn das "Idealbildnis Pforr" von Overbeck nur eine Frau zeigt, muß es in diesem Zusammenhang aufgeführt werden. Overbeck erwähnt in einem Brief vom 10.10.1810 an Sutter[81], daß er gerade mit der Untermalung beschäftigt ist - das Bild ist also mit Oktober 1810 sehr genau zu datieren. Pforr ist ausdrücklich so dargestellt, wie es seinem Ideal von der Zukunft entspricht, so, wie er sich am glücklichsten fühlen würde. Er schaut aus einem spitzbogigen Fenster, das nach innen geöffnet ist; rechts erkennt man den Fensterflügel mit den kleinen gefaßten Scheiben in der Art altdeutscher Fenster. Die Bogenrahmung ist mit ineinander verdrehten Efeuranken umgeben, die am unteren waagrechten Rahmenbalken in zwei Blüten enden, aus denen Tiere brechen: links ein Hirsch, rechts ein Pferd; zwischen ihnen befindet sich Pforrs Signum, der Totenschädel mit dem Kreuz. Um das Fenster herum wächst der schon erwähnte Weinstock mit reifen Reben. Pforr ist von vorne links gesehen und wendet den Blick genau zum Betrachter. Sein linker Arm liegt auf der Fensterbrüstung, abgestützt durch Fingerspitzen und Ellenbogen. Die rechte Hand greift von unten an die Brüstung, nur die vorderen Fingerglieder sind sichtbar. Er ist in eine seltsame, altdeutsch gemeinte Tracht gekleidet: über ein weißes Hemd mit schmalen hochstehenden Kragen trägt er ein braunrotes enganliegendes Kleidungsstück, das einen großen, rechteckigen, von einem breiten schwarzen Saum eingefaßten Ausschnitt hat. Rechts von Pforr sitzt eine aufmerksam nach unten schauende Katze.
Hinter ihm öffnet sich ein sehr hoher gewölbter Raum - fast ein Saal -, dessen Grundriß unklar bleibt; auch die Ebenen von Raum und Pforrs Sitzplatz scheinen verschieden hoch zu sein. Ein profiliertes Säulchen steht wie ein Versatzstück im Hintergrund und trägt drei Rippen, also den Ansatz eines nicht sichtbaren Gewölbes. Vor einem hohen Fenster sitzt an einem grüngedeckten Tisch Maria. Während sie mit einer Näharbeit beschäftigt ist, scheint sie gleichzeitig in einem geöffneten Buch, das auf ein Pult gestellt ist, zu lesen. Hinter diesem Pult steht in einer weißen Vase, die mit blauen Blumen dekoriert ist, eine große Lilie: Maria, die "unschuldige Lilie". Über einem weißen Hemd und einem roten Kleid trägt sie eine graue, pelzbesetzte Jacke, die mit schwarzen Säumen besetzt ist. Ihr blondes Haar ist züchtig geflochten und die Zöpfe sind mit einer roten Haarschnur am Kopf befestigt. Überraschenderweise trägt sie keinen Ohrring.
Über ihr sitzt auf einer in der Fensteröffnung befestigten Stange ein Falke, der mit einer dünnen Kette festgehalten wird. Durch das Fenster sieht man auf eine mittelalterliche Stadt, die Bauart der Häuser und der gotische Turm rechts sollen die Szene wohl nach Deutschland lokalisieren; die hinter der Stadt sich ausbreitende Landschaft mit Meer und steiler Felsenküste verweist dagegen deutlich nach Italien.
Ein seltsames Bild also: eine merkwürdige Innenarchitektur, eine Phantasie-/Ideallandschaft - ein Wunschbild ohne Rücksicht auf die Realität. Sofort erinnert man sich an die Legende und die Wohnung von Albrecht und Maria: das alte Haus hoch über der Stadt, die nähende Maria, die ganze Stimmung. Vergleichbar ist auch ein als Pforrs "Zukunftstraum" bezeichnetes Schriftstück[82], das bei der Deutung des Diptychons näher erläutert wird. Wichtig ist ebenfalls die Verwandtschaft des Hintergrundes mit einer Verkündigung, worauf ebenfalls später eingegangen wird.
Mit Overbecks "Idealbildnis Pforr" ist spätestens der Zeitpunkt erreicht, zu dem man den Plan zur Ausführung der gegenseitigen Bilder annehmen kann. Bevor auf die undatierten Vorstudien der Gemälde eingegangen wird, ist es wichtig, einen Datierungsversuch für Pforrs Bild zu machen.
In der Literatur folgt man im Allgemeinen der Datierung Lehrs auf etwa September 1811[83], nur Simon hält es für wahrscheinlich, daß es gleichzeitig mit Overbecks Pforr-Bildnis entstand.[84] Die Quellen helfen nicht weiter; kein Brief Pforrs an Passavant oder Overbecks an seine Verwandten erwähnt es, einzig ein Brief Pforrs aus Neapel an Overbeck (18.10.1811) erwähnt die Bilder "der auserwählten Bräute" - "Bilder" im Plural[85]! Zwei Erwähnungen in Overbecks Tagebuch (19.9 und 3.10.1811)[86] können sich nur auf seinen eigenen Karton beziehen, abgesehen davon, daß Pforrs Bild zu dieser Zeit - also Ende September/Anfang Oktober 1811 - schon fertig gewesen sein muß, da er aus Neapel schwerkrank zurückkam und sehr bald bis zu seinem Tod bettlägerig war. Im Begleitbrief zum Gemälde erwähnt Pforr Overbecks Bild von ihm, weswegen als Beginn der Studien zum Diptychon frühestens Oktober 1810 anzusetzen ist.
Man kann versuchen, diesen Zeitraum von elf Monaten bis zur Abreise nach Neapel am 5.10.1811 weiter einzuengen. Der Begleitbrief hilft nicht mehr weiter; er erwähnt zwar ein "großes Werk", an dem Overbeck nun zu tun habe, das kann aber der fast immer aktuelle "Einzug in Jerusalem" sein, aber auch das Projekt von Bibelillustrationen, mit dem er sich besonders ab Mai 1811 beschäftigte.[87] Nun kann man Zeiten heraussuchen, in denen das Gemälde nicht entstanden sein kann. Generell könnte man den Klagen sämtlicher Lukasbrüder über die Kälte im Winter (keine richtige Heizmöglichkeit) und der Hitze mit nachfolgender "Mattigkeit" im Sommer entnehmen, daß diese Zeiten auszuscheiden sind.
Sicher nicht am Bild gearbeitet haben kann Pforr in der Zeit von etwa Mitte Januar bis Ende Februar 1811, als die Brüder einen knapp sechswöchigen Anatomiekurs[88] in der Nähe des Forums absolvierten, was sie wegen der Entfernung zwang, den ganzen Tag dort zu verbringen.
Auf diesen Kurs folgten dreieinhalb Monate, in denen klimatisch und gesundheitlich keine Schwierigkeiten auftraten.
Ab Mitte Juni 1811 ist Pforr dann schwerkrank, "ohngefähr eine Null in der aktiven Welt"[89], dann im Juli wieder erholt - allerdings ab Mitte des Monats nacheinander mit der Pflege von Colombo, Wintergerst und eines Frankfurter Bekannten (Mieg) beschäftigt, die reihum am berüchtigten "römischen Fieber" erkrankten.[90] Am 3.8. bekam er selbst einen heftigen Anfall[91], was ihn zwang, sobald es sein Zustand erlaubte, zusammen mit Colombo für zwei Wochen aufs Land zu gehen, um sich gänzlich zu erholen.
Im September ist er wieder in Rom, "gesund", aber es ist sein letzter möglicher Arbeitsmonat überhaupt. Gegen Ende des Monats beginnen dann schon die teilweise lästigen "Laufereien" zur Reisevorbereitung.
Man kann aus dieser Zusammenstellung folgern, daß zur Hauptarbeit an dem Bild und den Vorarbeiten eigentlich nur der relativ ruhige Frühling in Frage kommt. Vielleicht kann sich dann eine Briefstelle Pforrs an Overbeck "Jetzt will ich so an meine Arbeit,..." auf die Arbeit am Gemälde beziehen, der Brief ist nur "datiert": "Rom Samstag Nacht 11Uhr"[92], läßt sich aber mit der Kenntnis von Overbecks Nachlaß[93] auf den 25.5.1811 bestimmen. Overbeck weilte zu dieser Zeit (24.5. - 30.5.) in Tivoli, wo er sich nach langen vergeblichen Versuchen Eingebungen für seinen Illustrationszyklus erhoffte, also vielleicht für das "große Werk". Pforr schreibt zwar Anfang Juli an Passavant, daß er außer Studien und dem Einzugsbild eigentlich in Rom noch nichts gemacht hat, aber man kann annehmen, daß Pforr das Gemälde als Privatsache vor seinem Brieffreund verschweigen wollte.
Zusammenfassend kann man den Hauptteil der Vorarbeiten und der Ausführung für den Frühling 1811 annehmen, wenn auch im Juli und/oder September das Gemälde noch in Arbeit gewesen sein könnte.
Die erhaltenen Vorarbeiten - die hier nur knapp innerhalb der Geschichte des Themas vorgestellt werden, da sie zur Deutung nichts beitragen - zeigen, wie sorgfältig Pforr an die Arbeit ging. Der Begleitbrief erwähnt, daß beide schon "zuviel über das ganze gesprochen" hätten, aber da Einigkeit auch im kleinsten Teil bestehen sollte, kommt nun an Overbeck eine Skizze samt ausführlichen Begleitschreiben zur Begutachtung. Daß die gemeinte Zeichnung nicht mit der erhaltenen Vorzeichnung übereinstimmt, wurde schon erwähnt; sie ist in großen Teilen zu "studiert" - um Pforrs Ausdruck zu gebrauchen.
Einen früheren Zustand geben dagegen zwei Studien zur Maria wieder: die eine ist vom Format und vom Dargestellten her der Vorzeichnung schon eng verwandt, besonders was die Gestalt der Maria selbst angeht. Im Innenraum sind einige Abweichungen vorhanden: Decke und Boden des Raumes sind anders, der Holzbalken ist noch wie bei Dürers Hieronymusstich am linken Bildrand, der Klapptisch fehlt, ebenfalls das im Brief erwähnte Wandregal. Weitere kleine Unterschiede - wie z.B. daß das Fenster schmaler ist u.ä. - sollen unerwähnt bleiben.
Die andere Studie zur Maria ist ein Versuch im Großformat, bei dem aber wenig mehr als die Figur ausgearbeitet ist. Der nur erst in den Hauptteilen ausgearbeitete Innenraum wirkt noch sehr kahl, "unräumlich". Zudem ist sein Grundriß einfacher: statt dem anschließenden Alkoven des Gemäldes schließt hier der Raum rückseitig gerade ab; an der Hinterwand steht ein Betpult mit aufgeschlagenen Buch, Kreuz, und darüber ein Madonnenrelief oder -Bild mit Blumen geschmückt - dies schon vergleichbar mit dem des Gemäldes.
Zur Sulamith-Tafel ist nur eine Studie erhalten, bezeichnenderweise vor der Identifizierung "Säugende Madonna" genannt.[94] Vom Detailreichtum her bezeichnet sie ein fortgeschrittenes Stadium, alle Einzelheiten der späteren Ausführung sind schon vorhanden, allerdings ist die Ausführung im Einzelnen recht flüchtig. Auch hier spielt das Kind noch mit der im Brief erwähnten Rubinkette. Die Figur des Johannes/Overbeck ist mehr oder weniger nur skizziert, aber für sie hat sich eine eigene Vorzeichnung erhalten, die nur noch wenig verändert für das Gemälde verwendet wurde: typisch ist schon das Standmotiv und der Mantelwurf, während für das Untergewand bei der Ausführung ein anderes Kleidungsstück eingesetzt wurde.
Nur leicht verändert wurde auch die Studie zum Evangelisten Johannes übernommen: auf der Studie hat der junge Apostel lockiges Haar, während es auf der Vorzeichnung und dem Gemälde glatt ist. Seine Sitzhaltung bei der Studie ist noch nicht für den Zwickelrahmen entworfen.
Den Schlußpunkt der Geschichte des Themas bildet Overbecks Gegenstück zu Pforrs Gemälde, welches aber zu Pforrs Lebzeiten nicht über einen ausgeführten Karton hinaus gedieh. Das schließlich 1828 vollendete Gemälde - welches nun bezeichnenderweise auch neutraler "Italia und Germania" heißt - ist nach seiner Aussage im Kern verändert: im Brief vom 31.1.1829 an den Besteller Wenner führt er die Idee des Bildes recht ausführlich aus, setzt sich aber sehr bestimmt von der "jugendlich unklaren Vorstellung" ab zugunsten einer "bestimmtere(n) Bedeutung".[95] Uns muß aber gerade die erwähnte "jugendlich unklare Vorstellung" interessieren. Wie läßt sich diese rekonstruieren?
Es gibt je eine Studie zu den einander zugeneigten Köpfen und zu den ineinandergelegten Händen. In Lübeck hat sich ein Karton erhalten mit sehr detailliert ausgeführter Zeichnung. Zuletzt gibt es in der Sammlung Georg Schäfer eine Ölskizze, bei der aber die Urheberschaft Overbecks zumindest unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich, ist.[96] Alle diese Werke sind undatiert. Für die Rekonstruktion der geplanten Ausführung können nur die letzten beiden Arbeiten behilflich sein. Die Beschreibung von beiden kann zugleich geschehen, Farbangaben beziehen sich natürlich nur auf die Ölskizze.
Sulamith links und Maria sitzen nebeneinander vor einem - bzw. auf der Skizze zwei - Fenstern mit Ausblick auf eine Landschaft, in der links eine Kapelle mit Brautzug zu sehen ist. Die Frauen tragen reiche Gewänder: beide haben ein weißes Unterkleid an, darüber trägt Sulamith ein rotes kurzärmliges Mieder mit schwarzen Säumen, um die Hüften drapiert dann noch einen dunkelblauen Mantel. Maria trägt ein blaues Überkleid mit Pelzbesatz am Kragen, die langen Ärmel sind an den Seiten geschlitzt und durch Broschen zusammengehalten. Auch ihr roter Mantel ist um die Hüfte geschlungen. Sulamith hat dunkle Haare, die in der Mitte gescheitelt und geflochten sind, wobei die Flechten kunstvoll am Hinterkopf hochgesteckt und zusammengebunden sind. Eine rote Haarschnur und ein recht weit nach hinten verschobener Lorbeerkranz vervollständigen den Kopfschmuck. Auf dem Lübecker Karton trägt Sulamith noch eine sehr dünne Halskette. Mit der linken Hand hält sie ihren Mantel, die Rechte wird von Maria mit beiden Händen gehalten. Maria ist blond, die Haare sind ebenfalls in der Mitte gescheitelt; ein enganliegender Myrtenkranz drückt die Haare oben flach an den Kopf, während sie unten locker über die Schultern fallen. Sie trägt weder Ohrringe noch eine Kette.
Zur Sulamith von Karton und Ölskizze muß eine wichtige Änderung im Vergleich zur Studie der Köpfe angemerkt werden: statt dem Myrtenkranz wie ihre Schwester Maria hat sie auf beiden einen Lorbeerkranz. Sulamith ist als "Italienerin" charakterisiert; neben der Haltung, die an eine Madonna von Overbecks Vorbild Raffael erinnert, betonen auch die auffallenden halbgeschlossenen Augen diesen Eindruck. Für Marias Charakterisierung als deutsche Frau sind die blonden Haare und die Gesichtszüge anzuführen.
Im links sichtbaren Brautzug ist nach Jensen[97] auf dem Lübecker Karton eine bekränzt Gestalt deutlich als Pforr zu erkennen. Auf der Ölskizze ist er farblich durch den auffallenden roten Mantel im Vergleich zu der recht farblosen Hochzeitsgesellschaft besonders betont: nur eine grüngekleidete Gestalt neben ihm sticht ebenfalls farblich ab, ist aber nicht identifizierbar - man muß aber sofort an Johannes denken, denn dem Text der Legende nach kommen die beiden Gesellen gemeinsam, um ihre Bräute zu holen. Auch die Farben sind charakteristisch für die Gesellen, z.B. als sie ihren Schwiegereltern entgegenreiten. Zu sehen ist auch einer der erwähnten Knaben, sowohl auf dem Karton wie auf der Skizze: wahrscheinlich Pforrs junger Freund Safferio. Zwei Priester führen den Zug an.
Die Kapelle ist als italienische Kirche charakterisiert, eine Basilika mit offenem Glockenturm. Ihre Fassade ist kaum geschmückt, nur ein Tympanon (oder halbrundes Fenster) und eine Fensterrosette sind zu sehen.
Die Hintergrundlandschaft läßt sich am Karton nicht beurteilen, auf der Ölskizze ist sie auf beiden Seiten italienisch charakterisiert, mit karger Vegetation (Brauntöne), einem See und dahinter dunstig blaue Berge - also eine sehr locker mit Luftperspektive ausgeführte kleine Landschaftsmalerei, fast impressionistisch verschwimmend, ganz ungewöhnlich für Overbeck.
Auf der Ölskizze bildet den Hintergrund für die beiden Gestalten eine ornamentierte Wand bzw. ein ornamentierter Wandbehang; durch den kleinen Bogenansatz rechts kann man davon ausgehen, daß hier tatsächlich eine Mauer hinter den Frauen gegeben ist und damit zwei Fenster gemeint sind. Beim Karton dagegen ist nachträglich ein großer Teil des Brautzuges im Hintergrund überdeckt worden, indem sich nun hinter den beiden Frauen ein großes halbrundes Fenster mit Gebälk am Bogenansatz öffnet und links und rechts davon sich die Wand fortsetzt.
Um die beiden beschriebenen Ausführungen sinnvoll für eine Rekonstruktion zu nutzen, ist ihre Datierung unerläßlich. Einen "Karton von Maria und Sulamith" erwähnt Overbeck dreimal in seinem Tagebuch: am 19.9.1811 "Schöne Stunde mit Pforr ... vor dem Carton von Maria und Sulamith"; im Kern dieselbe Aussage am ?3.10.1811: "schöne Stunde mit Pforr ... vor dem Carton von Sulamith und Maria"; am 17.2.1812 "habe ich den Carton von Sulamith und Maria durchgepaust und daran auszuzeichnen angefangen".[98] Daraus ergibt sich der Schluß, daß der erste, maßgleiche Entwurf im Oktober 1811 vollendet gewesen sein muß[99]: nach Jensen ist der Lübecker Karton die zweite ausgeführte Fassung von 1812, da auf ihm keine Pausritzen zu sehen sind, dagegen aber Anzeichen, daß etwas auf ihn aufgespannt wurde.[100]
Overbeck war ein sehr langsamer Arbeiter; es ist anzunehmen, daß er bis zu Pforrs Tod noch nicht mit der Auszeichnung des Kartons fertig wurde. Nach Pforrs Tod ruhte die Arbeit daran vollends bis 1815, als er die Bestellung Wenners erhielt - woraus aber zu dieser Zeit nichts wurde.[101] Hier schon könnte er jedoch Änderungen an der Komposition - speziell am von der Aussage her doch sehr privaten Hintergrund - vorgenommen haben, spätestens und deutlich aber zu der endgültigen Ausführung 1828, wo er auch brieflich an Wenner die verschiedenen Intentionen hervorhebt.[102]
So besteht die seltsame Lage, daß die Ölskizze, die kaum von Overbeck selber stammt, den frühesten erhaltenen Zustand wiedergibt (mit Ausnahme von Sulamiths Kranz), früher als der Lübecker Karton - was am Hintergrund deutlich zu erkennen ist. Man kommt zu dem Schluß, daß eine verlorene Erstfassung - vielleicht aquarelliert - von einem Verehrer Overbecks Jahrzehnte später abgemalt wurde.[103]
Zu Overbecks Konzeption des Bildes gehörte also: Sulamith und Maria als Bräute geschmückt, die Haltung beider ein Reflex von Pforrs "Allegorie der Freundschaft", im Hintergrund eine italienische Landschaft mit Kapelle auf der linken Seite, dazu ein Brautzug, worin Pforr und sehr wahrscheinlich auch Overbeck als Bräutigam zu sehen sind und Pforrs Freund Safferio als Begleiter. Die Landschaft ist rein italienisch charakterisiert, nicht wie im Gemälde von 1828 in Italien und Deutschland unterschieden. Eher läßt sich diese nationale Unterscheidung bei den Frauen selber sehen, bei denen aber fast noch auffallender die Charakterisierung in eine fast überirdische, anbetungswürdige Gestalt (Sulamith) und in eine zwar schöne, aber irdische Frau ist. Unterstrichen wird diese Differenzierung durch die in-sich-ruhende Haltung der Sulamith, während Maria anscheinend sogar am Sprechen ist und ihrer Schwester "gut zuredet".
Genau zu dieser Unterscheidung gibt es eine schöne, für sich selbst sprechende Stelle aus einem Brief Pforrs an Overbeck:[104] "Das Ideal von Schönheit, das mich begeistert, ist mir immer nur als ein irdisches Wesen sichtbar, da ich hingegen gewiß bin, daß Euch (d.i. Overbeck und die Italiener) das Eurige oft in einem himmlischen Glanz erscheint; bei mir kann sich der große Zweck immer nur mittelbar ausdrücken, und daher glaube ich wohl zu tun, um meinen Sachen das gehörige Interesse zu geben, wenn ich den Sinn, der auch in den leblosesten Dingen liegt, aufzufassen und zu benutzen suche, um meine Idee deutlich auszusprechen;...". Dieser Aspekt der Sulamith, der zwar schon in der "Rede übers Ideal" angelegt war, aber in Illustrationen mit dem Schwesternpaar nie erschien, wird also 1811 erstmals dargestellt.
Die Schilderung der Geschichte des Sulamith-und-Maria-Themas bei Pforr und Overbeck hat die wichtigsten Inhalte, die mit den Frauen verknüpft sind, immer wieder verdeutlicht: seit dem zweiten, endgültigen Beginn ihrer Freundschaft entwerfen die beiden Freunde zusammen ihre Ideale von der Malerei, von ihren zukünftigen Frauen, vom erhofften Leben. Für jeden fließen diese Ideale zusammen in je eine Frauengestalt, die für sie als die "Braut" schlechthin gilt. Zum einen ist die "Braut" also die Kunst, mit der sich die Malerfreunde vermählen wollten, dann ist sie konkret das Bild der Traumfrau und zuletzt die Verkörperung einer Zeit bzw. der damit verbundenen Lebensweise.
Immer wieder sind die Frauengestalten Thema von Bildern oder werden in solchen unauffällig angebracht, werden in Briefen und Texten erwähnt oder beschworen. Über die Jahre 1808 - 1812 hin bleiben die den Frauen zugeschriebenen Bedeutungen fast unverändert erhalten, nur bei Pforr kommt ab 1810 der Einbau dieser "abstrakten" Frauen in eine selbstgeschaffene Welt hinzu, in eine Traumwelt, in die er sich, durch seine Lebensumstände bedingt, hinein flüchtete.
Mit dem ganzen "komplizierten Apparat von Vorkenntnissen" (Lehr) muß man nun aber an die Deutung des Pforr-Bildes gehen; man kennt inzwischen die Absicht des Bildes und die angestrebte Kernaussage: sich gegenseitig Bilder zu malen, in denen die persönlichen Ideale ausgedrückt sind, als "Bild" dafür die Frauengestalten. Da das Bild von Pforr ist, soll die Ausdeutung bei der seinem Ideal zugeordneten Seite beginnen.
Zuerst fällt das Unzeitgemäße der Darstellung auf: Pforr wählt keinen Innenraum der Zeit um 1800, sondern hält sich sehr eng an die Darstellung des "Hieronymus im Gehäus" von Dürer.[105] Allerdings gestaltet er den Raum wesentlich schlichter, karger, aufgeräumter, überschaubarer. Was bei Dürer zeitgenössisch war, wird nun museal: der um 1500 aktuelle Innenraum ist 300 Jahre später zu einer ungemütlichen, muffigen Wohnung geworden, in der das Brüchige der Fensterkanten oder das Schmutzig-Scheckige der Wand gerade noch Alter, aber keine Gemütlichkeit signalisieren kann. Es bedarf schon einer bornierten Vergötterung des Alten, um darin heimisch zu sein. Vater Joseph hätte über die heruntergekommene Wohnung seiner Tochter bestimmt den Kopf geschüttelt.
Pforr schreibt im Begleitbrief, daß alles dazu beitragen soll, den "stillen heimlichen Charakter" auszudrücken - man muß das Interieur also durch seine Augen betrachten. Das Licht scheint dann freundlich in eine schlichte Stube, in der alles seinen Platz hat. Das Bett ist gemacht, das Madonnenbild im Alkoven ist mit frischen Blumen geschmückt, die Frau ist - wie es sich gehört - vor ihrer Näharbeit, muß sich allerdings noch ihre Zöpfe flechten; ein weiterer ihrer Lebensideale liegt gleich daneben, das Evangelienbuch. Das Gemütliche der Stimmung soll vom sich anschmiegenden Kätzlein unterstrichen werden, auch die Schwalbe im Zierrat ist ein Hinweis auf das Häusliche, da sie sich "gerne bei Häusern aufhalten.[106]
Über die Bedeutung solcher Motive wie Katze, Schwalbe, Butzenscheiben (nicht umsonst gibt es das Wort "Butzenscheibenromantik"), im weiteren Sinne auch "alte Innenräume" usw. gibt eine Briefstelle Pforrs an Overbeck Auskunft, nämlich, daß für ihn jede Einzelheit mit "Sinn" erfüllt ist, mit einem Inhalt verbunden ist, den es in Bildern zu benützen gilt.[107]
Ein wichtiger Inhalt dieser Seite soll also das Ideal der Häuslichkeit und der Ehe sein. In diesem Zusammenhang muß ein kleiner Text Pforrs an die Lukasbrüder erwähnt werden, der seinen Zukunftstraum ausdrückt.[108] Er erzählt, wie er in seinem Stübchen, das nach "alter Art" gebaut ist, und dessen Fenster - wie beim "Idealbildnis Pforr" von Overbeck - nach einem Garten geht, vor der Staffelei sitzt und an einem stürmischen Schlachtengemälde "heiter und froh" malt. Seine Frau tritt ein, "die Krone der Schöpfung ist dies Weib". Der Beschreibung nach ist sie ein Muster an Tugend: das Gesicht ist der Spiegel ihres Herzens, die Hauptzüge darin sind Treue, Bescheidenheit, Güte und Mitleid, und das blaue Auge der blonden Frau strahlt Sanftmut aus. Zu aller Tugend ist sie schlicht gekleidet und ihre Hände sind rauh von der Hausarbeit. Nach der Begrüßung geht sie gleich an ihre Arbeit, und man meint, das Maria-Bild vor sich zu sehen: sie "setzt sich an den Tisch, der nicht weit von dem Alkoven steht, in welchem das reinliche Bett der treusten und keuschesten Liebe geweiht steht, an ihre Arbeit, neben ihr sitzt das schmeiglende [sic] Kätzchen...".
Ausdrücklich wird also dem Bett eine an das Sakrale grenzende Bedeutung unterschoben: so ist es auch auf der Maria-Tafel auffallend massiv und hoch und am sichtbaren Teil des Bettkastens mit einem hineingeschnitzten Kreuz geschmückt - ähnlich wie bei Bauernbetten, bei denen es auf die Huldigung des Alltags verweist. Schon auf der Zeichnung von "Sulamiths und Marias Hochzeitsmorgen" war das Bett ja fast altarähnlich.
Das Detail vom Schlachtenmalen läßt es übrigens zu, den kleinen Text recht früh zu datieren: nach seinem psychischen Zusammenbruch infolge der Belagerung Wiens und der Schlachten in diesem Zusammenhang (Mitte 1809) war er bestimmt nicht mehr in der Lage, über dieses Thema so ruhig zu sprechen[109], ganz abgesehen davon, daß er vom Ideal des Schlachtenmalers inzwischen abgekommen war. Wieder ist zu erkennen, wie früh die Grundzüge seines Ideals fast endgültig festgelegt sind.
Eine vergleichbare Ausprägung dieses Häuslichkeitsideals ist seine "Komposition über die Epistel des Apostel Paulus an Titus, Kap.2, Vers 3-5."[110] Die Innenraumdarstellung ist verwandt: holzgetäfelte Decke, links ein Butzenscheibenfenster, auf dem Wandschränkchen ein Stilleben wie auf dem Wandbrett der Maria-Tafel, nur statt dem Granatapfel hier ein Buch. Wie im Paulustext verlangt ist eine alte Frau dabei, ihrer Tochter und ihren Enkelkindern Moralunterricht zu geben; besonders demütig hört ein schon fast erwachsenes Mädchen zu, im Typ nicht zufällig der Pforrschen Maria verwandt. Neben der Großmutter wieder das Attribut einer gemütlichen Häuslichkeit, die Katze. Im Hintergrund praktiziert die Hausfrau gerade eine der Tugenden, die Barmherzigkeit, indem sie einen Bettler ein Almosen gibt.
Die Darstellung wird von einem Gefühl beherrscht, das schon den Legendentext fast ungenießbar macht, ein penetranter Moralismus, rückgewandte Utopie, die im hochstilisierten Vergangenen das Ideal auf Erden verwirklicht sieht, was jetzt wieder angestrebt werden soll. Unverkennbar die christlichen Züge: nicht nur ist eine Bibelstelle illustriert, es werden dargestellt noch ein Kruzifix, Bibelillustrationen an der Außenseite des Wandschränckchens, symbolische Blumen, christliche Tugenden. Ein beschwörendes Bild des Friedens, lauter ruhige Menschen, die Kinder ohne Fehl (eines spielt mit einem Hasen - Mensch und Tier in Frieden wie im Paradies). Nur, es gibt Bettler - aber das scheint natürlich zu sein.
Die Übereinstimmung zum Maria-Bild besteht also nicht nur in formalen Zügen, sondern die Aussage ist vergleichbar: Maria ist natürlich einer der ruhigen, gottesfürchtigen Menschen. Datiert ist diese Komposition zwar 1810, aber schon in dem früher erwähnten Gedicht "An Deutschlands Frauen", welches er im September 1808 an Passavant sendet, aber das schon im Frühjahr bei Gelegenheit von Overbecks Arbeit am "Lazarus" entstand, zitiert Pforr ausführlich diese Paulus-Verse[111] - wie das Gedicht ja überhaupt fast eine Auslegung dieser Stelle ist. Eigenschaften der erträumten Frau sind demnach Beiworte wie züchtig, gesenkter Blick, hoher Sinn, fromm, still, weiblich und bescheiden usw.
Maria ist aber schon vom Namen her nicht nur das schlichte fromme Bürgermädchen: gleichzeitig ist sie auch die Gottesmutter. Wie bei Overbecks "Idealbildnis Pforr" fällt bei der Mariatafel die Verwandtschaft zu einer Verkündigungsszene auf. Diese ist begründet zum einen generell im Motiv: eine allein in einem abgeschlossenen Raum sitzende Frau (wobei von ihrer Größe her kein Porträt gemeint sein kann). Auf älteren Gemälden sucht man in diesem Fall schon unwillkürlich die Taube. Zum Zweiten liegt die Verwandtschaft in der Charakterisierung der Maria als gottesfürchtig, wozu wie bei Pforrs Darstellung meist eine Bibel dient, und in Attributen wie der Lilie (vgl. Overbecks Bild).
In der Legende hat Josephs zweite Tochter ihren Namen seiner Bibellektüre im Moment ihrer Geburt zu verdanken, der Zusammenhang geht aber weiter: gerade in seinen römischen Jahren verbindet Pforr seine "ideale Maria" mit der "Himmelsjungfrau", und dieser Bezug ist - so blasphemisch das scheinen mag - bei den späteren Darstellungen immer mitzubedenken.
Man kann dies durch eine Zeichnung und durch ein Gedicht belegen. Die Zeichnung[112] zeigt Dürer und Raffael, die vor dem Thron der Kunst knien. Die "Kunst" mit Heiligenschein thront auf einer erhöhten Bank und betrachtet eine Tafel, die sie in der linken Hand hält; in der Rechten hat sie einen Zeichenstift. Links, ihr zur Rechten, kniet Dürer, als männlich herb und recht alt charakterisiert, eine "zackige" Pflanze hinter sich. Im Hintergrund ist ihm seine Heimatstadt mit vielen spitzen Türmen beigegeben - eine sehr "zackige" Ansicht wiederum. Rechts kniet Raffael, jung und fast weiblich dargestellt. Hinter ihm weichgerundete Bäume - bei Dürer dagegen eine fast kahle Landschaft - und die Ansicht von Rom.
Leicht zu verstehen ist der Sinn dieser Zeichnung: der "irdische" Dürer und der "überirdische" Raffael (meist "der göttliche Raffael" genannt) dienen gleichermaßen der Kunst, jede Eigenart hat ihre Berechtigung. Die "überirdische" Komponente Raffaels und seiner Kunst wird durch sein feminines Äußeres zum Ausdruck gebracht: es ist eine alte Tradition, Musen und Allegorien in Frauengestalten zu verbildlichen.
Ein Gegenstück zu dieser Zeichnung gibt es auch von Overbeck: hier sitzt die "Kunst" fast noch "heiliger" mit mehreren christlichen Insignien ausgestattet auf einem verschnörkelten Thronsitz. Dürer und Raffael knien davor, sind sich aber näher gerückt und reichen sich die Hände. Deutlicher als bei Pforr erinnert dieses Detail an literarische Parallelen, an Wackenroder/Tieck: "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders." Overbeck hat diesen Text gekannt, aber trotz dieser Kenntnis darf man daraus nicht den Schluß ziehen, die Lukasbrüder hätten ihr Kunstverständnis nur übernommen. Auf eine weitere Beschreibung dieser beiden interessanten Kompositionen muß verzichtet werden, sie verdeutlichen aber, daß für beide diese Parallelisierung von Kunst und Gottesdienst von Bedeutung ist.
Das Gedicht Pforrs ist genauso aussagestark: es heißt "An die Kunst"[113], beginnt mit "Du Himmels Jungfrau, edle Kunst..." und endet "Heilige Jungfrau, Gottes Gebärerin, gib daß ich fasse Deine erhabene, liebliche schöne Gestalt". Es ist unschwer zu verstehen, wie Pforr ausgehend von dieser Gleichstellung von Kunst und Madonna, Kunst und Religion seine künstlerische Arbeit als Gottesdienst betrachten kann, sein Seelenheil damit verquickt, andererseits aber wie ein Religionsfanatiker unfähig zur Toleranz in künstlerischen Dingen wird, damit aber sich jeden Umgang mit zeitgenössischen Künstlern erschwert - was seiner Gesamtstimmung nur abträglich ist und war.
Die Kunst als Gottesdienst hat für Pforr einen untrennbar mit seinem Leben zusammenhängenden Sinn: seit dem Ausbruch seiner Krankheit findet er seelisch keine Ruhe mehr. Seine Vernunft macht ihn zwar die "größten Vorwürfe"[114], aber etwas in ihm, eine "Leidenschaft" reißt ihn fort. Seine Vernunft, sein analytischer Verstand ist dagegen vollkommen hilflos. In dieser Lage sieht er seine einzige Hoffnung im Glauben. Seine schon vor dieser Krankheit aufgenommen Bibellektüre wird intensiviert und erweitert durch andere Texte, wobei er Luthers Katechismus und "Die Nachfolge Christi" (Th. v. Kempen) besonders hervorhebt.[115] Zentral ist ihm dabei der Erlösungsgedanke, die Hoffnung auf die Ewige Seligkeit.[116] Er lobt besonders das Kapitel über die "Eitelkeit" alles Irdischen, aber diese sogenannte "Einsicht" der Eitelkeit alles Irdischen, die er gerne erreichen würde, ist nur eine hilflose Antwort auf seine Krankheit, die ihm das Leben so sehr erschwert.
Seine Hoffnung auf Erlösung findet ihren Ausdruck in der kleinen altmeisterlichen Zeichnung "Tod und Maler": der Tod - ein wuchtiger Knochenmann - holt einen alten Maler ab, der gerade an seiner Staffelei ein Gemälde der Maria mit Jesus und dem Johannesknaben vollendet hat; im Himmel warten schon der Erlöser und die Heilige Jungfrau.
Die Zierraten in den Tympanonfeldern sollen dem Begleitbrief nach mit der Aussage der Haupttafeln übereinstimmen. Erwähnt wurde schon die Schwalbe als Attribut des Häuslichen. Das Kreuz im Kreis sowie der Laubkranz werden von Pforr selber nicht begründet, man muß aber sogleich an Tod und Begräbnis denken. Auch der stilisierte Pinienzapfen über dem Kreuz im Zierrat weist in diese Richtung. Betrachtet man die Sanduhr des Wandregals nicht nur als Requisit eines typisch "altdeutschen Stillebens" - wie es in vergleichbarer Ausführung immer wieder zu finden ist[117] - bestärkt sie diesen Hinweis noch. Es ist Pforrs Affinität zum Thema des Todes, was damit zum Ausdruck kommt. Es ist nicht unmittelbar einleuchtend, daß auf einem die Ideale beschwörenden Programmbild Todesgedanken zur Darstellung kommen, so muß diese Eigenheit Pforrs erklärt werden.
In mehreren Fällen spielt er auf den Tod an: in der Legende fällt das beim Traum Josephs auf, dem sich als erste Assoziation zu dem auf Albrecht verweisenden Traumsymbol (dem Rosmarinzweig) der Tod seiner Tochter einstellt - denn Rosmarin kann sowohl auf Tod wie auch auf Hochzeit hinweisen.[118] Josephs Deutungszwiespalt löst sich erst bei Erscheinen der beiden Gesellen und im Anblick ihrer Embleme.
Die Farben, die Pforr mit sich verbindet, sind die klassischen Todesfarben: rot und schwarz. Rot gekleidet auf schwarzem Pferd reitet der Geselle Albrecht seinem Schwiegervater entgegen, während der andere Geselle, Johannes, grün gekleidet auf weißem Pferd reitet.
Pforrs Emblem zeigt wie schon beschrieben ein Kreuz über einem Totenschädel, darüber ein Schmetterling; der Schädel bedeutet den Tod, der Schmetterling die Seele und das Kreuz die Ewige Seligkeit, wofür der Tod Christi die Gewißheit ist. Im Zusammenhang damit erwähnt Pforr, daß seine angenehmsten Empfindungen an das Melancholische grenzen, das "Melancholische" ist hier aber fast unmittelbar mit "Tod" verbunden.[119]
Eines von Pforrs Lieblingswerken ist Holbeins Basler Totentanz.[120] Dieses Thema regt ihn zu mindestens zwei nachweisbaren eigenen Darstellungen an, zu "Tod und Gelehrter"[121] und "Tod und Maler". Hiermit im Zusammenhang steht auch ein Gedicht Pforrs: "Der Tod", in dem die Überwindung der Todesangst durch die Gewißheit der Wiederauferstehung Thema ist.[122]
Aber auch im Alltag zeigt Pforr einen derartigen Hang zu Todesgedanken, daß der besorgte Overbeck sogar seinen Vater davon Kenntnis verschafft[123], obwohl dieser nicht sehr freundlich auf Pforr gestimmt ist und Overbeck diesen in Briefen deswegen nur sehr selten erwähnt.
Die Faszination des Todes für Pforr kommt kraß zum Ausdruck in einer Episode ihres Anatomiestudiums Anfang 1811 in Rom.[124] Anfangs war ihm dieses Studium wegen eines "unwillkürlichen Grauens vor Toten" verhaßt, doch er gewöhnte sich bald daran. Aber als er zum erstenmal vor einem vollständigen Leichnam (nicht nur Leichenteilen) saß, ganz einsam, überfiel ihn wieder dieses Grauen, wogegen er sich mit allen Mitteln zu behelfen suchte, z.B. suchte er vergebens "alles hervor, was ich von Philosophie wußte." Erst als ihm ein "Funken von Glauben" aufging, ist dieser Zustand überwunden, und er sah nicht mehr die Leiche, "sondern eine Blüte, die abfallen mußte, damit die Frucht entstehen kann." Sieben Tage blieb er täglich bei der Leiche, von früh bis spät, selbst der Geruch der Verwesung wurde ihm zum "Bote(n) der Unsterblichkeit." Dieses Erlebnis fand dann auch einen Niederschlag in dem sehr langen Gedicht "Die Nacht bedeckte mich mit ihrem Grauen" (siebzehn sechszeilige Strophen).[125]
Zur Erklärung dieser Neigung Pforrs genügt es nicht, auf seine Lebensgeschichte zu verweisen, auf den frühen Tod seiner Eltern und seines Bruders, oder eines Onkels, der wie ein Bruder war. Ruft man sich die innere Lage Pforrs im Jahre 1811 ins Gedächtnis zurück, mit den Selbstzweifeln, mit dem ausgeprägten Weltekel, so muß für ihn die Aussicht auf einen baldigen Tod nicht nur negativ besetzt gewesen sein. Seit seinem psychischen Zusammenbruch hat er die Hoffnung aufgegeben, es auf Erden zu etwas zu bringen, gelegentliche Hoffnungsschimmer verblassen schnell wieder. Aus Overbecks Brief an Passavant[126] über Pforrs Ende ist klar ersichtlich, daß Pforr schon in Wien mit einem frühen Ende gerechnet hat, und versucht hatte, Overbeck darauf vorzubereiten. Man könnte jede Menge Zitate anführen, in denen der Tod für ihn als Erlöser erscheint.[127]
In diesem Zusammenhang muß auch erwähnt werden, daß Pforr nicht ganz unbeteiligt an seinem Tod ist; z.B. lehnte er es ab, die für einen Kranken völlig ungeeigneten Räume des Klosters mit einer gesünderen Wohnung zu vertauschen, solange er noch dazu imstande gewesen wäre.[128]
Es mag überspitzt formuliert erscheinen, aber Pforr hatte für sich die Hoffnung aufgegeben, sich in dieser Welt zu behaupten (vgl. dazu auch ein Brieffragment[129], auch die geplante Rückkehr nach Frankfurt ist mehr ein Plan zur Beruhigung der Freunde. Pforr stirbt, weil er sterben will, sein Streben geht nur noch nach der Seligkeit.[130]
Die Mariatafel weist keine Einzelheit auf, die auf ein Eheleben hindeutet - das Bett ist so schmal, daß es nur für eine Person reicht, trotzdem es der ehelichen Liebe geweiht ist; als Kenner altdeutscher Bilder war aber Pforr bestimmt mit Darstellungen "richtiger" Ehebetten vertraut. Pforr kann sich diese erträumte Zukunft letztlich gar nicht bildlich vorstellen - er bringt es nicht einmal fertig, mit dem Anbringen seines Signums die Ahnung seiner Anwesenheit aufkommen zu lassen: das dafür bereitliegende Täfelchen bleibt leer. Zu diesem Schluß kommt auch Max Hasse[131]: "Nur Overbeck darf mit der Erfüllung seiner Träume rechnen. Pforr wird das ersehnte Glück versagt bleiben. Da das Ende Pforrs unmittelbar bevorstand, werden die Freunde, aber auch nur sie, das Alleinsein des Mädchens in diesem Sinne verstanden haben. An sich läßt der Friede, der die beiden Mädchen umfängt, eine solche Auslegung nicht zu."
Die Darstellung seines persönlichen Kunstideals, die ja immerhin ein Hauptinhalt des Bildes sein soll, läßt sich nicht an einer bestimmten Einzelheit festmachen: sie kommt auf zwei Arten zum Ausdruck. Zuerst ist die Schilderung eines altdeutschen Interieurs samt eines "altdeutschen" Mädchens, in der Schlichtheit und moralischen Sauberkeit, die - den Lukasbrüdern nach - dieser Zeit eigen ist, ein Bekenntnis: vorbildliche Tugend ist die Voraussetzung für hohes Künstlertum, wichtiger als technische Meisterschaft, weswegen den Lukasbrüdern der Maler Eberhard Wächter, trotzdem sie seine mangelnden technischen Fähigkeiten klar sahen, als größter gegenwärtiger Künstler galt.
Speziell im Falle Pforrs ist es aufschlußreich, sich Textstellen zusammenzustellen, in denen er über sein größtes Vorbild, über Dürer spricht: nie hat er dabei ein bestimmtes Bild vor Augen, immer ist die Rede von der "edlen Einfalt und dem festen bestimmten Charakter"[132], davon, daß der "Weg zu dem wahrhaft großen Maler mit der Tugend ein Pfad ist"[133] (Dürers Leben als Beweis), von seinem reinen Sinn u.s.w. Dürer ist immer wieder das sittlich-moralische Vorbild, darauf kommt es Pforr an. Deswegen zieht es ihn ins Mittelalter, "wo sich die Würde des Menschen noch in voller Kraft zeigt".[134]
Für Pforr existiert ein geradezu zwingender Zusammenhang zwischen der Darstellung eines altdeutschen Themas und dem Bekenntnis zur Altdeutschen Kunst (und Lebensart). Auffallend ist allerdings - und besonders zum Zeitpunkt der Konzeption des Bildes - die Ausschließlichkeit, mit der Dürer und das Altdeutsche als Vorbild gezeigt werden: Pforr ist etwa ein Jahr in Rom und beschreibt begeistert römische Kunstwerke, insbesondere die Stanzen und die Sixtina. Gerade auch Michelangelo hat er immer mehr schätzen gelernt, aber nichts erinnert in der Mariatafel an andere Einflüsse als die des Altdeutschen.
Die zweite Art, das Altdeutsche Ideal zum Ausdruck zu bringen, ist die Technik, die Ausführung des Bildes: in denkbar größten Gegensatz zu den akademischen Idealen der Zeit verwendet er die maltechnischen Charakteristika der alten Meister, die er am meisten verehrt. Klare, feste, bestimmte Umrisse bzw. Ausführung[135], klare Farbgebung (fast Buntheit), ruhige Formen, die Haltung der Menschen auf den Bildern ruhig, in vertrauter "Körpersprache", keine "lächerlich affektierte" oder "übertriebene" Stellung[136], wie bei den meisten modernen Bildern, in der Malweise ganz zurückhaltend, kein Pinselstrich zu sehen, vollständiges Zurücktreten des Malers hinter sein Werk. Diese bei den alten Meistern gefundenen und geschätzten Merkmale versucht Pforr in seinem Bild zu verwirklichen - dies also die zweite Manifestation seines Kunstideals.
Die schon bei Overbecks Sulamith-und-Maria-Bild erwähnte "Irdischkeit" des Pforrschen Ideals - eine weitere Manifestation - läßt sich erst im Zusammenhang des Diptychons erschließen, also am Schluß der Deutung. Anzumerken ist noch, wie weitgehend die Demonstration der Nachfolge der Altdeutschen im Detail gehen kann: Pforr wünscht nämlich, die Farbe des Kleides seiner Maria in dem Rot zu geben, "wie die Alten Deutschen es mischten, daß es weder bloß zinnoberrot oder karminrot sei."[137]
Zur Maria-Tafel kann man bemerken, daß sie einen homogenen Eindruck macht, kein Detail drängt sich in den Vordergrund; hier ist Lehrs Urteil, daß trotz liebevollster Detailausführung dennoch alle Einzelheiten in eine geschlossene Form eingebunden sind und deswegen nicht stören, zutreffend.[138] Für die Ausdeutung hat dies natürlich die Schwierigkeit mit sich gebracht, daß es letztlich nicht zu entscheiden ist, ob Details wie die Sanduhr nur einfach zur Milieuschilderung gehören, oder ob sie Träger einer besonderen Bedeutung, des Todesgedankens o.ä., sind.
Einige Gegenstände lassen sich mit den aufgeführten Themenkomplexen noch nicht erklären, sie sollen deswegen abschließend zumindest versuchsweise erklärt werden.
Die weiße Schürze Marias, eine eigentlich völlig unauffällige Einzelheit, begründet Pforr damit, daß der leibhaftige Urtyp seiner Maria, eine auch Overbeck bekannte junge Frau, eine solche trug, als Pforr sie sah. Dies ist eigentlich die einzige Erwähnung, aus der man sehen kann, daß das Bild auch die Traumfrau Pforrs zur Darstellung bringt. Über dieses Thema schweigt er sich sonst aus. Eine Briefstelle an Overbeck aus Neapel, in der er von einem Mädchen schreibt, das ihn an seine Maria erinnerte, läßt nicht erkennen, ob es sich bei dieser Maria um eine reale oder um die erträumte Frau handelt.
Pforr mag bei diesem Thema etwas schüchtern sein, aber "feurige" Gespräche über Frauen gehörten zum festen Themenkreis des geselligen Lebens der Lukasbrüder, so daß man im Austausch Pforrs und Overbecks über ihre Traumfrauen keine Geheimgespräche sehen sollte. Hierzu eine Schilderung Vogels über ein Fest: "nun kam gar das Gespräch mit allem Feuer auf unsere zukünftigen Frauen, und nun wurde jedem die seine seinem Charakter gemäß bis aufs Äußerste ausgemalt. Cornelius besonders wußte es so gut zu treffen und aus den Herzen zu lesen, dass wir oft vor Freude laut aufjauchzten."[139]
Das elfenbeinerne Kreuz auf dem Evangelienbuch scheint eine beiden Freunden bewußte Bedeutung zu haben, denn schon im 8.Kapitel der Legende wird es erwähnt (beim Hochzeitsmorgen), und der Begleitbrief zum Gemälde führt es im Zusammenhang mit der rosinfarbenen Schnur auf, aber ohne Deutung. Der Sinn dieses Kreuzes - wohl eine Privatsache zwischen Overbeck und Pforr - bleibt also ungeklärt.
Ebenso verhält es sich mit dem Apfel auf dem Wandbrett. Auf der Vorzeichnung war statt der Sanduhr ein Granatapfel dargestellt, im Begleitbrief werden dazu keine Einzelheiten erwähnt. Keine der Deutungsmöglichkeiten, die dazu einfallen, können so recht überzeugen, vor allem sollte man sich hüten, verwickelte theologische Spekulationen in Erwägung zu ziehen, da dies bei den Lukasbrüdern nicht zu erwarten ist. Im Fall der Vorzeichnung könnte man im Nebeneinander von Granatapfel und Apfel an Italien und Deutschland denken, also an eine "nationale" Charakterisierung. Beim Gemälde, mit Frucht und Sanduhr, an Tod und Leben - also eine gänzlich andere Deutungsebene. Andere Möglichkeiten sind denkbar, aber diese Frage muß offenbleiben.[140]
Das Madonnenbild in der Nische gehört natürlich in erster Linie in das imaginierte Milieu eines frommen altdeutschen Haushalts; daneben spielt es auch auf die schon dargelegte Beziehung Gottesmutter - Kunstmaria an. Die Blumen neben ihr: "Lilien, Passionsblumen, Nelken und dergleichen" (Begleitbrief) sollen offensichtlich einen Bezug zur Gottesmutter und zu Christus haben, aber die legere Anmerkung "und dergleichen" zeigt doch, wie stimmungsmäßig diese Anspielung gemeint ist, wie wenig theologische Tradition damit ausgedrückt wird.
Wiederum ganz offen bleiben muß die Frage nach der Bedeutung von Marias Ohrringen, die Pforr aber im Begleitbrief so genau beschreibt, daß eine private Sinnebene suggeriert wird.
Das blonde Haar Marias kann unabhängig davon, daß es "notwendig" zu einem "deutschen" Mädchen gehört, noch mit der von Overbeck und Pforr eine Zeitlang erforschten Lehre von den Charakteren der Farben erklärt werden: in einem Brief vom 24.9.1808[141] werden recht plakativ den verschiedenen Haarfarben verschiedene Charaktere zugeordnet, wenn auch "mit vieler Einschränkung." Zu blondem Haar gehört demnach "Eingezogenheit, Bescheidenheit, Herzensgüte uns Stille, im ganzen mehr leidend als handelnd" - in Übereinstimmung mit Pforrs sonstigen Charakterisierungen seiner Traumfrau. Allerdings sollte man diese Farbcharaktere bei einer Deutung nicht überbewerten, diese Untersuchungen scheinen nur eine Episode innerhalb der Kunststudien der beiden Freunde geblieben zu sein. Die letzte Erwähnung davon ist schon am 6.1.1809 in einem Brief an Passavant, also lange zurückliegend. Wahrscheinlich kamen sie zu der Überzeugung, daß die Ausnahmen bei ihren Ergebnissen bei weitem die Regel übertreffen.
Zeigt die Maria-Seite ein in sich geschlossenes Ganzes, an dem keine Details aufdringlich wirken - im Sinne Lehrs also ein Kunstwerk - so ist bei der Sulamith-Tafel augenfällig, daß etwas "hineingeheimnist" ist. Man erinnert sich an Pforrs Antwort auf die Frage seiner Akademiekollegen nach der Bedeutung der drei Buchstaben in der "Allegorie der Freundschaft", als er "so trocken wie möglich" "Hieroglyphen" antwortet.[142] Offensichtlich hat man im jungen weißen Reh, im Eisvogel, in der Lilie "Hieroglyphen" vor sich - mit einem gewöhnlichen Gartenmilieu haben diese nichts mehr zu tun.
Aber die Fülle der Einzelheiten verleitet zu der Frage, ob jedes Detail etwas zu bedeuten hat, jede Pflanze, jedes Tier, die architektonischen Details usw. Es ist dasselbe Problem wie bei allen romantischen Gemälden: kann davon ausgegangen werden, daß die alten Bilder und Symbole in ihrer ursprünglichen Aussage verwendet werden, war diese überhaupt noch bekannt? Oder sind sie durch Eigenstudien an alten Bildern selber angeeignet, ausgedeutet worden - dabei aber u.U. mit veränderter Aussage? Hier sei an Pforrs "Dürer und Raffael am Thron der Kunst" erinnert, wo auf die Verwandtschaft zu einer venezianischen "sacra conversazione" hingewiesen wurde.[143] Auch ein Satz im Begleitbrief zum Gemälde illustriert dieses Problem: Pforr "dünkt ein fruchtbarer Weinstock, welcher an einem Baum sich hält,...(als) kein unpassendes Bild des Ehestandes." Das drückt keine Selbstverständlichkeit im Bild- oder Symbolgebrauch aus; man hat überhaupt den Eindruck, manche Symbole würden mehr gefühlsmäßig oder aus privaten Absprachen heraus benützt. Z.B. wird das Bild des Efeus, der sich um einen Baum schlingt, von Overbeck zur Charakterisierung seiner Beziehung zu Pforr verwendet.[144]
Das aussichtsreichste Verfahren dürfte demnach sein, zusätzlich zur bekannten Entwicklung der Darstellungen bei den beiden Freunden nach weiteren Quellen zu suchen, die einen Rahmen abstecken, in welchem nach der Bedeutung der einzelnen Details gefragt werden kann.
Einen wichtigen Hinweis liefert der äußere Gesamteindruck der linken Tafel selber: die südliche Landschaft, der verschlossene Garten, die Frau namens Sulamith, zusätzlich weiß man, daß eine Quelle der Namengebung das Hohelied ist, wie in der Legende ausgeführt - man wird also mehrfach auf das Hohelied verwiesen. Zu diesem Thema werden nun Overbecks Briefe aus dem Jahr 1811 untersucht.
Im schon erwähnten Brief vom 29.3.1811 mit der "poetischen Beschreibung" des Einzugs in Jerusalem[145] werden wörtliche Zitate aus dem Hohen Lied verwendet. Für sich betrachtet ist diese Stelle natürlich nicht so aussagekräftig, da Overbeck gern seine Briefe oder sein Tagebuch mit biblischen Zitaten schmückt. Im Brief vom 15.9.1811 an seine Mutter wird er aber deutlicher: er beschreibt begeistert den Früchtereichtum der umgebenden Natur, und bei der Betrachtung "könnt ich, auch ohne nur etwas anzurühren, stundenlang verweilen! Nun erst wird mir das Hohe Lied Salomos recht klar, und spricht mich recht an! jetzt erst begreife ich den süßen Drang, der mich so oft erfüllte, wenn ich es las und wie ich so gerne bei jedem einzelnen Bild verweilte!-"[146] An dieses "Verweilen" "bei jedem einzelnen Bild" muß bei der Deutung der Sulamith-Seite gedacht werden.
Besonders deutlich aber kommt sein Interesse für das Hohe Lied in dem Thema zum Ausdruck, das er gerne für das von Vogels Vater bestellte Gemälde ausführen wollte (zu dem es aber nicht kam). Vogel berichtet dazu am 25.11.1811 an seine Eltern, daß Overbeck wegen dem Thema noch unsicher ist - in Hinsicht auf den Geschmack von Vogels Vater -, daß seine Lieblingsidee aber eine Situation aus dem Hohen Lied wäre: "2 Figuren, Christus in Gestalt des Bräutigams, und die Braut, die die Kirche bedeutet, die Umgebungen würden wie ein wunderbarer Paradiesgarten, der ganz phantastisch sein dürfte, und die zwei Figuren zwei Ideale von Braut und Bräutigam im zartesten reinsten Verhältnis".[147] Overbeck selber schreibt dazu an seinen Vater am 12.9.: "Die Wahl des Gegenstandes wird dabei vermutlich mir ganz überlassen bleiben und ich werde mit der vollkommensten Ruhe, so Gott will! in die schönsten Regionen meiner Kunst schwärmen und in ihren heiligsten Genüssen schwelgen können."[148]
Eher schon seltsam wird es, wenn Overbeck in seiner Begeisterung für Formulierungen aus dem Hohen Lied so weit geht, seinen Freund Cornelius als "verschlossenen Garten voll Blumen und lieblicher Früchte" zu bezeichnen.[149]
Die Liebe zum Hohen Lied mit seiner Braut-Bräutigam-Symbolik ist verständlich bei Overbeck, wird doch immer wieder von der Kunst, vom Ideal als "Braut" gesprochen - von allen Lukasbrüdern. Pforr spricht im Brief aus Neapel an Overbeck z.B. von den "Bildern unserer auserwählten Bräute ... Sulamith und Maria."[150]
Nun kann die Sulamith-Tafel daraufhin geprüft werden, inwieweit Bilder aus dem Hohen Lied verwendet wurden.
Sulamith sitzt in einem verschlossenen Garten - einem sehr verbreiteten Bild aus dem Hohen Lied (IV,12).[151] Die Holztür, von der allerdings kaum etwas zu sehen ist, wird von Pforr ausdrücklich als von Zedernholz gemacht beschrieben, was auf VIII,9 verweist: "Ist sie eine Tür, so wollen wir sie festigen mit Zedernbohlen." Aber auch die Gestalt des Freundes selbst ist "auserwählt wie Zedern" (V,15), und "unsrer Häuser Balken sind Zedern" (I,17).
Die rote Schnur, die Sulamith um ihre Haare trägt, die immer wieder bei vorangegangenen Darstellungen bei ihr oder Maria auftaucht, wird in IV,3 erwähnt: "Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur." Daneben spielt ein rotes Band im Brauchtum und im Aberglauben eine wichtige Rolle als Schutz- und Abwehrmittel bei der Hochzeit, als Liebesgeschenk.[152] Bei der Hochzeit scheint das rote Band als Brautschmuck recht verbreitet gewesen zu sein[153], und somit auch den Lukasbrüdern in seiner Bedeutung noch geläufig.
Ein Reh wird im Hohen Lied häufig als Bild für den Bräutigam erwähnt, so in II,9: "Mein Freund ist gleich einem Reh..."[154] (ähnlich II,17 und VIII,14). Das rote Band um den Hals des Rehs erklärt sich dann ganz im Sinne des Hochzeitsbandes, als Schmuck des Bräutigams. Die merkwürdige weiße Farbe des Rehs - die dem Begleitbrief nach zu schließen nicht sehr von Bedeutung ist, da Pforr lange Zeit zwischen weiß und braun schwankte und aus koloristischen Gründen eher für braun gewesen wäre - könnte durch den Hinweis im Hohen Lied "mein Freund ist weiß und rot" (V,10) eine Erklärung finden. Das rote Band ist somit zugleich eine passende farbliche Ergänzung zum "weiß". Dagegen läßt sich aber einwenden, daß das Reh auffallend jung und im Verhältnis zur Sulamith unverhältnismäßig klein ist; es scheint kaum denkbar, in ihm einen angemessenen Bräutigam zu sehen.
Eher noch möglich wäre eine inhaltliche Parallele zur Lilie, wie sie ja auch formal im Gemälde durch den engen räumlichen Zusammenhang ausgedrückt ist: das Reh würde also auf Unschuld und Reinheit verweisen. Die Lilie, von den beiden Freunden oft in Bildern angebracht - z.B. im "Idealbildnis Pforr" von Overbeck - kann auch wegen ihrer Erwähnung im Hohen Lied angebracht worden sein (VII,14). Sie erscheint oft auf Darstellungen der "Madonna im Rosenhag", denn sie ist eine Blume des Paradieses, und vor allem gehört sie zu einer "Verkündigung", denn als Sinnbild der Reinheit ist sie ein Hinweis auf die Jungfräulichkeit der Maria.[155] Dieser Gehalt der Lilie war den Lukasbrüdern auf jeden Fall bekannt, wie man aus dem Legendentext ersehen kann, wo Maria als "unschuldige Lilie" bezeichnet wird. Herbert von Einem erwähnt, daß die auf das Hohe Lied zurückgehende Liebessymbolik von Lilie und Rose, die in der Mystik lebendig war, von der Romantik wieder aufgegriffen wurde und bei Runge zum erstenmal wieder begegnet.[156] Es ist auch im Falle Pforrs einleuchtend, von dieser Bedeutungsebene auszugehen. Dazu paßt, daß diese Blumen auch im Kranz des Bogenfeldes wieder auftauchen.
Die Taube daneben wird oft im Hohen Lied erwähnt, sie ist entweder ein Bild für die Freundin (II,14), oder erscheint als Turteltaube (II,12), oder die Rede ist von den Taubenaugen der Freundin (IV,1 und V,12). Eine andere Bedeutung der Taube im Bild wäre sehr unwahrscheinlich, etwa als Geist Gottes.
Der aufgebrochene Granatapfel, den Sulamith den Kind vorhält, ist ein so bedeutungsreiches Motiv, daß bei einer inhaltlichen Betrachtung davon ausgegangen werden sollte, was den Lukasbrüdern bekannt gewesen sein kann. Im Hohen Lied wird der "Ritz am Granatapfel" (IV,3) als Vergleich für die Wangen der Freundin verwendet. Auch wenn davon ausgegangen wird, daß Overbeck über jedes Bild des Hohen Liedes lange meditierte, kann hier nicht einfach so ein äußerlicher Vergleich gemeint sein, man muß nach anderen Bedeutungen suchen.
Granatbäume kommen in begeisterten Schilderungen der fruchtbaren italienischen Landschaft in Briefen der Lukasbrüder immer wieder vor, auch in der Legende bei der Schilderung des schönen Gartens von Johannes. In diesem Zusammenhang schwingt immer die alte, die antike Bedeutung des Granatapfels als Symbol für Lebensfülle und Fruchtbarkeit mit.[157] Aber auch dies reicht zur Deutung nicht aus.
Welche Vorstellungen könnten den Lukasbrüdern bekannt gewesen sein? Die Granatäpfel im Hohen Lied bezeichnen zum Beispiel die Liebe der Braut und die innere Schönheit, die in ihrer äußeren Armut verborgen liegt.[158] Nach den Erklärungen der Kirchenväter ist der Granatapfel ein Symbol für die Ecclesia: in ihrer Hülle trägt sie die Fülle der Mysterien und die Hoffnung auf die jenseitigen Güter.[159]
Um eins dieser Motive im Bild nachweisen zu können, ist es angebracht, sich über den Zusammenhang klar zu werden, in dem der Granatapfel im Bild erscheint: Sulamith - die erhoffte Braut -, das Ideal, die Kunst Overbecks, die Braut des Hohen Liedes - stützt ihr Kind wie eine Madonna im rechten Arm und hält ihm mit der anderen Hand einen aufgebrochenen Granatapfel vor das Gesicht. Auffallend ist dies deswegen, weil das Kind mit ihm so nichts anfangen könnte: ein Granatapfel ist nicht einfach zum Abbeißen.
Wer oder was ist dieses Kind? In der ersten Bedeutungsebene ist es natürlich das Kind von Sulamith und Johannes, dem Paar aus der Legende. In der zweiten Ebene ist es die "Frucht" aus der Verbindung von Johannes / Overbeck mit der geliebten Braut, der Kunst. Man kann das Kind also einmal als die Kunst Overbecks, als eine Fähigkeit, Bilder zu malen, ansehen, und zum zweiten als eines der erwünschten Bildwerke im engeren Sinn - Overbeck sprach ja von seinem "Lazarus" auch als von seinem "Erstgeborenen".[160] Die Hoffnung der Lukasbrüder war nun, nicht nur die Schale der Kunst zu benagen; Pforr bringt diesen Vergleich in einem Brief an Passavant vom 5.5.1811: "Was Du von der Ruhmsucht der französischen Künstler sagst, ist leider nur zu allgemein überall wahr, und dabei benagen die meisten, leider fast alle, die Schalen, ohne nur eine Ahnung von dem inneren Kern der Frucht zu haben."
Die Geste der Sulamith könnte man nun auf zwei Arten verstehen: einmal als Aufforderung, als Mahnung an die Kunst Overbecks, nicht im Äußerlichen stehenzubleiben. Oder man legt den Schwerpunkt mehr auf das räumliche Nebeneinander von Kind und Granatapfel, wobei das Kind die Frucht (die Kunst) bedeutet und der Granatapfel ihr Wesen. Der Granatapfel wäre in beiden Fällen in dem Sinn zu deuten, wie die oben angeführten Vorstellungen: daß ein unscheinbares Äußeres gleichwohl mit erquickenden, wohltuenden Inhalt gefüllt sein kann - in leiblicher wie in geistiger Hinsicht. Es erinnert auch an die Vorstellung, daß der vollkommene Christ wie ein Granatapfel seine innere Schönheit verborgen und geschützt trägt durch die Hoheit einer strengen Lebensführung.[161]
Ein Granatapfel wird im Begleitbrief noch zweimal erwähnt: das Rot des Mantels der Sulamith wollte Pforr im Ton der Kerne des Granatapfels malen, das Innere des Mantels dagegen ursprünglich weiß. Die zweite Erwähnung geschieht im Zusammenhang mit den Ohrringen der Maria, zu denen Pforr im Begleitbrief erwähnt, daß er sie "von so grünem Stein machen" wollte, wie Overbeck die Granatapfel-Ohrringe auf einem seiner Gemälde gemacht hat. Daraus wird zwar deutlich, wie weit der Granatapfel zur privaten Mythologie gehört, aber es ist unklar, welches Werk Overbecks damit gemeint ist. In Frage kommt nur das Einzugsbild, wo bei der linken Frau Ohrringe zumindest zu ahnen sind, wenn auch nicht sicher, schon gar nicht die Farbe. Während im ersten Fall die beiden Farben Rot und Weiß den Bedeutungsinhalt auszumachen scheinen, denn nur der Farbton der Kerne wird erwähnt, kann man im zweiten Fall nur vermuten, daß eine Vorstellung wie die oben geschilderte angesprochen ist.
Schon der Granatapfel konnte nicht mehr mit seinem Vorkommen im Hohen Lied gedeutet werden, das trifft auch auf die folgenden Gegenstände zu.
Die Porphyrbank, auf der Sulamith sitzt, erscheint meist auf Bildern der "Madonna im Rosenhag". Die "erhebende" Wirkung dieser Bank aus dem wertvollen Material dürfte den Lukasbrüdern bekannt gewesen sein, das Motiv gehört also in den Umkreis des "Edlen", welches nach Pforrs Begleitbrief zu den Charakteristika dieser Seite Gehört.
Der Eisvogel hat in Aberglauben und Kunst verschiedene Bedeutungen, von denen seine Rolle als Glücksbringer, Geldvermehrer, auch als Wetterprophet zwar von Bedeutung ist[162], aber sinnvoller erscheint er im Zusammenhang eines Brautbildes in seiner Bedeutung als Symbol der treuen Gattenliebe.[163] Verbreitet war das Märchen, daß das Weibchen der paarweise zusammenlebenden Vögel sein altgewordenes Männchen auf seinen Flügeln trägt, füttert und bis zu seinem Tod betreut. Dieses antike Märchen, das von verschiedenen Autoren überliefert wird, dürfte dem humanistisch gebildeten Overbeck nicht unbekannt gewesen sein.
Das Feldhuhn, die Wachtel, gilt in der Emblematik als Sinnbild für weise Bescheidung, da es am Boden nistet.[164] Einerseits würde es nicht recht zum Bild passen, da Overbeck und die Lukasbrüder zum Höchsten strebten, andererseits ist Overbeck immer wieder im Kampf mit seiner Ruhmsucht, weswegen er sich häufig zu demütiger Bescheidenheit ermahnt[165] - für diesen Charakterzug wäre das Feldhuhn also nicht unpassend, vor allem, da das Diptychon Pforrs ja recht genau in die Zeit fällt, in der Overbeck den Vorsatz zu seiner völligen Umwandlung trifft.
Das Rotkehlchen gilt im Aberglauben als Glücksbringer, besonders dann, wenn ihm das Brautpaar beim Gang aus der Kirche begegnet.[166] Auch wenn der Kirchgang für Sulamith und Johannes schon etwas zurückliegt, findet das Rotkehlchen damit eine sinnvolle Erklärung.
Bei den Pflanzen muß auch teilweise symbolische Bedeutung angenommen werden. Die Lilie wurde schon erwähnt und soll hier außer Betracht bleiben. Der Palmzweig rechts unten in der Ecke ist eindeutig als das Signum Overbecks (siehe den Text der Legende) gedacht, denn er befindet sich an der Stelle der Sulamith-Tafel, wo entsprechend bei der Maria-Seite Pforrs Signum sich befindet bzw. befinden sollte. Für eine Deutung außer Betracht bleiben kann sicher das Gras, dagegen kann man beim Gebüsch vor und hinter der Mauer im Zweifel sein. Pforr führt einen Lorbeerstrauch auf, der ganz allgemein als Pflanze des Ruhms oder der Ehre bzw. der "siegenden Tapferkeit", wie es der Lukasbrüder Sutter ausdrückt[167], die Stimmung dieser Seite des Diptychons mitcharakterisieren soll, aber für eine weitere Auslegung doch zu kulissenhaft angebracht ist.
Die auffallend langstämmigen Pinien des Hintergrundes sollen nach Pforrs Absicht "den Charakter der Landschaft" erheben. Pinien sind zwar, soweit nachprüfbar, im allgemeinen nicht mit einem bestimmten Symbolcharakter verbunden - ausgenommen die Pinienzapfen -, tauchen aber oft auf italienischen Gemälden auf und wurden wohl deswegen schon früh von Overbeck auf eigenen Bildern angebracht, noch ehe er in Italien war. Auch die ausgeprägte Langstämmigkeit kommt bei ihm schon vor, z.B. in der schon erwähnten Zeichnung "Dürer und Raffael am Thron der Kunst", oder fast noch auffallender in der Stammbuchzeichnung für den Hofrat Büel.[168]
Der Baum links (vielleicht eine Fichte) bildet mit dem kaum zu sehenden Weinstock zusammen ein Bild für den Ehestand. Das Motiv hat die Lukasbrüder immer wieder angesprochen und findet sich in Briefen Overbecks, Pforrs und Vogels häufig im Zusammenhang mit begeisterten Schilderungen der fruchtbaren italienischen Landschaft. Vergleichbar ist auch das Bild, das Overbeck zur Charakterisierung seiner Beziehung zu Pforr verwendet: Efeu um einen Baum gerankt.
Die unscheinbare Zypresse am Hang des felsigen Berges im Hintergrund gehört in einen weiteren Zusammenhang, soll also noch etwas zurückgestellt werden.
Die dargestellte Stadt hat "etwas ähnliches im Charakter von dem herrlichen Rom", antike und christliche Bauwerke treten gemischt auf. Sicher zu erkennen ist das Pantheon, ein Aquädukt, die Trajanssäule, andere römische Ruinen, ein christlicher Kuppelbau, allerdings nicht näher bestimmbar[169], sowie eine weitere Kirche in der Nähe des Pantheons. Rom war für die Lukasbrüder, besonders für Overbeck, so etwas wie ein Bekenntnis. Die Stadt ist ausgezeichnet durch ihre Rolle als Zentrum der Christenheit, und das Christentum spielt für den Bund wieder eine große Rolle: sie ziehen es vor, an dieser Stätte die Werke der italienischen Renaissance zu studieren, es verlangt sie nicht nach Paris, dem eigentlichen Kunstzentrum dieser Zeit, wohin so viele Kunstschätze "zusammengeraubt" wurden, wo auch das politische, wirtschaftliche und geistige Zentrum ist, wo deswegen Verwandte (Overbecks Vater) und viele Freunde und Bekannte besonders von Pforr (Passavant u.a.) sich aufhalten. In und durch Rom soll der Durchbruch kommen, in Betrachtung der Werke Raffaels und Michelangelos, der Stanzen, der Sixtina. Der besonders von Overbeck verehrte und als Vorbild erkorene Raffael lag im Pantheon begraben[170], was dessen bevorzugte Stellung im Bild erklären könnte: dort liegt der alte Raffael, vorne steht der "Nachfolger". Overbeck, zu dessen eingestandenen Lastern die Ruhmsucht gehörte, sah sich gerne in der Rolle des neuen Raffael: "O, es hat erst ein Raphael existiert, wie wenn?"[171]
Durch und in Rom wollten die Lukasbrüder ihre künstlerische Reife erreichen; es liegt nahe, deswegen die kaum sichtbaren Wallfahrer am felsigen Berg mit ihnen zu identifizieren. Als "Klosterbrüder" oder "Häuflein St.Lukas" sahen sie sich, die Vorstellung eines Wallfahrers liegt nicht fern. Um diese Szene näher zu deuten muß bekannt sein, daß Landschaften ein oft verwendetes Bild für die verschiedenen Arten der Kunst sind bzw. für die Wege zur Kunst, in Overbecks Aufsatz über die drei Wege zur Kunst ist das ausführlich dargelegt (s.u.). Der Tempel - Pforr verwendet im Begleitbrief ganz explizit den bestimmten Artikel, suggeriert damit also eine Bedeutung -, der als einziges Bauwerk gegen den Himmel steht und mit zum Auffallendsten im Bild gehört, kann nur mit dem Tempel der Kunst oder der Unsterblichkeit identifiziert werden[172], er hat nichts von einer normalen Wallfahrtskirche an sich.
Dieser Bildteil läßt sich nun fast "bilderbuchartig" lesen: vorbei an einer "ernsten Zypresse", einem Totenbaum - denn viele strebten zur Kunst, ohne sie zu erreichen -, bewegt sich durch unwegsames Gelände auf steilem Weg der Lukasbund zum Tempel der Kunst, und man darf nicht zweifeln, daß er ihn erreicht.
Angesprochen ist diese Vorstellung in einem Brieffragment Pforrs (vielleicht an Overbeck), allerdings gepaart mit seinen drückenden Selbstzweifeln: "mühsam schleppe ich mich nach... ich sehe Euch vor mir schreiten zum Ziel, das Euch schon von ferne winkt, und kann nichts als ein Lebewohl Euch zurufen."[173] Im Kunstaufsatz Overbecks ist dies ebenfalls deutlich: "Drei Wege führen durchs Land der Kunst,..., und alle führen den unermüdeten Wanderer am Ende zu seinem Ziel, zum Tempel der Unsterblichkeit."[174] Im Brief Sutters an Pforr vom 9.9.1810 wird davon gesprochen, daß sie "zum hohen Ziel eilen".[175] Und schon ganz früh, in der "Rede übers Ideal", kam diese Vorstellung zum Ausdruck in der Ermutigung, "mutig vorwärts und hinauf zu streben."[176]
Nur von atmosphärischer Bedeutung ist der sich hinter der Stadt befindende See samt Segelboot und dem sich im Wasser spiegelnden Himmel: Pforr will damit die "heitere" Stimmung betonen. Seit er zum erstenmal bei Triest das Meer sah, ist dieses - vor allem zusammen mit Segelbooten - für ihn ein geliebtes Bild für "heitere Stimmung". Immer ist er begeistert vom Meer.
Den Blumenkranz im Gestänge des Bogenfeldes beschreibt Pforr als aus "edlen" Blumen bestehend: "Rosen, Passionsblumen, Lilien und Tulpen wechseln mit grünen Blättern von Lorbeerbaum und Orangen gehörig ab" - Blumen mit Bezug zum Hohen Lied, auf Maria, auf unbefleckte Tugend u.ä. Das Weiß, das die dominierende Farbe gegen den blauen Himmel sein soll, verstärkt wohl die Bedeutung der Reinheit, Unschuld. Eine stilisierte Rose bekrönt noch das Ziergestänge, im Kontrast zum Pinienzapfen des anderen Bogenfeldes. Wahrscheinlich ist hier der Gegensatz edel (Rose) - leidend (Pinienzapfen) angesprochen, den man ohne weiteres durch den Gegensatz überirdisch - irdisch ersetzen kann, dazu s.u.
Eine sinnvolle Erklärung für das Sechseck im Kreis war mir nicht möglich zu finden.
Overbeck als Adressat des Bildes ist einmal als Ganzporträt dargestellt und einmal "verschlüsselt". Als Porträt erscheint er ehrfürchtig an der Gartentür, sein Verhältnis zur Sulamith noch so wie in dem drei Jahre zurückliegenden Gespräch übers Ideal: anbetend. Die Kleidung ist auffällig: über eine Unterkleidung, die derjenigen Pforrs vom "Idealbildnis" entspricht, also eine imaginierte altdeutsche Kleidung, trägt er Pforrs venezianischen Mantel - ein eigentlich seltsames Detail. Einmal ist keine kühle Jahreszeit dargestellt, wie am nackten Kind zu sehen ist, und zum zweiten trägt er über deutscher Kleidung einen italienischen Mantel. Bei der Denkweise von Pforr ist es durchaus möglich, in der Kombination von deutscher und italienischer Kleidung ein inhaltliches Bekenntnis zu sehen: die deutsche Kleidung würde auf die Anerkennung der Kunst der Altdeutschen verweisen (bei Overbeck, um den es in diesem Porträt geht, muß man diesen Sachverhalt etwas zurückhaltender als im Falle von Pforr formulieren, aber auch Overbeck war zeitweise intensiv von altdeutschen Vorbildern beeinflußt, wie an mehreren Bildern zu sehen ist, z.B. dem Stammbuchbild für den Hofrat Büel[177], der venezianische Mantel aber ins Bewußtsein rufen, daß sogar Dürer entscheiden von seinem Italienerlebnis, besonders seinem Venedigaufenthalt, beeinflußt war. Nicht zufällig will Pforr unbedingt nach Venedig, als die Reiseroute nach Rom geplant wird; Overbeck wäre lieber über Florenz gereist, wie er seinen Vater schreibt[178], es ist ihm letztlich aber egal, Hauptsache Rom. Man frägt sich dabei unwillkürlich, wieso sich diese Wünsche nicht miteinander vereinbaren ließen). Bei Pforr ist dieser Wunsch, durch Venedig zu kommen, ganz eindeutig durch seine Verehrung für Dürer zu erklären.
Ob der leichte Anklang der Szene mit Overbeck/Johannes an eine Maria mit Kind und mit Joseph im Hintergrund inhaltlich zu erklären ist oder nur zufällig auftaucht, war mir nicht möglich zu entscheiden. Es ist denkbar, daß ein Verhältnis, wie es dem Maler der Kunst gegenüber geziemt, damit verbildlicht wird. Die untergeordnete Rolle, die Joseph zukommt, ist auch dem Künstler der Kunst gegenüber angemessen. Auch eine Parallele zu Pforrs Verhältnis zur Maria/Gottesmutter klingt an, aber speziell auf Overbeck zugeschnitten: während Pforr die Vereinigung sucht, beharrt Overbeck in einer eher ideellen Ehe, bei ihm ist der Abgrund zwischen seiner Irdischkeit und der Überirdischkeit seines Ideals zu groß. Auf weitere Spekulationen soll aber wegen der unsicheren Grundlage verzichtet werden.
Das zweitemal erscheint Overbeck nur "verschlüsselt": der Evangelist Johannes ist dargestellt, weil Overbecks zweiter Taufname Johannes ist; im Verkehr untereinander verwendeten die Freunde gern diesen Namen, auch in der Legende. Erwähnen muß man auch das Gedicht, welches Pforr für Overbeck Weihnachten 1811 verfertigte und welches beginnt: "Johannes, Du junger Adler".[179] Johannes der Evangelist erscheint aber auch deswegen an dieser prominenten Stelle, weil er Overbecks Lieblingsevangelium geschrieben hat. Darüber schreibt er einiges am 25.4.1809 an seinen Bruder, u.a. hat er begonnen, es schriftlich zu übersetzen, und besonders lieb ist es ihm, seitdem er weiß, daß die Originalität so gut wie bewiesen ist.[180] Wesentlich für die Anbringung des Evangelisten dürfte aber die Namensverwandtschaft sein. Eigentlich hätte man auch den Evangelisten Lukas erwarten können, da sich zwei Lukasbrüder mit dem Bild zu ihren Idealen bekennen.
Als letztes bleibt übrig, die Rolle des Lichts und der Landschaft zu deuten. Offensichtlich ist eine Dämmerung dargestellt: dem Horizont nach könnte die Sonne gerade hinter den Bergen unter- bzw. aufgegangen sein. Dem widerspricht aber die Schattengebung: die Lichtquelle liegt außerhalb der Bildfläche, das Licht scheint von oben links ins Bild hineinzuleuchten. Diese Beleuchtungsverhältnisse können nicht auf Unaufmerksamkeit zurückgeführt werden, da das Licht wie auch das Aussehen einer Landschaft zum Charakterisieren einer Bildstimmung von den Lukasbrüdern, die technisch dazu in der Lage waren, gern verwendet wurde - z.B. auf Pforrs "Heiligen Georg".
Im Fall der Sulamith-Tafel ist somit nicht nur eine friedliche Abendstimmung gemeint. Es ist hilfreich, zunächst die atmosphärische Beschreibung dieser Seite im Begleitbrief Pforrs heranzuziehen: er will alles wie "mit einem goldenen Duft überzogen malen", den Horizont "ins rötliche verlieren machen", die Berge "wie mit Rosengold überzogen", der Tempel "rötlich beleuchtet". Insgesamt soll das Charakteristikum dieser Seite sein, daß es wie "von Gold" gemalt aussieht - während die Maria-Seite wie "von Silber" gemalt aussehen soll. Neben der Bedeutung, daß Sulamith die Prächtige, Edle, Reiche ist, deswegen mit Gold verbunden wird, und Maria die Bescheidene, Bürgerliche, "Ärmere", deswegen mit Silber assoziiert, schwingt in Pforrs Beschreibung immer wieder die Verbindung zur Dämmerung mit - Homers goldene Morgendämmerung mit ihren Rosenfingern ist hier nicht mehr weit. Um die Bedeutung der Dämmerung im Denken der Lukasbrüder, speziell Overbecks, zu verstehen, muß man Overbecks Aufsatz "Die drei Wege zur Kunst" kennen.[181]
Drei verschiedene Wege werden beschrieben, die alle ihren eigentümlichen Reiz haben und den "unermüdeten Wanderer am Ende zu seinem Ziel, zum Tempel der Unsterblichkeit führen." Der erste ist der "Weg der Natur und der Wahrheit", der durch "gutes ergiebiges Land", manchmal auch durch eine "öde Heide" geht, aber "der Horizont (ist) meistens helle, und die Sonne der Unbefangenheit geht niemals unter." Auf diesem Weg gehen die meisten Künstler. Während die älteren geradlinig zu ihrem Ziel liefen, laufen die neueren Zickzack und landen deswegen manchmal auf der einen Seite im Schlamm oder auf der anderen Seite in der Sandwüste. Nur auf dem geraden Wege kommt man zum Ziel; dieser Weg hat den Vorteil, daß er "durch ein ebenes Land führt, wo es keine Berge zu steigen gibt, vielmehr immer bequem zu gehen ist", daß man nicht allein ist, und daß der Himmel meistens heiter ist. Letztlich sieht man aber auf dem Weg der Natur nicht mehr, "als eben auch andere Menschen alle Tage auf der Gasse sehen."
Der Weg der Phantasie ist das Gegenteil zum Weg der Natur: immer geht's bergauf, bergab, über Klippen und Abgründe, in abenteuerlicher Umgebung. Meist ist es Nacht, dann aber wieder ein Freudenmeer von tausend Sonnen. Dieser Weg ist nur für die stärksten Naturen unter den Künstlern, deswegen sind hier nur sehr wenige unterwegs, und diese haben untereinander keinen Kontakt. Lust und Entsetzen, Furcht und Erwartung wechseln in ihnen ab. "Nie dringt auch nur der leiseste Schimmer vom Lichte der Wahrheit in diese Klüfte, unübersteigliche Berge schließen dieses Land ein..." Man sieht nie Alltägliches auf diesem Weg, nur neues, seltenes, einziges - das Gemüt des Wanderers ist deswegen nie in Ruhe. Für den, der diesen Weg gehen kann, führt er am schnellsten zu Ziel.
Der dritte Weg zum Tempel der Unsterblichkeit ist der Weg des Ideals, der Schönheit, den Overbeck für sich selbst gewählt hat - denn der Weg der Natur ist ihm zu alltäglich, der Weg der Phantasie zu gefährlich. Das Land des Ideals aber, für die, die "weder das Ungeheure fassen" können "noch auch an der Alltagswelt genug" haben, für die, die "sanftere Eindrücke" lieben und "lieber im holden Zwielicht" wandeln, dieses Land ist wie ein "Paradies" mit "Blütenduft des Frühlings" und "Fruchtfülle des Herbstes". Aus der Ebene der Natur "strahlt auf der einen Seite die Abendröte der Wahrheit herüber und auf der anderen Seite steigt hinter goldnen Bergen der Phantasie das Morgenrot der Schönheit auf und hüllt die ganze Gegend in einen rosigen Goldduft. So wechseln hier beständig Morgen- und Abendröte, Wahrheit und Schönheit gatten sich und aus ihrer Umarmung geht das Ideal hervor."
Pforrs Gemälde ist eine genaue Verbildlichung des Textes: die zwei Dämmerungen, der Goldduft (zumindest ist er beabsichtigt), der Paradiesgarten, die Berge auf der einen Seite mit dem Morgenrot - vollkommen deutlich hat Pforr seinen Freund also im Land des Ideals und der Schönheit dargestellt und damit dessen Kunstideal ausgedrückt. Der Hauptvertreter dieses Kunstideals ist Raffael, wie überhaupt für Overbeck die italienische Kunst mehr zu diesem Weg zur Unsterblichkeit zu neigen scheint, das erklärt die "Gleichung": Land des Ideals gleich italienische Landschaft.
Fällt die Zuordnung der Sulamith-Seite zu einem der drei Wege zur Kunst so leicht, kann man weiterfragen, wie es mit der Maria-Seite aussieht. Trotzdem auf der Innenraumdarstellung durch das Fenster keine Landschaftsdetails zu sehen sind, kann man doch erkennen, daß sich die auf der linken Seite sichtbaren Berge fortsetzen, daß ebenfalls der dämmrige Himmel zu sehen ist, und daß das Licht schräg (= Dämmerung) in die Kammer fällt. Die Innenraumschilderung nach Dürer, gleichbedeutend mit dem Weg der Natur, ist also noch mit einem Hauch vom Weg des Ideals vermischt. Das ist durchaus als Bekenntnis Pforrs zu sehen, denn es läßt sich anhand seiner römischen Werke nachweisen, daß er an bloßen Schilderungen von "Alltäglichkeiten" - wie es Overbeck ausgedrückt hätte - keine wahre Befriedigung mehr empfand und zu "idealen" Schilderungen von Legenden u.ä. überging, zumindest ansatzweise. Pforr folgt in seiner künstlerischen Entwicklung damit einem schon von Overbeck skizzierten Entwicklungsgang, der vom Land der Natur hinübergeht ins Land des Ideals, und dann weitergehen kann ins Land der Phantasie - nie soll man es aber umgekehrt machen. Es gibt auch eine Stelle, wo Overbeck Pforr lobt, über den Weg der Natur zum Ideal gefunden zu haben.[182]
Dies muß schon einige Monate vor der Reise nach Rom "stattgefunden" haben, denn er berichtet im Studiumsbericht an Sarasin: "Allein in mir war eine bedeutende Änderung vorgegangen: ich hatte sonst nur die Natur oft mit ihren Zufälligkeiten nachzuahmen gesucht, jetzt genügte mir dieses nicht mehr, ich fühlte, das der Künstler einem höhern Zweck entgegen arbeiten soll, und daß nur der Sinn für das wahrhaft Schöne dahin führen kann. Mit meinem Freunde Overbeck sprach ich viel darüber. Er äußerte sich, daß es ihn freue, daß ich dieses jetzt einsähe, allein er fände es für gut, daß ich auf dem Weg der Natur zu dieser Erkenntnis gekommen sei. Denn die Geschichte der Maler bezeichne uns mehrere, die ihren Sinn für das Schöne früher als für die Natur ausgebildet haben, und die auf diesem Weg verloren gegangen sind bei dem größten Talent. Das Resultat unserer Gespräche war ungefähr folgendes. Der Künstler soll uns durch die Natur in eine höhere idealische Welt versetzen; unterläßt er dieses und bringt nur die Natur zur Ausübung, so tut er bei weitem nicht genug und zeigt uns nur die Dinge, die man leicht täglich sehen kann und zwar in der Wirklichkeit, die der Kunst immer vorgeht, und durch dieses wird ihr Wert sehr verringert. Arbeitet er aber bloß nach einem Ideal, ohne sich um die Natur zu kehren, so wird seiner höhern Welt aller Reiz fehlen, und ganz kalt werden uns oft die schönsten Gedanken lassen; denn die Natur liegt uns immer am nächsten und hat daher die größte Wirkung auf uns."[183]
Schon vorher erwähnt Pforr im Studiumsbericht, daß er mit einer Art Glück im Unglück zwar "...glaubte durch die bloße Anwendung der Natur auf eine Stufe der Vollkommenheit zu gelangen;...", aber glücklicherweise nahm er sich nicht die gegenwärtige Natur als Vorbild sondern "...zum Glück für mich suchte ich in den Geist des Mittelalters so viel als es mir möglich war einzudringen, und die Natur zeigt sich da schöner als jetzt; ich glaubte, der Künstler müßte bloß durch moralische Gegenstände an das Herz sprechen und zu bilden suchen: dies ist wahr, allein durch Schönheit, die sein Werk beleben soll, erfüllt er diesen Zweck weit besser, denn wahre Schönheit des Körpers drückt bei dem Künstler auch die Vorzüge des Geistes aus und wirkt unstreitig wohltätig auf die Bildung des Menschen; doch davon wußte ich noch nichts."[184]
In den angeführten Stellen kommt aber doch wieder Pforrs Eigenart zum Ausdruck: auch wenn er jetzt den Weg des Ideals, der Schönheit anerkennt, wenn er vom ausschließlichen Schildern der Natur und der bloßen Absicht, moralisch erhebend zu sein, abkommt, wird er dennoch nicht zum reinen Parteigänger Overbecks, sondern betont immer die Verbindung von Natur und Ideal. Wenn dies als Resultat der Gespräche mit Overbeck bezeichnet wird, so ist nicht zu übersehen, daß es eigentlich hauptsächlich Pforrs Meinung ist - oder besser: es mag auch Overbecks Überzeugung sein; seine Bilder sprechen aber eine andere Sprache und sind durch die angestrebte Idealität blutleer, "seiner höheren Welt" fehlt "aller Reiz" (um mit Pforrs Worten zu reden).
Pointiert wird diese Überzeugung Pforrs ausgedrückt in einer Bemerkung Howitts: "Nach Pforrs Tod erinnerte sich Overbeck daran, daß Pforr die Verschmelzung der alten deutschen und italienischen Kunst als eine Aufgabe, wenigstens als das mittelbare, secundäre Ziel der neuen Bewegung aufgestellt hatte."[185] Alte deutsche und italienische Kunst verschmelzen, also Natur und Ideal verbinden, nicht nur eine davon zu ergreifen, wie es letztlich Overbeck tat, das will Pforr! Das hat er auch mit seinem Gemälde geleistet und beabsichtigt, und damit die ihm "eigenthümliche Kunstweise zur Erscheinung"[186] gebracht. Sicher war es auch seine Idee, die beiden Frauen zu Zwillingsschwestern zu stilisieren, die gemeinten Kunstrichtungen damit eng aneinander zu binden; denn noch bei Overbeck im Brief an seinen Vater vom März 1811 sind sie verschieden alt, Sulamith ist die jüngere.[187]
Die Teile von Pforrs Bild dürfen folglich nicht selbständig betrachtet werden, der Zusammenhang/-klang von beiden Seiten ist das entscheidende Bekenntnis. Er hat sich Mühe gegeben, dies mit malerischen Mitteln zu betonen (bis hin zu kleinen Details wie dem Türpfosten der Gartenmauer); so wird Lehr[188] nicht müde, die "wundervolle Ausgewogenheit" der Farben, die "Zusammenordnung in der Komposition", die "absolute Einheit" zu loben[189], das "Wunder von Pforrs noch einmal aufflammender künstlerischer Kraft", welche "dies Bildchen von so überzeugender Einheit in Aufbau und Farbe" schuf.[190] Das Lob Lehrs über die Einheit in Aufbau und Farbe ist teilweise auch anhand von Abbildungen nachvollziehbar, man mag über die sonstigen Qualitäten des Bildes denken wie man will. Dieser Aspekt des Bildes wird von vielen Autoren gelobt und war letztlich auch für die hohe Wertschätzung des Gemäldes ausschlaggebend.
Kommen somit auf dem Bild die Wege der Natur und des Ideals vor, kann man weiterfragen, wie es mit dem dritten Weg aussieht, den Weg der Phantasie. Keiner der beiden Freunde hat diesen Weg für sich gewählt, keiner hält sich für eine "außerordentliche Natur". Vom Lukasbund galt bloß Wintergerst als Vertreter dieser Richtung, so unglaubhaft dies den erhaltenen Bildern nach klingt. Unbestreitbar ist die Achtung, die Michelangelo von Pforr wie von Overbeck entgegengebracht wird.[191] Es wäre seltsam, keinen Reflex davon im Bild zu finden.
Die Dreiteilung der Bildkomposition führt aber auf eine Spur, die auch Michelangelo zu seinem gehörigen Recht kommen läßt: im bekrönenden Zwickelfeld ist die Johannesgestalt so auffallend an die Propheten- und Sibyllengestalten der Sixtinischen Kapelle angelehnt, daß dies als Absicht gewertet werden muß. Pforrs Johannes ist allerdings doch so selbständig entworfen, daß keine Figur direkt Pate gestanden hat. Pforr hat in der Sixtina Skizzen und Studien gemacht, ein Blatt, welches einer nicht mehr zu ermittelnden Person gewidmet ist, hat sich erhalten.
Somit wäre auch der dritte Weg zur Kunst angedeutet, nicht so markant und deutlich wie die anderen beiden, aber immerhin an besonderer Stelle: er bekrönt das Bild - schließlich ist er auch der schnellste Weg zum Tempel der Kunst.
Als ein Widerspruch erscheint es allerdings, daß die "Johannes" Overbeck gewidmete Gestalt gleichzeitig Träger einer anderen als des von diesem vertretenen Kunstweges ist. Dieser Widerspruch läßt sich nicht auflösen, zeigt dagegen aber, daß viele Sinnebenen nur in leisen Anspielungen ausgedrückt sind, wobei Bildgegenstände bei verschiedenen "Aussagebereichen" gleichzeitig verschiedene Sachverhalte verschlüsseln.[192] Auch beim Johannes selber könnte man weitere, leider nicht belegbare Sinnebenen annehmen ("überragende" Bedeutung der Religion in den Künsten; Künstler als eine Art Apostel u.s.w.).
Das Licht war der letzte "Bildgegenstand", zu dem weitreichende Deutungsmöglichkeiten vorhanden und durch Quellen zu stützen waren. Nun ist der Rahmen ebenfalls ein Bildgegenstand, denn er ist gemalt, vor allem: er ist sehr kompliziert. Doch gibt es keinerlei Grundlage, von der aus ein Interpretationsansatz möglich wäre; auch Kolberg geht in seiner Dissertation über Bildrahmungen der Romantik nur der Frage nach, ob ein Diptychon oder ein geschlossenes Triptychon dargestellt ist[193], bekennt sich aber letztlich zu den schon in der Bildbeschreibung angeführten Formulierungen wie "Diptychon in Art eines Hausaltärchens" u.ä. - worauf er den Goldrahmen des Gemäldes behandelt, der aber ganz sicher nicht von Pforr in Auftrag gegeben wurde und nicht zum Bildprogramm gehört. So muß das Problem des Rahmens offenbleiben. Es bleiben die üblichen Hinweise auf die von einem Rundbogen gerahmten Spitzbögen, die damit vielleicht gemeinte Verbindung von italienisch und gotisch/=deutsch.[194] Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß das gleiche Rahmensystem als Fenster eine recht weite Verbreitung hat bzw. hatte; so gibt es Beispiele an ostfriesischen Scheunen wie an veronesischen Stadtpalästen.
Die Deutung der im Bild sichtbaren Gegenstände und der Vergleich mit den Quellen wäre damit abgeschlossen. Nicht im Bild erkennbar ist der zweite, nur von Howitt[195] angegebene Ursprung des Namens Sulamith, der noch besprochen werden muß. Overbeck bekam von seinem Vater für die Reise nach Wien ein Exemplar der Hamburger Ausgabe (1771) von Klopstocks Oden mit, eines seiner Lieblingsbücher. Zwei Stellen erwähnt Howitt, in denen eine Sulamith vorkommt und die deswegen von Overbeck geschätzt wurden: in der Ode "Siona"[196] heißt es "Liebevoll schauet, o Sulamith / Siona, mein Blick dir, und freudig nach! / Es erfüllt Wehmut und Ruh, Wonn' erfüllt / Mir das Herz, wenn du dein Lied, Himmlische, singst." In sein Tagebuch trug Overbeck am 24.10.1811[197] einen Vers aus der Ode "Aganippe und Phiala"[198] ein, ohne den Titel dieser Ode zu nennen: "An dem Rebenhügel, ergoß die Klage / Sulamiths sich, Wehmuth, über dem Graun / Des Tempels in Trümmern, der Stadt / in der Hülle des Entsetzens!".
Die beiden Oden sind, sofern man kein Klopstock-Kenner ist, schwer verständlich; die folgende Deutung ist daher eher als Versuch zu verstehen. Sulamith Siona ist bei Klopstock der Name für die Himmlische Sängerin, die Muse der Christlichen Dichtung, oder auch der Poesie überhaupt. In der Ode "Siona" wird der Bezug zum Christentum deutlich in den Worten "Am Silbergelispel Phiala tritt / Sie hervor! schwebet in Tanz! fühlts, wie du / Sie erhebst, Religion dessen, der ist! // Seyn wird! und war!.." Das Christentum erhebt "sie", die Sulamith Siona.
Bedeutend für Overbeck und die ihm gewidmete Seite des Gemäldes können folgende Aspekte sein: 1. der Bezug zur Poesie, 2. und 3., mehr äußerlich, Zitate, die an Stimmung bzw. ein Detail des Bildes erinnern.
Die Klage über den Tempel in Trümmern kann ganz eindeutig mit der inneren Verfassung Overbecks in Zusammenhang gebracht werden, der zu der Zeit, als er das Zitat in sein Tagebuch schrieb, über sein gestörtes Verhältnis zur Kunst klagte, folglich seinen "Tempel" bedroht, wenn nicht gar "in Trümmern" sah. Und an die Atmosphäre der Sulamith-Seite erinnert folgende Passage: "Ihr Haupt umkränzt / Die Rose Sarona, des Blumenthals. / Ihr Gewand fließt, wie Gewölk, sanft um sie, / Wie des Tags Frühe gefärbt, Purpur und Gold." Man begegnet der Rose, einer der charakteristischen Blumen der Sulamith-Seite, besonders auch in der Bekrönung des Gestänges, man begegnet aber auch der auf dieser Hälfte beabsichtigten Stimmung aus "Rosengold", "Purpur und Gold", mit dem Bezug zur Dämmerung. In einem Vers aus "Aganippe und Phiala" schließlich kann man eine gewisse Parallele zur Idealmalerei Overbecks - allerdings auch Pforrs - sehen, es ist die Rede von "Gesänge(n) des höheren Flugs in dem Lautmaß der Natur" - rückübersetzt für Overbeck also: ideale Inhalte mithilfe wahrhaftiger Malerei, Malerei gemäß der Natur. Wahrheit und Natur waren Schlagworte des Lukasbundes.
Es kann hier nicht geklärt werden, wie weit Klopstock in seiner Bilderwahl selber von z.B. dem Hohen Lied geprägt wurde. Es genügt jedenfalls nicht, die wenigen möglichen Parallelen, die sich eben auffinden ließen, so weit überzuinterpretieren, daß sie von sich aus Bedeutung für das Gemälde haben könnten. Es ist übertrieben, das Auftauchen des Namens Sulamith im Hohen Lied und bei Klopstock gleich zu bewerten, grundlegend für die Namensgebung der Sulamith wie für eine Deutung des Gemäldes ist das Hohe Lied und Overbecks Kunstaufsatz; finden sich bei Klopstock Parallelen, so sind sie im Nachhinein für Overbeck vielleicht "erfreulich", aber nicht bestimmend gewesen.
Bedeutender war für Overbeck wohl Klopstocks Sulamith als Muse der christlichen Dichtung, als Poesie. Denn die Poesie ist für ihn etwas essentiell zum Künstler gehörendes: in einem Brief an Sutter[199] schreibt er: "ein vollkommener Künstler kann gar nicht ohne Philosophie gedacht werden, sowenig wie ohne Poesie." Im Sommer 1809 hatte er eine Phase, in der er mehr zu dichterischen Arbeiten neigte und seinem Vater schrieb, daß Poesie und Malerei mehr verbunden werden sollten.[200] Einen Monat später, im August 1809, sendet er seinen Vater ein dickes "Poesiepaket".[201] Schließlich ist Jahrzehnte später, im riesigen Programmbild "Triumph der Religion in den Künsten" die Poesie zum Zentrum der Künste geworden.[202]
Interessant ist Overbecks Verhältnis zu Klopstock aus einem ganz anderen Grund: es macht neben anderen Beispielen sichtbar, wie wenig die Entwicklung des Lukasbundes als einer "romantischen Bewegung" sich von der aktuellen romantischen Literatur beeinflußt zeigt.
Es war bis jetzt nicht nötig, die Deutung des Bildes in der Literatur zu diskutieren; schon in der Einleitung wurde erwähnt, daß seltsamerweise zu Pforrs Gemälde noch keine Monographie existiert. Auch Teupsers "Kunstbrief" bringt nur eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten, schon bei Howitt und Lehr erwähnten Hauptinhalte - nebst der bei fast allen Besprechungen obligatorischen Wendung, daß "jeder Teil einen tiefen inhaltlichen Sinn"[203] hat.
Eine längere Diskussion erfährt das Bild nur durch Lankheit in "Das Freundschaftsbild der Romantik".[204] Doch hat hier das spezielle Interesse des Autors - die Bedeutung der Freundschaft in der Zeit der Romantik - zu stark seine Wahrnehmung anderer Inhalte beschränkt. So kommt er zu dem Ergebnis, daß der Ausdruck des Freundschaftserlebnisses der entscheidende Inhalt ist[205], kann das aber bei diesem Gemälde, anders als in seiner guten Besprechung der "Allegorie der Freundschaft", nicht an den dargestellten Einzelheiten festmachen. Lankheit ist der Fehler unterlaufen, von der Verwandtschaft im Formalen zwischen dem Frauenpaar der "Allegorie" und dem Frauenpaar des Diptychons eine Verwandtschaft auch in der Bildaussage zu unterstellen, von der er sich durch keinen Hinweis in den Quellen mehr abbringen läßt. Schon seine Behauptung, das Motiv aller erhaltenen Werke sei das Freundinnenpaar[206], ist inhaltlich nicht exakt: es sind - sehr betont - Schwestern, bei Pforr sogar Zwillingsschwestern, und zudem ist es nicht immer das Paar, welches dargestellt wird, wie man an Overbecks "Idealbildnis Pforr" sieht. Lankheits nach Beweisen für seine Theorie suchender Blick sieht im Diptychon sogar den für ein Freundschaftsbild sinnvollen Hund - statt dem Reh.
Andererseits ist es natürlich richtig, daß das Bild auch Ausdruck einer Freundschaft ist: der Entschluß, sich gegenseitig ein Gemälde zu schenken, ist ohne tiefe Freundschaft nicht so leicht denkbar, und auch die Heirat der beiden Malergesellen mit Zwillingsschwestern bringt ihre Gefühle zueinander zum Ausdruck. Aber keineswegs wird die Freundschaft zur Ersatzreligion, wie Lankheit schreibt; sein Hauptargument, daß diese Gefühle im sakralen Gewand (Diptychonform, Madonna u.s.w.) erscheinen, indem also christliche Bildformulierungen mit einem neuen Inhalt gefüllt werden, ist in der Zeit der Romantik keine Seltenheit: christliche "Rahmenthemen" werden allerorten mit einem neuen Inhalt versehen, wobei dieser neue Inhalt nicht immer sakral überhöht werden muß.[207]
Zuletzt muß auch seiner Behauptung entgegengetreten werden, daß die Lukasbrüder aufgrund schwindenden Glaubens die Freundschaft so hoch bewerteten: gerade die Lukasbrüder erlebten eine auffallende Wiederbelebung ihres Glaubens, und zwar schon recht früh, vor ihren Hauptwerken. Overbeck war von Kind auf gewohnt, täglich in der Bibel zu lesen.[208] Sein Christentum war zwar nicht so unerschütterlich, wie meist dargestellt wird, aber dennoch fest begründet; zu seiner Konversion trugen Gründe bei, die hier nicht behandelt werden können.
Im Falle Pforrs muß man wohl, wie auch Lehr[209] und Vögelin[210] betonen, eine Beeinflussung durch Overbeck annehmen. Denn noch Ende 1807 scheint er eine recht "aufgeklärte" Einstellung gegenüber Religionsangelegenheiten zu haben: er schreibt anläßlich einiger ihm von Passavant übersandter "peruanischer Seltenheiten" so fast wissenschaftlich über die Verwandtschaft der Kosmologien der Peruaner und der Ägypter, so trocken über Moses, der die Vorstellung der Verführung durch eine Schlange aus den Mysterien der Isis, "in welche er eingeweiht war", übernahm, daß man eher meint, ein Bibelforscher schreibt hier statt ein Bibelgläubiger.[211]
Im Brief vom 12.11.1808 - vor seiner psychischen Erkrankung! - kommt aber seine Wandlung zum Ausdruck; er schreibt über seine frühere Meinung über Christus, "daß, ehe ich das Neue Testament mit Fleiß und Nachdenken durchgelesen hatte, ich mir ihn als bloßen Menschen dachte, der über den Verfall seiner Landsleute Mitleid fühlte und alles aufbot, sie zu retten" und daß er diese Meinung jetzt abgelegt habe und nun überall Spuren von Gottes unmittelbaren Wirken sehe.[212]
Auch Vögelin erwähnt in seiner Monographie über Ludwig Vogel, mit dem Pforr seit etwa März 1809 zusammenwohnte, wie der religiöse Einfluß von Overbeck zuerst auf Pforr[213], dann von Pforr auf Vogel überging, und seit Herbst 1809 lesen Pforr und Vogel täglich abends gemeinsam in der Bibel.[214]
Lehr wie auch Lankheit nehmen diese Tatsache nicht gebührend zur Kenntnis; in Lehrs Absicht liegt zudem der Nachweis einer Polarisierung vom religiösen Overbeck hier und dem rein künstlerischen Pforr dort, wobei er im Falle Pforrs teils Zitate aus anderen Zusammenhängen anführt, und im Falle Overbecks ungerechterweise Stellungnahmen aus dessen vollkommen verknöcherter Zeit nach 1840.[215] Pforrs Krankheit hat nur eine verstärkende, beschleunigende Wirkung, die eigentliche religiöse Wandlung begann mindestens ein Jahr früher. Für die Lukasbrüder, besonders für Wintergerst, hat dann wiederum sein Tod eine besondere Bedeutung. Wintergerst schlug sogar vor, den Lukasbund auf religiöse Themen programmatisch festzulegen und die Motivwahl auf das Neue Testament zu beschränken (wogegen sich allerdings Sutter ausspricht).[216]
Berücksichtigt man das früh schon starke religiöse Gefühl der Lukasbrüder, leuchtet Lankheits Erklärung, aus dem Verlust des Glaubens heraus sei die Freundschaft zu ihrem Rang einer Ersatzreligion gekommen, insgesamt nicht ein. Zudem ist die Freundschaft als Gefühlsäußerung nur ein Aspekt des Subjektivismus im Zeitalter der bürgerlichen Emanzipation im 18. Jahrhundert, und eine isolierte Betrachtung von ihr, das Vernachlässigen anderer "überspannter" Gefühlsäußerungen zu dieser Zeit bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, wird ihr nicht gerecht.
Der wesentliche Inhalt des Bildes besteht in der Darstellung der "Jedem eigenthümlichen Kunstweise".[217] Dies geschieht mit Hilfe zweier Frauengestalten, die, wie nachzuweisen möglich war, schon seit Frühjahr 1808 für die beiden Freunde zur Projektion ihrer verschiedenen Ideale dienten. Die meisten Bildgegenstände im Gemälde konnten mit Hilfe von überlieferten Texten und Quellen erklärt werden. Das Ausmaß, in dem hier eine Privatmythologie zur Darstellung gebracht ist, macht eine Bildinterpretation ohne Quellenstudium unmöglich.
Die "Jedem eigenthümliche Kunstweise" leitet sich aus einer gemeinsamen Wurzel ab: einem neuen, sehr ausgeprägten Künstlerethos. Der Künstler wird dabei zum Vorbild, zum Lehrer für andere Menschen. Tätig sein kann er nur mit seinen Werken, aber um höchste, vollendetste, reinste Kunstwerke hervorzubringen, muß er selber ein Muster an Tugend und sittlicher Größe sein, "Keuschheit als Haupterfordernis".[218] Die Werke, bei denen der Künstler diese Grundsätze nicht erfüllt, sind und wirken unwahr. Um aber als großer Künstler zu gelten, genügt die sittliche Vorbildlichkeit nicht, hinzukommen muß eine technische Vollkommenheit in der Malerkunst - aber nicht um ihrer selbst willen, und zur liebevollsten Ausarbeitung jeder Kleinigkeit auch noch die alles veredelnde Schönheit (wie Pforr erst spät einsah).[219]
Der Künstler hat drei Wege zur Kunst zur Auswahl, wobei sein Verstand die Neigung seiner Natur, seines Charakters befestigen muß: den Weg der Natur (Beispiel Dürer), der Phantasie (Michelangelo) und des Ideals, der Schönheit (Raffael). Overbeck ist von Anfang an und unerschütterlich auf dem Weg des Ideals, Pforr wählt den Weg der Natur, findet später aber ein gewisses Ungenügen darin und verbindet ihn deshalb mit den Weg des Ideals - eine schon von Overbeck vorgezeichnete Entwicklungsmöglichkeit. Dabei bleiben ihm aber weiterhin musterhaft die Werke der sogenannten "Altdeutschen", besonders die von Dürer. Die "ausgeschmückte" Versinnbildlichung der gewählten Kunstwege macht den Hauptinhalt des Bildes aus.
Briefe Pforrs an Passavant; Reisebeschreibung Wien - Rom für Passavant.
Brief Pforrs an Sarasin vom 21.3.1810; Studiumsbericht für Sarasin; Aufsätze der Lukasbrüder (Abschriften Pforrs), Gedichte Pforrs.
Andere Briefe: E.Mieg an Pforr; Sarasin an Passavant; Cornelius an Passavant; Overbeck an Passavant; zwei Briefe H.Hollands an O.Cornill; A.Cornill an O.Cornill.
- Der bei Lehr noch aufgeführte Brief über die vorraffaelischen Künstler an Passavant befindet sich nicht mehr im Nachlaß, ebenso fehlt der Brief des Vaters von Passavant an Pforrs Mutter.
Pforr an Passavant (Entwurf zum Brief vom 15.12.1810)
Pforr an Passavant (letzter Brief von Pforr, unvollendet)
Pforr an Overbeck, Rom Samstag Nachts 11 Uhr (25.5.1811)
Pforr an Overbeck, Freitag, Nemi (23.8.1811)
Martini an Pforr, Tours, 28.9.1810
Sutter an Pforr, Wien, 9.9.1810
Der ehemals in der Stadtbibliothek Lübeck aufbewahrte Nachlaß von Overbeck, der auch eine große Zahl Schriften Pforrs umfaßte, ist seit dem Krieg verschollen (zum Nachlaßbestand von früher siehe Lehr S.358-359 und Paul Hagen: "F. Overbecks handschriftlicher Nachlaß in der Lübecker Stadtbibliothek", 1926). Im Archiv der Stadt Lübeck gibt es aber 2 Bände mit alten Abschriften von Briefen Overbecks (Geschenk von Frau Wibel 1935). Daraus wurden sämtliche Briefe von 1809 und 1811 herangezogen: Jahrgang 1809 wegen Pforrs psychischer Erkrankung, Jahrgang 1811 wegen Erwähnungen von "Sulamith und Maria". Die Briefe sind teilweise sehr lang!
Im Nachlaß Vogel befinden sich aus der Zeit des frühen Lukasbundes nur noch Briefe aus dem Jahr 1811; diese wurden herangezogen, zusammen umfassen sie etwa 80 Seiten.
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"Das Buch Sulamith und Maria" von Franz Pforr ist vollständig abgedruckt in: Der Wagen. Ein Lübeckisches Jahrbuch, 1927.
"Sulamith und Maria", Gemälde
"Sulamith und Maria", Vorzeichnung, Berlin
Studie zur Maria im Gemach
Studie zur Maria im Gemach, größere Fassung, Frankfurt
Studie zur Sulamith, Wien
Studie zum Johannes Ev., Berlin
Studie zum Overbeck-Johannes, Berlin
Illustration zum Hochzeitsmorgen von Sulamith und Maria
"Allegorie der Freundschaft", Studie
"Allegorie der Freundschaft", Lithographie von Kramp, Frankfurt
"Einzug König Rudolfs in Basel 1273", Gemälde, Frankfurt
"Einzug König Rudolfs in Basel 1273", Zeichnung, Frankfurt
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"Dürer und Raffael am Thron der Kunst", Rad. v. Hoff, Frankf.
"Maler und Tod", Zeichnung, Heidelberg
"Gelehrter und Tod", Zeichnung, Stammbuch Joh. Büel, Zürich
"Komposition über die Epistel des Apostel Paulus an Titus, Kap.2, 3-5" Radierung v. Heinrich Merz, Frankfurt
"Italia und Germania", Gemälde, München
"Sulamith und Maria", Karton zum Gemälde "Italia und Germania", Lübeck
Studie zu "Sulamith und Maria" (Köpfe)
Studie zu "Sulamith und Maria" (Hände)
Ölskizze "Sulamith und Maria", Schweinfurt
"Einzug in Jerusalem", Gemälde, verbrannt
Karton zum "Einzug in Jerusalem", Lübeck
Skizze zum "Einzug in Jerusalem", Lübeck
"Idealbildnis Pforr", Gemälde, Berlin
"Dürer und Raffael am Thron der Kunst", Zeichnung, Wien
"Christus mit Maria und Martha", Zeichnung, Stammbuch Büel, Zürich
Peter Cornelius "Die Heilige Familie", Gemälde
[1] z.B. Ziemke in Kat Frankfurt 1977 S.46; Teupser S.4; Bachleitner S.53; Lankheit S.132; usw
[2] Fritz Herbert Lehr "Franz Pforr. Der Meister des Lukasbundes", Marburg 1924
[3] Lehr S.191
[4] ebd S.192
[5] ebd S.193
[6] Lehr S.292
[7] Lehr S.350, Kat.Nr.136
[8] z.B.: Teupser S.6; Lankheit S.133; Kolberg S.100
[9] Kolberg S.100/101
[10] Lehr S.287
[11] Lehr S.289
[12] ebd.
[13] von anderen Gebäuden zu sehr verdeckt, um bestimmbar zu sein, von der Kuppel her kann aber kaum St. Peter gemeint sein
[14] Lehr S.288
[15] Lehr S.290 Anm.6
[16] Lehr S.286 - 292
[17] Lehr S.287
[18] Lehr S.289
[19] Lehr S.291
[20] Lehr S.291
[21] Fritz Herbert Lehr "Franz Pforr. Der Meister des Lukasbundes". Marburg 1924
[22] Margaret Howitt "Friedrich Overbeck. Sein Leben und Schaffen". Freiburg 1886
[23] Jensen, Jens Christian "Overbeck in Wien 1806 - 1807. Kalendarium seiner Freundschaft mit Pforr und die Wandlungen seiner Kunstanschauungen". in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1974
ders. "Über die Gründung des Lukasbundes". in: Der Wagen 1958
ders. "Friedrich Overbeck. Die Werke im Behnhaus". Lübecker Museumshefte 4. Berlin 1963
[24] Ludwig Grote "Josef Sutter und der nazarenische Gedanke". München 1972
[25] Ostertag geb. Schulte, Sibylle "Das seelische und körperliche Leiden des romantischen Malers Franz Pforr. Eine Pathographie". Diss. Düsseldorf 1976
[26] Thema meiner Arbeit ist weder die Biographie noch die Pathographie Pforrs. Wenn die Angaben der Literatur somit nicht diskutiert werden, soll dennoch erwähnt sein, daß gerade im Falle Pforrs und der Geschichte des Lukasbundes viele Fehler, Fehldeutungen, Verdrehungen immer wieder reproduziert werden, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß nie Originalquellen herangezogen wurden. Die Arbeit Ostertags ist seit Lehrs Monographie zum ersten Male wieder auf der Grundlage der Lektüre von Pforrs Briefen an Passavant entstanden, erschöpft sich leider aber darin sowie in der Aufarbeitung Lehrs und Howitts auch. Selbst die neben Lehr wichtigste und ausführlichste Publikation zu Pforr - Benz' Abhandlung über die Götzillustrationen Pforrs - wird übergangen, wie fast alle anderen unverzichtbaren Arbeiten Jensens, Vögelins u.a. Bei Ostertag kommt erschwerend hinzu, daß ihr psychologisches Erklärungsmodell antiquiert und voll von leicht zu handhabenden Schematismen ist, dafür aber der Persönlichkeit Pforrs Gewalt antut und seine Krankheit letztlich als unerklärliches Schicksal deutet. Ebenfalls außer Acht gelassen werden soziologische und sozialpsychologische Aspekte, obwohl die Quellen dafür genug Anhaltspunkte bieten. Gerade an der Tuberkulose, an der Pforr letztlich starb, hat der Heidelberger Mediziner Heinrich Huebschmann schon vor einigen Jahrzehnten in der Abhandlung "Psyche und Tuberkulose", Stuttgart 1952, dargelegt, in welchem Ausmaß psychische Probleme auch auf dem Feld des Körpers ausgetragen werden - was nebenbei Pforr selber auch bewußt war -; von den vielen Fallbeispielen erinnern einige sehr stark an Pforr.
[27] Es ist zu fragen, ob das wirklich so einleuchtend ist, wie man durch die Erwähnung dieser Begründung in jeder Pforr-Biographie suggeriert bekommt. Wahrscheinlich haben andere Gründe ebenfalls eine Rolle gespielt.
[28] Pforrs Weggang aus Kassel ist ein schlagendes Beispiel für die Fehler der Sekundärliteratur; seit den ersten Veröffentlichungen - z.B. Cornill 1864 über Passavant - über Lehr 1924 bis zu Ostertag 1976 ist der Grund dafür der Tod des Onkels, nie wird das überprüft. Aber dieser Onkel starb erst am 22.12.1808 (vgl. Thieme-Becker; vgl. Pforrs Briefe an Wolff Rinald, bei: Kaufmann 1934).
[29] Lehr S. 299
[30] Über das Ankunftsdatum sind auch die Originalquellen widersprüchlich
[31] Brief vom 29.3.1811, Familienarchiv Overbeck (im folgendem abgekürzt F.A.Ov.), 11, Bl. 437: "O weswegen bist du mir nun entfremdet"
[32] Tagebuch vom 21.9.1811 (Howitt I,178); 9.10.1811 (Howitt I,182); 13.10.1811 (Howitt I,183); 31.10.1811 (Howitt I,188); 12.2.1812 (Howitt I,225); 19.4.1812 (Howitt I,229)
[33] Brief vom 12.9.1811, F.A.Ov., 11, Bl. 488: "Ich bin nun entschlossen, eine gänzliche Reformation meiner selbst vorzunehmen..."
[34] Brief vom 1.(- 10.)7.1811, Nachlaß J.D.Passavant, Stadtbibliothek Frankfurt a.M.
[35] Howitt I,196. Im Allgemeinen wird in der Literatur dieser Angabe gefolgt. Es sei aber bemerkt, daß trotz des großen Vorteils, den Howitt für sich beanspruchen kann, nämlich den kompletten Nachlaß zur Verfügung gehabt zu haben, auch sie nicht alles im Griff gehabt zu haben scheint. Sie stellt z.B. Vermutungen darüber an, wann Overbeck Wächter kennengelernt hat, obwohl Overbeck seinem Vater davon am 4.3.1807 Meldung macht.
[36] Howitt I,196
[37] Howitt I,65
[38] ebd
[39] was sich an einigen Episoden aus den Briefen und Gedichten nachweisen läßt, aber nicht zum Thema gehört.
[40] an den Vater 29.3.1811, F.A.Ov.,11, Bl.436
[41] Katalog Städel 1977, Kat.B 6
[42] Brief an den Bruder vom 17.2.1810, zit. bei Lindtke S.54
[43] bei Lehr S.264/265
[44] Lehr S.266
[45] ebd.
[46] ebd.
[47] so Lankheit 130/131; Simon 87; Katalog Städel 1977 S.199
[48] Lankheit ebd; vgl auch den Text der Legendenerzählung Pforrs
[49] Lankheit ebd
[50] ebd.
[51] Lehr 30/31
[52] Grote 1972, S.73/74
[53] Lankheit 130/131; Kat.Städel 199
[54] so u.a. Andrews 100; Lehr 31; Kat.Städel 199
[55] so auch Lankheit 131 u. Anm. 393 dazu
[56] Henkel/Schöne "Emblemata" Spalte 657
[57] so Andrews 100; Grote (1972) 74; u.a.
[58] Lankheit 131
[59] Grote (1972) 73/74
[60] ebd.
[61] abgedruckt bei Lehr 264-266
[62] so auch Lehr 331
[63] Lankheit 130
[64] Lindtke 53/54
[65] Vögelin 13
[66] F.A.Ov.,11,Bl.430-448, bes. 436/437
[67] Vögelin S.12
[68] nachweisbar für Ende Juli/Anfang August und nochmals anschließend an seine dritte Reise um den Schneeberg im August
[69] Vögelin S. 42, Anm. 45
[70] Hasse S.307, Abb. 7; S.309 Anm.2
[71] Nachlaß J.D.Passavant, Stadtbibl. Frankfurt/Main, Nr.35/174
[72] Lehr S.180
[73] vollständig abgedruckt in "Der Wagen 1927", S.51-58
[74] Howitt I, S.180
[75] so sinngemäß viele Briefe Pforrs, z.B. 15.12.1810; Studiumsbericht an Sarasin, bei Lehr S.36
[76] vgl. Anm. 39
[77] Speziell wird die Stelle des Lukasevangeliums genannt; dieses stand Pforr besonders nahe, am Sterbetag ließ er sich daraus die Passion Christi vorlesen; vgl. dazu Overbecks Brief an Passavant bei Lehr S. 211
[78] so Brief vom 6.1.1809 oder im Studiumsbericht - dabei darf aber nicht vergessen werden, daß umgekehrt Overbeck der Meinung ist, von Pforr auf den rechten Weg gebracht worden zu sein; vgl. dazu Overbecks Brief an Kestner bei Howitt I, S.126
[79] Zuletzt war Pforr schon im Zweifel, ob Darstellungen wie sein "Einzug" überhaupt der Kunst würdig seien; vgl. dazu zwei Briefe Sutters an Pforr, in denen er ihm gut zuredet: Grote (1972), S.272
[80] vielleicht hat Pforr "Iost" für eine Abkürzung von "Joseph" gehalten
[81] Brief vom 10.10.1810 an Sutter, bei Howitt I, S.161
[82] "Zukunftstraum", abgedruckt bei Lehr S. 293/294
[83] Lehr 191
[84] Simon 89
[85] bei Lehr 286
[86] Tagebuch 19.9.1811 Howitt I,178; 3.10.1811 Howitt I,181
[87] Brief an den Vater 28.4.1811 F.A.Ov., 11, Bl.452/453; u.a.
[88] In der Sekundärliteratur nicht erwähnt; Quellen: Briefe Overbecks vom 15.2. u. 29.3.1811; Briefe Vogels von Mitte Januar und 3.3.1811; Brief Pforrs vom 5.5.1811
[89] Brief an Passavant 1.7.1811
[90] Brief Vogels vom 4.8.1811
[91] ebd; nur Vogels unveröffentlichte Briefe lassen eine Chronologie erstellen
[92] München, Staatsbibliothek
[93] Brief an den Vater vom 27.-30.5.1811 F.A.Ov., 11, Bl. 463-473
[94] Lehr 350, Kat. 133
[95] Howitt I,478/479
[96] dazu Katalog Nürnberg 1977 Nr.136, S.146
[97] Jensen "Overbeck. Werke im Behnhaus" S. 40
[98] Howitt I, 178; 181; 226
[99] Jensen a.a.O. 39
[100] ebd
[101] Howitt I, 387
[102] Howitt I, 478/479
[103] vgl. Anm. 60
[104] Brief Pforrs an Overbeck, ohne Ort, ohne Datum, ehemals Lübeck, zitiert bei Lehr S.67
[105] gekauft haben die Lukasbrüder diesen Stich auf ihrer Reise nach Rom in Graz; Howitt, I, 131
[106] Lehr, Begleitbrief zum Gemälde, S.290
[107] Lehr, Begleitbrief zum Gemälde, S. 290
[108] bei Lehr 293/294, folgende Zitate ebd.
[109] z.B. war Pforr nicht in der Lage, die Begebenheiten zur Zeit der Belagerung und Einnahme Wiens und der nachfolgenden Ereignisse Passavant selber zu schildern, Overbeck mußte das übernehmen; dazu erklärend Pforr im Brief vom 1.4.1810 (vgl. auch Lehr S.48, Anm.1)
[110] nur als Radierung von Heinrich Merz erhalten, Originalzeichnung verloren; wichtig auch hier die Nähe zu einer Dürerkomposition
[111] Brief vom 24.9.1808, bei Lehr S.265
[112] nur noch als Radierung von Hoff jun. erhalten, Original verloren
[113] "An die Kunst", Nachlaß Passavant, 55/174
[114] Brief vom 12.5.1810, bei Lehr S.50
[115] Brief vom 1. 10.7.1811; vgl Lehr S.52
[116] ebd.
[117] vgl. M. Mende, "Nürnberger Dürerfeiern", Abb. 6; 39; 40
[118] Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Bd.VII, Sp.787-789
[119] Brief vom 24.9.1808; bei Lehr S.266
[120] Briefe vom 17.11.1807 und 28.12.1807; im zweiten Brief: "eins der geistreichsten gotischen Werke von einem der drei größten Maler, die je gelebt haben..."
[121] bis heute in der kunsthistorischen Literatur übersehen; Stammbuchbild für Hofrat Büel, abgebildet bei Hans Noll, "Hofrat Joh. Büel
[122] Nachlaß Passavant 55/176; leicht veränderte Fassung als Beilage zum Brief vom 30.9.1810
[123] Brief an den Vater vom 27. -30.5.1811, F.A.Ov.,11, Bl.472
[124] Brief vom 5.5.1811
[125] Nachlaß Passavant 55/175-176. Von Ostertag wird dieses Gedicht unmittelbar mit Pforrs psychischem Zusammenbruch Mitte 1809 in Zusammenhang gebracht; dagegen spricht die sehr ausführliche, fast nüchterne Schilderung des Gedichtes - zu nüchtern für unmittelbares Erleben eines existenziellen Ereignisses (vgl. auch Anm. 4); inhaltlich paßt das Gedicht besser zu dem Erlebnis während des Anatomiestudiums.
[126] Overbeck an Passavant, bei Lehr S.211/212
[127] z.B. "Todesbitte", bei Lehr S.51
[128] Lehr S.207
[129] "ich sehe Euch vor mir schreiten zum Ziel, das Euch schon von ferne winkt, und kann nichts als ein Lebewohl Euch zurufen". Brieffragment, nach Lehr wohl an Overbeck, ehemals Lübeck, verschollen; bei Lehr S.49)
[130] dagegen Brief vom 1.-10.7.1811: "Das erste ist meine Kunst, das zweite ist meine Seligkeit..."
[131] Max Hasse "Ein unvollendetes Aquarell Franz Pforrs" S.306
[132] Fragment "An die Wiener Freunde", ehemals Lübeck. Bei Lehr S.65
[133] Brief vom 16.4.1808; bei Lehr S.263
[134] Studiumsbericht an Sarasin, bei Lehr S.43
[135] so im Brief vom 6.1.1809 an Passavant "Härte und Bestimmtheit in den Konturen" als Ziel; bei Lehr S.270/271
[136] ebd.
[137] vgl. Begleitbrief zum Gemälde
[138] Lehr S.193
[139] Vögelin S.31 (Brief Vogels vom 20.3.1812)
[140] speziell zum Granatapfel siehe auch die Besprechung der Sulamith-Tafel
[141] Brief vom 24.9.1808; bei Lehr S.277
[142] Brief vom 9.8.1808
[143] Bialostocki, S.164
[144] Brief an den Vater vom 27.-30.5.1811, F.A.Ov., 11, Bl.472
[145] F.A.Ov., 11, Bl.430 -448, bes. 436/437
[146] Brief an die Mutter, 15.9.1811, F.A.Ov., 11, Bl.493/494
[147] Stadtbibliothek Zürich, unveröffentlicht
[148] Brief an den Vater 12.9.1811, F.A.Ov., 11, Bl.491
[149] Tagebuch Overbecks vom 19.4.1812, Howitt I,229
[150] Brief Pforrs aus Neapel an Overbeck, 18.10.1811, bei Lehr S.286
[151] Bibelzitate nach der Stuttgarter Perlbibel (1960) mit dem 1912 vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß genehmigten Text
[152] Handwb. d. dt. Aberglaubens, I, Sp.868/869
[153] ebd.
[154] abhängig von der jeweiligen Bibelübersetzung; in neueren Ausgaben manchmal als "Gazelle" übersetzt
[155] Schiller, Ikonographie 4.2 S.208
[156] von Einem (1978) S.79
[157] Forstner, Die Welt der christlichen Symbole, (1977) S.159
[158] ebd.
[159] ebd.
[160] Lazarus als "Erstgeborener": Kat. Städel 1977, Kat. B6
[161] Forstner a.a.O. S.161
[162] Handw. d. dt. Aberglaubens, II, Sp.742-744
[163] RDK 4, Sp.1181ff (Liselotte Strauch)
[164] Henkel/Schöne "Emblemata" Sp.842/843
[165] so im Tagebuch vom 21.9.1811; Howitt I,178
[166] Handw. d. dt. Aberglaubens, VII, Sp.836
[167] Brief Sutters an die Brüder in Rom, Sept. 1811, bei Grote (1972) S.105
[168] vgl Anm. 17
[169] sicher nicht St. Peter, die Kuppel ist zu verschieden
[170] Overbeck nahm auch an einer Öffnung des Grabes teil
[171] zitiert bei Jensen, "Kalendarium", S.115
[172] Tempel der Unsterblichkeit als Ziel des Strebens: in Overbecks Aufsatz "Die drei Wege der Kunst", bei Lehr S.303
[173] Brieffragment, bei Lehr S.49
[174] Overbecks Kunstaufsatz, bei Lehr S.303
[175] Brief Sutters an Pforr vom 9.9.1810, abgedruckt bei Grote (1972) S.270
[176] Howitt I,65
[177] vgl. Anm. 17 u. 65
[178] Brief an den Vater vom 10.11.1809, F.A.Ov., 11, Bl.254
[179] vgl. Lehr S.206; Howitt I,224
[180] Brief an den Bruder vom 25.4.1809 F.A.Ov., 11, Bl.227/228
[181] abgedruckt bei Lehr S.303-307; folgende Zitate ebd.
[182] Howitt I, 87
[183] Lehr S.42/43
[184] Lehr S.41
[185] Howitt I,260; leider von ihr nicht näher belegt
[186] Howitt I,196
[187] Overbeck an den Vater, F.A.Ov., 11, Bl.436/437 (29.3.1811)
[188] es war mir leider nicht möglich, das Gemälde selber im Original zu beurteilen
[189] alle Zitate Lehr 193
[190] Lehr 194
[191] z.B. Howitt I,147; Lehr 280/281
[192] vgl. z.B. die Sanduhr: Sanduhr - Granatapfel/Apfel und die Sanduhr als Milieurequisit
[193] Kolberg 100/101
[194] Auch Cornelius hat in einem frühen Gemälde (vor seiner Bekanntschaft mit und seinem Eintritt in den Lukasbund) einen Rahmen angebracht, in dem zwei Spitzbögen von einem Rundbogen überwölbt werden: "Heilige Familie" von 1809/1810, abgebildet in Kat. Städel 1977, Katalog B 2
[195] Howitt I,197
[196] Klopstock, "Oden", Bern 1971 (Hamburg 1771), S.188-190
[197] Howitt I,197/198
[198] Klopstock a.a.O.S.177-179
[199] Brief an Sutter 10.10.1810, Howitt I,162
[200] Brief an den Vater vom 8.7.1809, F.A.Ov., 11, Bl.235/236
[201] Beibrief zum Poesiepaket 5.8.1809 Bl.242/243; im Manuskript der Abschriften sind, falsch eingebunden, auch Auszüge aus diesen poetischen Versuchen, Bl.247ff
[202] eigenhändiger Kommentar Overbecks zum Gemälde; Howitt II,62
[203] Teupser S.8
[204] Lankheit "Das Freundschaftsbild der Romantik" Heidelberg 1952. Verzichtet wird auf eine Diskussion der vollkommen ohne Lektüre von Howitt, Lehr u.s.w. erfolgten Besprechung des Diptychons in zwei Bänden der Reihe "Heyne Stilkunde" (Bachleitner "Die Nazarener" und Chr. Baur "Landschaftsmalerei der Romantik"
[205] Lankheit S.130/131
[206] Lankheit S.132
[207] vgl. Bialostocki, "Romantische Ikonographie"
[208] Howitt I,12 und I,263
[209] Lehr S.51
[210] Vögelin S.22
[211] Brief an Passavant 28.12.1807
[212] Brief an Passavant 12.11.1808, bei Lehr S.267. Zu Pforrs Beschäftigung mit religiösen Dingen scheint eine heute nicht näher zu verfolgende Auseinandersetzung mit dem Judentum gehört zu haben. Am 17.11.1807 schwärmt er gegenüber Passavant von einem Buch, dem "Gegenstück zu Lessings 'Nathan der Weise'", ohne den Verfasser, J.G. Pfranger, zu wissen (zu Pfanger siehe Allg. Deutsche Biographie, 25, S.704); in einem "Faustgedicht", einem längeren dramatischen Gedicht, mit dem er sich im Frühling 1807 "abplagt", sind die Hauptpersonen Juden: "vier Juden arbeiten sich darin ab" (Brief vom 18.4.1807), er wünscht sich deswegen von Passavant die Mitteilung von "Judenanekdoten."
[213] bei der ersten Bekanntschaft mit Pforr und Overbeck macht sich Vogel noch etwas lustig über das schon damals recht asketische Leben der beiden: "Overbeck und Pforr thun sich etwas darauf zu gute, recht elend zu leben" (zitiert bei Vögelin S.13)
[214] Vögelin S.22
[215] Lehr S. 50-55
[216] Grote (1972) S.59/60; vgl.auch Howitt I,266
[217] Howitt I,196
[218] Brief an Passavant vom 15.12.1810
[219] vgl. Pforrs Studiumsbericht, Lehr S.42