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"Yella" von Christian Petzold

"Yella" von Christian Petzold, Deutschland 2007, 88 min

Hauptdarsteller: Nina Hoss , Devid Striesow, Hinnerk Schönemann

Beziehungsdrama vor deutsch-deutschem Hintergrund: Yella träumt ihr Leben im Westen, als Buchhalterin in Hannover, als "Tagelöhnerin" einer Risikokapitalfirma. Aber ist das so, oder führt sie nur ein Schattenleben? Lohnt sich der Neuanfang im Westen oder wäre es besser, auf gewisse Erfahrungen zu verzichten? Im Westen geisterhaft lebend, assistiert sie Männern bei ihren zwielichtigen Geschäften, um dann selbst skrupellose Akteurin (Aktivistin?) zu werden. Der Zuschauer rätselt am Ende, ob ihr Leben in der Elbe abrupt endete oder ob sie die Westerfahrungen tatsächlich gemacht hat. Der Film verwebt gekonnt Wirtschaftsnöte mit Irrealität, Gruselstimmung kommt auf. Exzellente Nebenrollen gespielt von Burghart Klaußner und Barbara Auer. Der Horror kommt, abgesehen von der Wahnsinnstat von Ben, ganz unmerklich, nicht so krass wie bei Hitchcock oder David Lynchs Filmen.

Es ist etwas faul in der Mark Brandenburg. Es stinkt auch in Hannover. Yella zieht von Wittenberge nach Hannover. Bald außer Reichweiter ihres Ex-Mannes, der sich die Schuhsohlen abläuft, um seinen Ruf als "Stalker" zu festigen, tritt sie in Kürze in Hannover einen Job als Buchhalterin an. Die Installationsfirma ihres Ex (Hinnerk Schönemann) ist pleite, das Inventar verscherbelt. Yella läuft so zielstrebig, dass ihr Ex-Mann Ben vermutet, sie habe einen guten Job an Land gezogen. Er akzeptiert die Trennung nicht, sie soll ihre langen Beine nur ihm zeigen, nicht andere Männer damit locken. Im Verlauf des Films sehen wir Yella alias Nina Hoss immer wieder gehen - im Gegensatz zu Lola, die rennt. Ihr Vater steckt Yella für alle Fälle Geld zu, das sie nur widerstrebend nimmt. An der Tür steht wieder der Ex, bietet an, sie zum Bahnhof zu fahren. Dann macht er aber einen "sentimentalen Abstecher" zur eigenen Firma. Ben hat auch eine Mappe mit Geschäftsunterlagen dabei, die Yella lesen soll. Er hat einen Plan, wie er seine Gläubiger teilweise befriedigen oder hinhalten kann, bis der ersehnte Großauftrag kommt: der Bau des DHL-Flugplatzes in Wittenberge. Als Yella sich rein gar nicht für seine Pläne interessiert, wird er gewalttätig und im nächsten Moment reißt er das Steuer herum, das Auto durchbricht das Brückengeländer und stürzt ins Wasser.

Es ist eigentümlich, dass Yella mit Stöckelschuhen aus der Elbe kommt, sich erschöpft an den Strand der Elbe legt, auch ihr Ex legt sich wortlos neben sie. Sie öffnet die Augen, greift sich ihre Tasche, die wunderbarerweise ebenfalls angeschwemmt wurde und läuft triefend naß zum Bahnhof. Als sie sich im Abteil umzieht, zieht der Schaffner die Vorhänge zu, ohne auch nur ein Wort an sie zu richten, so als ob sie gar nicht existiere. Sie erwacht erst, als der Zug bereits auf dem Abstellgleis weit außerhalb des Bahnhofs steht.

Wie ein roter Faden (running gag) taucht immer wieder Wasser auf:

Auf dem Weg zum Hotel in Hannover beobachtet Yella irritiert eine Familie beim Verabschieden, die Frau und Yella wechseln fast feindselige Blicke. Später wird sie das Familienoberhaupt gnadenlos unter Druck setzen. Im Hotel bekommt sie das Appartement nur gegen Vorauszahlung, obwohl das am Telefon nicht vereinbart worden war. Wie gut, dass ihr Vater ihr das Geldbündel zugesteckt hat. Im Speisesaal lernt Yella den "private equity"-Vertreter Philipp kennen. Er fragt sie zwei Mal: "Sie interessieren sich für Bilanzen?" Sie ackert gerade ein Business-English- Buch durch. Beide bewohnen im Hotel ein Zimmer auf dem selben Stock. Yella beabsichtigt währen der gesamten Probezeit im Hotel zu wohnen. Ein Einstiegsgehalt von 2 100 Euro war vereinbart, aber die Firma ist pleite, der Konkursverwalter ist im Haus. In dieser Situation kann der "Chef" die Dienste von Yella gut gebrauchen, um sich in den Besitz einer kleinen, schweinsledernen Tasche aus seinem konfiszierten Schreibtisch zu bringen. Er schickt sie los, wie man ein Kind losschickt oder einen Hund etwas apportieren lässt, und Yella setzt ihre berühmten Beine in Gang, bringt das Täschchen an sich. Wenn man Insolenz angemeldet hat, ist es sicher auch nicht ratsam, wenn noch irgendwo 450 Euro herumliegen. Der "Chef" hat allerdings noch mehr Geld erwartet. Yella stellt fest, dass er noch nicht einmal weiß, wofür sie sich beworben hat. Als sie insistiert, stellt er ihr eine Stelle in Hamburg in Aussicht. Sie sitzen zusammen im Taxi. Er fragt:"Hast Du schon mal 11 Uhr morgens Austern gegessen?" Der Taxifahrer, gefragt, wo man Austern zu solch früher Stunde bekommen kann, nennt ein Hotel: es habe übrigens auch schöne Zimmer, teilt er dem "Paar" im Fond noch mit. In der nächsten Einstellung steigt Yella aus dem Wagen.

Jetzt beginnt die Tagelöhnerphase für Yella: ihr neuer Chef umschreibt das mit "Begleiten Sie mich noch einmal?", wobei sie pro Transaktion mit einem Tausender rechnen kann, der sicherlich nicht versteuert wird. Währenddessen hat auch Ben, der Ex-Mann von Yella die Spur aufgenommen, verschafft sich auch einmal Zutritt zu ihrem Hotelzimmer, lauert im Dunkeln, macht wieder einen Versuch, sie umzustimmen, damit sie zu ihm zurückkommt. Er redet ihr ein, sie habe ihn nur verlassen, weil er wirtschaftlich erledigt sei, dann verschwindet er wieder, geistert aber weiter in der Gegend herum. Yella sucht ihn am Rande eines Gewässers (siehe Aufzählung: Leitmotiv Wasser), ruft seinen Namen. Die Verhandlungen mit den in Not geratenen Firmen, die von keiner normalen Bank mehr einen Kredit bekommen würden, laufen immer nach dem gleichen Schema ab: zwei Fronten, auf der einen Seite Yella und Philipp auf der anderen Seite Chefbuchhalter, Prokurist, Firmeninhaber oder Geschäftsführer. Mit der Luxuskarosse, in der sich Yella und Philipp zuerst misstrauisch aus den Augenwinkeln betrachten, werden die maroden Firmen im Umkreis des Hotels abgeklappert. Philipp, der sie zuerst für eine dumme Nuss hält, merkt bereits bei der ersten Verhandlung, dass Yella jede Lücke in der Argumentation des potentiellen Kreditnehmers erkennt und zur Sprache bringt. Die jeweiligen Kredite sind an die Bedingung geknüpft, dass bis zu 35 % des Gewinns an den Kreditgeber fließt. Der Schock über die Kreditbedingungen sitzt, man vertragt, man rechnet die Firma gesund, verweist auf die Lagerbestände, was Philipp allerdings nicht gelten lässt. Lassen sich die Firmen darauf ein, ihre Vermögenswerte klein zu reden, so beginnt der Geldtransfer: gestückelt, damit der Empfänger sie nicht bei der Steuer oder der Bilanzierung angeben muss. Philipp testet die Ehrlichkeit von Yella, den in dem Umschlag mit den Überweisungen sind 25 000 Euro zu viel. In einem Impuls, adressiert Yella den Umschlag an ihren Ex-Mann, aber da fährt auch Philipp schon wieder vor, bevor sie die Geldsendung in den Briefkasten werfen kann. Obwohl sich Philipp vehement weigert, etwas vom Ex-Mann Yellas zu erfahren, macht er sich nach diesem Täuschungsversuch nun laut Gedanken über die Motive Yellas.

Die beiden verstehen sich immer besser, kommen mir wie ein Gangsterpaar vor, schließlich sind sie ein Liebespaar: Yella liegt in der Pose auf dem Bett, wie sie auch nach dem Autounfall am Ufer lag. Eine kurze Ruhepause, bevor sie wieder wie gespenstige Heuschrecken ganze Gewerbegebiete kahl fressen. Sie darf auch mal ans Steuer, und nutzt die Gelegenheit, nach Wittenberge zu fahren. Philipp Liebhaber erwacht wegen der holprigen Landstraße, vergreift sich völlig im Ton: er möchte nicht ihrem Vater als potentieller Schwiegersohn vorgestellt werden, er hat den Traum, eine kleine irische Firma zu unterstützen, die Bohrsysteme herstellt; deswegen zieht er die Firmen über den Tisch.

Auch Yella hat die Zeichen der Zeit erkannt. Obwohl sie so sensibel und zerbrechlich wirkt, kann sie sich sehr wohl behaupten (harte Nuß). Minimal gestylt, kein Schmuck, schlichter Pferdeschwanz, mutiert Yella vom Opfer zu Täterin. Yella erhält Geld von Philipp, um einkaufen gehen zu können, sie fährt mit dem roten Audi allerdings zu dem Bungalow des Firmeninhabers, mit dem gerade verhandelt wird und setzt ihn gnadenlos unter Druck: verlangt 45% statt 35 % an Gewinnspanne. Die Gattin im Kimono hat gleich den richtigen Riecher, als Yella wie ein Racheengel vor der Tür steht, und versucht sie mit "Geh weg!" zu verscheuchen. Sie lässt sich jedoch nicht abwimmeln, benimmt sich so, als ob sie einen Wettbewerb "Wer ist die Fieseste im ganzen Land?" gewinnen wollte. Nach getaner Arbeit fährt sie zu Philipp zurück, der sie bereits abgeschrieben hatte. Als die Verhandlungen am nächsten Tag fortgesetzt werden, fehlt der Mann aus dem Bungalow; Yella sieht den Firmenchef schemenhaft an einem Fenster des Bürogebäudes auftauchen, fragt in die Runde, ob hier in der Nähe Wasser ist. Der verzweifelte Firmenchef hat sich das Leben genommen, liegt leblos im Wasser. Ein strafender Blick von Philipp, als Yella mit starrem Blick ebenfalls am Ufer auftaucht. Nächste Einstellung: Sie sitzt weinend im Fond eines Taxis. Danach nochmals der Crash von der Brücke, das Auto wird aus der Elbe gezogen, die beiden Insassen liegen am Ufer, aber dieses Mal öffnet Yella ihre Augen nicht mehr: die Leichen werden mit einer glitzernden Aludecke zugedeckt.

Ein Film, bei dem man den Glauben an moralisches Verhalten in der Wirtschaft verlieren könnte. Michael Petzold illustriert nicht einfach wirtschaftliche Abläufe und psychologische Verwicklungen, sondern destilliert ein Beziehungsdrama im Niemandsland zwischen desolater Wirtschaft in den neuen Bundesländern und dem Nirwana einer kurzen Liebe im Westen. Nina Hoss hat für ihr intensives Spiel zurecht den Silbernen Bären der Berlinale (Internationale Filmfestspiele Berlin) 2007 erhalten.

 


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Gestaltet von Elke Konstandin-Hassforther. Letzte Änderung: 31.12.2007
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