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Kulturtagebuch, Notizen

In den Süden 29.09.2006 "In den Süden", Film, gesehen am 29.9.06 im "Gloria", Heidelberg
Regie Laurent Cantet, Frankreich 2005

Der Film könnte genauso gut "Traurige Tropen" heißen: Terrorregime und private Tragödien der Langeweile und unfreiwilligen sexuellen Abstinenz, die durch einen Urlaub mit schwarzem Lover wieder eingermaßen ins Lot kommen sollen. Leider lief der Film bereits eine Viertelstunde, als ich ins Kino kam.

Egbar ist jung und sehr gut gebaut, kein Wunder, daß die reife Ellen auf ihn abfährt und ihn sozusagen jedes Jahr mitbucht. Was im Heimatland USA skandalös wäre, ist hier ganz unproblematisch: Sex zwischen Schwarz und Weiß. Auch Brenda kommt auf den Geschmack und angelt sich den Schönen. Ellen gibt vor, nicht eifersüchtig zu sein, ist es aber wahrscheinlich doch, da sie sich in Egbar verliebt hat. Alle Urlauberinnen betonen in einer interviewhaften Passage des Films, daß sie hier ganz anders seien als zu Hause. Vielleicht ist das die Umschreibung einer gewissen Mannstollheit während des Urlaubs. Zu Hause wartet auf keine der Frauen ein Mann, hier tauchen sie in ein anderes Leben ein, wenn auch nur kurz. Die ledige Sue hat einen anderen Verehrer, mit dem alles ganz unkompliziert ist, jedenfalls im Vergleich zu den verklemmten Männern in ihrem Betrieb. Auch der Geschäftsführer des Hotelrestaurants wird interviewt. Er äußert einen Kernsatz des Filmes: die Weißen bringen viel Geld mit, aber alles was sie anfassen verfault. Man erfährt, daß die Schwarzen früher die Weißen mit Tieren auf eine Stufe stellten und daß sich sein Großvater damals nicht hätte träumen lassen, daß Albert einmal Weiße im Restaurant bedienen würde. Heute ist es so, daß Schwarze im Restaurant nicht bedient werden dürfen. Nur weil Brenda nicht locker läßt, wird Egbar als ihr Gast behandelt und erhält ein Gericht.

Trotz all der Lust (oder sollte man eher sagen "Lüsternheit" nach Sex oder eben Geld) liegt eine geheime Düsternis über dem Tropenparadies: als Egbar und ein paar Jungs kicken und er nebenbei über seinen Erfolg bei der Damenwelt ausgefragt wird, kommen zwei Männer und bedienen sich an der Getränkekiste (statt Kiosk) eines Jugendlichen. Als er Geld für das Getränk verlangt, machen sie die Kiste kaputt. Ein kleiner Junge, der als einziger nachzufragen wagt, warum sie das tun, wird sofort von Egbar zurechtgewiesen, er solle das in Zukunft unterlassen. Ein Mercedes hält neben Egbar und er wird zum Einsteigen aufgefordert. Auf dem Rücksitz ist seine frühere Freundin, die jetzt die Geliebte eines Bonzen ist. Sie wähnt sich in Sicherheit und riskiert ein offenes Wort über ihren Liebhaber, der sie mit Schmuck und Luxus geködert hat. Trotzdem sehnt sie sich nach Freunden, den sie ist sehr einsam und schlägt Egbar gelegentliche Treffen vor.

In den Süden Beim Stadtbummel von Brenda mit Egbar schießt dieser schwarze Mercedes wieder um die Ecke, der Fahrer steigt mit gezogener Pistole aus und Egbar rennt über die Hinterhöfe um sein Leben. Trotz der Lebensgefahr denkt Egbar nicht daran, sich mit Hilfe der zahlenden Damen eine "Greencard" (Paß) verschaffen zu lassen. Vermutlich hat der Fahrer Frank seinem Chef von dem "Rendezvous" erzählt und dieser möchte jetzt seinen Rivalen aus dem Weg schaffen lassen. Egbar besucht nun seine Mutter, die in ärmlichen Verhältnissen lebt. Er steckt ihr all sein Geld zu, das er angeblich erarbeitet hat, woraufhin in seine Mutter ungläubig ansieht. Sie macht ihm ebenfalls ein Angebot, wieder bei ihr zu wohnen, weil sie instinktiv die Gefahr spürt, in der er sich befindet. Egbar weiß, daß er seine Mutter das letzte Mal gesehen hat und im Morgengrauen ist er schon einer der Toten, die aus dem Mercedes gehoben und an den Hotelstrand gelegt werden. Die andere Person ist seine schwarzhäutige Freundin, die in Ungnade gefallen ist. Albert sieht die nackten Toten als Erster bei seinen morgentlichen Verrichtungen im Restaurant.

Brenda hat zwar anfangs nach Egbar gesucht, sich dann aber mit anderen Schwarzen getröstet, die sie in Bars aufgegabelt hat. Sie ist tablettensüchtig und hat vor, sich mit dem Besuch weiterer karibischer Inseln über den Tod von Egbar hinweg zu trösten. Die Vorwürfe von Ellen, die Brenda mit einem Kobrablick abkanzelt, prallen von ihr ab. Ellen wirft ihr vor, mit ihrer Romantik alles vermasselt zu haben und gibt ihr indirekt die Schuld am Tod von Egbar. Wie eine Witwe bricht sie vorzeitig ihren Urlaub ab, und wird von Albert an den Flughafen begleitet. Mit unbewegtem Gesicht sitzt sie in der Abfahrtshalle wie in einer Trauerhalle.

17.09.2006 "Emmas Glück", Film, gesehen am 17.9.06 im "Gloria", Heidelberg

Zwei Menschen in Extremlagen stoßen aufeinander: der Mann ist ein krebskranker Autohändler, die Frau eine verschuldete Landwirtin. Während Max (Jürgen Vogel) gerade sein Todesurteil erfahren hat, und nun versucht, sich nach Mexiko abzusetzen, kann die Bäuerin Emma ihre Tiere natürlich nicht im Stich lassen, hat aber so gut wie keine Zukunftsperspektive, denn die Heirat mit dem verliebten Dorfpolizisten kommt für sie nicht in Betracht. Emma schlachtet ihre Schweine selbst, erspart ihnen damit die Qualen des Tiertransports in weit entfernte Schlachthöfe: ein schneller Schnitt durch die Halsschlagader ersetzt den Bolzenschuß. Das Autohaus Hilfinger, in dem Max und sein Kompagnon Hans arbeiten, nehmen es nicht so genau, manches Auto geht ohne Rechnung weg und so wird die schwarze Kasse immer voller: die wasserdicht verschlossenen Geldscheine sind im Aquarium versteckt, so lange, bis sie sich Max in einer Nacht- und Nebelaktion aneignet, um damit seine letzte Reise zu finanzieren.

Emma Von Hans auf frischer Tat ertappt, schnappt sich Max den Jaguar, mit dem gerade ein krummes Ding gedreht werden soll. Hans rast ihm hinterher, denn er versteht natürlich die Welt nicht mehr. Max drückt immer stärker auf die Tube, nimmt die Hände vom Steuerrad und rast in den sicheren Tod. In Zeitlupe überschlägt sich der Wagen immer wieder, Erinnerungsfotos und nostalgische Schlager sowie das entrückte Gesicht von Max sind die Requisiten dieser eindrucksvollen Passage. Die Edelkarosse landet geradewegs auf dem Bauernhof von Emma, die vom Lärm ihrer Schweineherde geweckt wird. Sie rettet den leblosen Max und legt ihn in ihr Bett. Als sie die Geldkassette findet, setzt sie den Wagen in Brand, um ihre Tat zu vertuschen. Max läßt sich von Emma nicht in die Karten schauen und sie hat nach dem Diebstahl ebenfalls Dreck am Stecken. Plötzlich kann sie alle Rechnungen bezahlen und die Versteigerung des Hofes ist kein Thema mehr. Im Dorf ist der Vorfall beobachtet worden, der Polizist verhört Emma und der Mann vom Abschleppdienst ist schon gefährlich nahe dran an der Wahrheit, aber Henner (Polizist) weist diesen Verdacht weit von sich. Emma behauptet, der Wagen hätte gar keinen Fahrer gehabt, denn Max möchte unerkannt bleiben und sich ein Weilchen auf dem Hof verstecken.

Max geht es mal besser, mal krümmt er sich vor Schmerzen, aber er schenkt Emma noch immer nicht reinen Wein ein. Er macht sich nützlich, räumt z. B. die Küche auf, die vorher unordentlich und schmutzig war und repariert Emmas Moped. Emma findet das aber gar nicht lustig, da sie ihr Moped gerade wegen seiner kleinen Fehler heiß und innig liebt. Emma, bisher arg nachlässig gekleidet, entdeckt plötzlich die Unterröcke der Großmutter, die sie sehr viel weiblicher machen. Max hat die leere Kassette bei Emma entdeckt und stellt sie zur Rede, aber nach Zank und Streit verträgt man sich wieder und kommt sich endlich auch näher. Es ist auch schon höchste Zeit, denn die aggressive Krankheit kennt kein Erbarmen und beutelt Max zusehens: nun ist er bereit, zuzugeben, daß er totkrank ist. Emma tippt sofort auf die Bauchspeicheldrüse, weil er sich bei der Schlachtung gerade dafür so interessiert hat.

Auch der Kompagnon Hans taucht auf und erkundigt sich bei Emma nach einem Unfall. Nein, es hat keinen Unfall gegeben, bekommt er als Anwort. Emma und Max sind inzwischen ein Paar und die Schweine kümmert das gar nicht, was sich vor ihren Augen abspielt. Hans glaubt Emma nicht und verschafft sich des Nachts Zutritt zum Hof, um Max und vor allem das Geld zu finden. Da sperrt ihn Emma kurzerhand in einen Stall. Nun erfährt sie, daß sich die beiden nicht so richtig grün sind: Hans hält Max für einen Langweiler und umgekehrt soll Hans ein unverbesserlicher Egoist sein. Hans gelingt die Flucht aus dem Stall, er findet den vor Schmerzen am Boden kriechenden Max und schafft ihn sofort ins Krankenhaus. Dort wird er mit Schmerzmitteln zugedröhnt. Auch Emma fährt mit dem Traktor zum Krankenhaus und Max entschließt sich, seine letzten Tage auf dem Hof in der Hängematte zu verbringen. Zuerst wird zum Staunen der Dorfgemeinschaft allerdings noch geheiratet, Hans hat Max vergeben und ist mit der Rezeptionistin vom Autohaus zusammen Trauzeuge. Zwischenzeitlich hat Max das Schwarzgeld in den Hof gesteckt, so daß eines Nachts alle elektischen Lichter wieder angehen. Am Ende erlöst Emma Max von seinen Schmerzen, wobei sie nicht viel anders verfährt als mit ihren tierischen Lieblingen. Die Staatsmacht drückt wieder ein Auge zu.

Der Film lebt nicht zuletzt von den liebevoll geschilderten Details und den tollen Typen in den Nebenrollen. Obwohl zwischen Tragödie und Komödie angesiedelt, kommt er so leicht daher, daß auch dem Sterben noch etwas Versöhnliches abgerungen wird. Taschentuch nicht vergessen!

14.05.2006 Kamikaze Pictures (Zum letzten Mal!) am 14. 5. 2006, Theater der Stadt Heidelberg, Zwinger 1, Raumbühne

Das Stück fängt schon mal so an, daß der sehr ungestüm auftretende junge Mann wild mit seiner Kamera herumfuchtelt. Er ist auf der Suche nach Linda, die er auf der Love Parade kurz gesehen und gefilmt hat und die für ihn die Traumfrau ist. Eigentlich sind sie vor der Kneipe "Moskau" verabredet, aber sie tanzt vermutlich schon drinnen. Der Schauspieler wendet sich an Leute aus dem Publikum, um sich eine weibliche Begleitung zu verschaffen. Nun kommt das Alter Ego von Andy (aber bestimmt nicht Warhol) ins Spiel, verschwitzt, mit Kapuzenmantel, Sonnenbrille, Handy und rasiertem Schädel, aber kein Skinhead. Der Flüchtling (war in eine Polizeirazzia gekommen) sucht dringend eine Bleibe und Andy sucht ja schon verzweifelt nach Linda... da können sie sich zusammentun und eine Zweier-WG gründen. Als ob Andys Leben davon abhinge, werden manisch-depressive Aktionen um Linda gestartet, Flugblätter gemalt, verteilt, inseriert. Alles was gut und teuer ist, wird versucht, um dem Singledasein ein Ende zu setzen. Alle Lindas sind aufgerufen, sich bei Andy zu melden.

Und es melden sich auch etliche... zuguterletzt kommt Sonja ins Spiel, möchte bei den Dreharbeiten zum Linda-Suchfilm mitmachen. Jetzt wird der Freund rebellisch, droht mit Auszug, wenn diese Frau in die Männerfreundschaft einbricht. Alkohol und illegale Drogen, z. B. Heroin werden konsumiert, wobei Andy und sein Kumpan sich spiegelbildlich eine Injektion verpassen. Was macht man nicht alles, um intensiv zu leben und nicht bürgerlich zu sein! Andy kommt wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ins Gefängnis, derweilen taucht Linda wieder in der Andy-Wohnung auf, hat sich in den gleichgültigen Andy verliebt, der ihr nicht mal den Film zeigt, in dem sie tanzt.

Die beiden Jungs verkaufen ihre Aktion jetzt als Kunst, werden kommerziell. Andy wird immer abgedrehter, er möchte, daß sein Freund geht, er raube ihm alle Energie, er sei wie ein Blutegel; "Blutegel sind gesund" kontert der Freund schlagfertig. Später wird der Freund im Businessdress auftauchen, er ist Assistent geworden, träumt von der "fetten Knete"; baggert Linda an, die noch hinter Andy her ist. Der läßt sich von der schönen Sonja nicht von der "Phantom-Frau" ablenken. Eigentlich sucht er nicht die Liebe sondern den Untergang: Selbstmord liegt trotz offenem Schluß in der Luft. Andy fehlt der Realitätssinn, er ist zu extrem, um sich an eine bürgerliche Existenz zu klammern. Er liebt die radikale Pose, Hilfe schlägt er aus; er geht mit seiner Vision von Linda unter. Am Ende wird ein Happy End für den sich gesellschaftlich etablierenden Freund und Sonja-Linda angedeutet, die sich Andy gegenüber als die tatsächlich gesuchte Linda geoutet hat. Auch das läßt Andy kalt. Bald gibt es wohl ein neues Liebespaar und daß der Freund bereits einen kleinen Sohn hat, erfahren wir beiläufig, als er sich mit Sonnenbrille und Teddybär zu dessen 1. Geburtstagsfeier aufmacht.

Die mediale Spiegelung des Bühnengeschehens, das Abfilmen der puppenstubengroß nachgebauten Diskothek "Moskau", die auf einem Tisch aufgebaut ist, die Tanzszenen mit Sonja, aber auch die Kamerafahrten entlang des Ostsee-Plattenbau-Panoramas, Interviews mit Andy Künstler und seine sonstigen Statements, verschaffen dem Stück eine zweite Ebene.

Als dritte Ebene sehe ich die Musik, die vorwiegend aus Remakes bekannter Poptitel besteht. Sehr laut und für meine ältere Ohren schräg bis schrill.

Ich hatte das Stück bereits als szenische Lesung während des Stückemarkes 2005 gesehen und muß sagen, daß es durch die jetztige Inszenierung sehr gewonnen hat.

07.05.2006 "Nachtblind", Stück von Darja Stocker, Theater der Stadt Heidelberg, (Gastspiel der Schweizer Uraufführung), Zwinger 1.

Ein Mädchen von heute, dessen Mutter als Journalisten arbeitet, d. h. vorwiegend daheim, wohingegen der Vater fast nie zu Hause ist, hat vor kurzem ein schweres Trauma erlebt. Die Mutter weiß nichts davon und will vielleicht auch gar nichts davon wissen. Das Mädchen Leila trifft einen hochbegabten Außenseiter namens Moe irgendwo draußen, wo es auf selbst gesprayte Graffitis schauen kann und bei sofortiger Sympathie entwickelt sich eine Freundschaft, die in Liebe umkippt. Das Mädchen ist sehr schroff zu Bruder und Mutter, was eben auch nicht gerade die Gegenliebe fördert. Diese Freundschaft hat das Mädchen dringend nötig, da die Kommunikation in ihrer Familie sehr gestört ist: da ist einerseits der pubertierende Bruder, andererseits eine Frau und Mutter, die sich vergeblich an ihren Mann ranschmeißt. Der Mann hat allerdings Besseres zu tun: entweder er arbeitet jetzt auch noch Nachtschichten oder er hat eine Freundin. Es braucht nicht viel Funken, und das Pulverfaß Familie explodiert vielleicht ganz. Derweilen schwelen die Konflikte: zwischen den Geschwistern, zwischen den Eheleuten, zwischen Mutter und Tochter weiter.

Nur bei Gesprächen und "Sitzungen" mit dem Freund Moe hellt sich die Miene des Mädchens sichtbar auf. Daheim ist es abweisend und spricht nur das Nötigste. Wenn es nicht gerade die Mutter attackiert und ihr die Meinung knallhart ins Gesicht sagt: daß sie die Mutter peinlich findet, sie auf ihre Widersprüche aufmerksam macht. Während Moe aus einfachen Verhältnissen stammt, gehören die Eltern von Leila der Intellektuellenschicht an. Moe experimentiert herum, erfindet Neues, hält nichts von der Schule und geht auch auf keine, er macht nichts, wie er freimütig zugibt. Er beobachtet gern und erzählt von seiner Freundschaft mit der Witwe eines Polizisten.

In dieser Atmosphäre des Vertrauens kann Leila (was soviel heißt wie die Nacht) das Geheimnis lüften: mit Sätzen die Fragmente bleiben berichtet sie, daß sie von ihrem früheren Freund verprügelt wurde, der Rücken hat schwer unter den Schlägen gelitten, ihre Schreie in dieser Nacht waren weit zu hören, die Umgebung griff aber aus Angst vor dem Schläger nicht ein. Auch Moe und Leila knallen sich ihre Wahrheiten über das Gegenüber an den Kopf: die Doppelmoral und Scheinliberalität der Bourgeoisie und die Nivellierung der Individualität im Kleinbürgertum. Jede Schicht vertritt in den Augen des anderen die falschen Ideale. Doch die Auseinandersetzung kann das Happy End nicht aufhalten...

Virtuose Nutzung der Bühne, als Hochsitz für Leila und Moe, Jugendzimmer, Küche, Arbeitsplatz der Mutter am Küchentisch .

29.04.2006 "Florencia en el Amazonas", Oper von Catan, Premiere, Theater Heidelberg.

Oper von Catan, begleitet von einer Ausstellung über das Amazonasgebiet in der Volksbank Heidelberg. Diese Ausstellung sah ich mir vor der Uraufführung an.

In die Geschichte führt der Flußgeist Riolobos ein. Die Kostüme ahmen den Stil des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts nach; eine Single-Schriftstellerin geht an Bord, sie hat ein umfangreiches Manuskript mit, das von der berühmten Operndiva handelt, die in Manaus, der Hauptstadt und ehemals Kautschukmetropole, auftreten wird. Sie hofft, dort endlich ein Interview mit ihr führen zu können. Die Biographie der Diva ist das Lebenswerk dieser Schriftstellerin. Ein Ehepaar, offenbar kinderlos, möchte sich dieses Schauspiel ebenfalls nicht entgehen lassen und schifft sich ein. Der alte Kapitän ist so mit seinem Schiff verwachsen, daß er keinen anderen Traum hat, als ewig mit ihm durch die Mangrovenwälder zu gleiten. Der Neffe des Kapitäns arbeitet als Maschinist an Bord und träumt jedoch davon, als Flugzeugkapitän die Welt zu sehen.

Zuletzt geht die Diva an Bord, sie kommt zu spät und tritt eine Reise in die eigene Vergangenheit an: vor 20 Jahren hat sie durch die Liebe zu einem Mann den Durchbruch als Künstlerin geschafft. Diesen sucht sie jetzt wieder und geht fälschlich davon aus, daß die Zeit stehen geblieben ist.

Das Ehepaar streitet herum, wirft die Eheringe in eine Flasche, die über Bord geht; man versteht sich nicht mehr, die Beziehung kränkelt dahin, von Liebe scheint immer weniger die Rede sein zu können.

Nun kommen sich auch der Maschinist und die Schriftstellerin näher: sie werden ein Liebespaar und die Schriftstellerin erkennt, daß ihr Lebenswerk sinnlos war: es flattert wie Konfetti in einzelnen Blättern vom Bühnenhimmel. Erst durch die Entdeckung der Liebe wird sie zukünftig in der Lage sein, wertvolle Literatur zu schreiben.

Neben diesen ganzen emotionalen Stürmen gibt es plötzlich auch ganz real die Gefahr eines Sturmes zur Unzeit, wie der Kapitän vermerkt: das Schiff schwankt jetzt ganz gewaltig, die Bühne wird immer schräger, das Schiff gerät in schwere Seenot: Die Flußamazonen werden vom Flußgeist beschworen, die Ordnung wieder herzustellen und Chaos und Untergang nicht zu zu lassen. Der Ehemann des zerstrittenen Paares geht von Bord, um das Schiff von den Baumstämmen zu befreien, die ihm die Weiterfahrt unmöglich machen. Das gelingt ihm auch, wider alle Erwartung. Das Paar findet zu seiner alten Harmonie zurück.

Am Ende der Fahrt geht die Diva als Einzige von Bord, obwohl in Manaus die Cholera wütet. Sie ist entweder immer noch auf der Suche nach dem Geliebten oder begibt sich jetzt absichtlich in Lebensgefahr, da sie erkannt hat, daß sie ihn für immer verloren hat.

Die Musik ist opulent und klingt gleichzeitig modern und als ob es die Oper schon länger gäbe. Da gabīs doch schon mal ein Stück mit ähnlichem Inhalt: "Des Meeres und der Liebe Wellen" von Grillparzer, möchte man als BildungsbürgerIn einwerfen! Das könnte mal gespielt werden.

Die begleitende Ausstellung zeigt die Vergangenheit mit traditioneller Brandrodung, die wohl keine großen Auswirkungen auf die Umwelt hat und die heutigen Abholzungen im großen Stil, die sich bestimmt auf das Weltklima auswirken werden. Die caboclos (Kleinbauern) und der Kautschukabbau Mitte des 19. Jahrhunderts waren und sind umweltverträglich, aber die Massenabholzungen zwecks Sojaanbau zu Ende des 20. Jh.s und heute sind aus Umweltsicht nur ein kurzzeitiges Ausbeuten dieser Regionen, die sowieso nicht besonders fruchtbar sind, und sich sehr bald nicht mehr zum Anbau von landwirtschaftlichen Produkten eignen. Auch die Vernichtung des Regenwaldes, um Viehweiden zu gewinnen, hat mit nachhaltigem Wirtschaften rein gar nichts zu tun. Hier steht nur der schnelle Profit im Vordergrund.

 


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Gestaltet von Elke Konstandin-Hassforther. Letzte Änderung: 06.10.2006
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