Startseite, Neues, Blog, Filmbesprechungen, Kunst, Kunstunterricht, Lebenserinnerungen

Jilliane Hoffman: Mädchenfänger

Thriller, 2010 (bzw. 2014), Übersetzung aus dem Englischen von Sophie Zeitz, Rowohlt Verlag GmbH, 459 Seiten, Taschenbuch

Die Autorin dieses spannenden, typografisch abwechslungsreich gestalteten Textes, hat in den USA im juristischen Staatsdienst gearbeitet. Sie lässt Detailwissen einfließen, das sie im Bereich von kriminalpolizeilichen Einsätzen erworben hat:

Anonyme chat-rooms, wo sich auch noch der ärmste, verkrüppelte Underdog zum wohlhabenden Adonis hochstilisieren kann, werden zur Leimrute, mit der Halbwüchsige aus problematischen Verhältnissen, gefangen werden. Unerfahrene Teenager werden zur leichten Beute von Sexualstraftätern jeder Couleur, die sogar Webcams einsetzen, um ihre Opfer im Kinderzimmer zu bespitzeln (S. 199).

Am Beispiel einer 13jährigen Schülerin namens Lainey Emerson wird die digitale Kontaktaufnahme bis zum ersten realen Treffen und anschließender Entführung und Gefangenhaltung demonstriert. Das „Kind“ ist dem Bösewicht natürlich nicht gewachsen, tappt in die Falle (verschlossene Autotüren) und stammt aus prekären Familienverhältnissen, zusätzlich entwurzelt durch Wohnort- und Schulwechsel. Da sie kein Vertrauensverhältnis zu ihrer Mutter hat, sagt sie ihr kein Sterbenswörtchen von ihrem ersten Date via Internet, dem sie entgegenfiebert. Am Treffpunkt, einem verlassenen Schulgelände, wird sie überwältigt. Der listige Internet-Gangster hatte sich zwecks Kontaktaufnahme in den 17jährigen Zach, einen sportlichen und schulisch erfolgreichen blonden „Dreamboy“ verwandelt (S.114). Laineys Hompage dagegen ist ohne Falsch und Arg (S.89).

Bobby Dees, der Spezialist bei FBI für vermisste und missbrauchte Kinder und Jugendliche wird mit dem Fall betraut. Ein dreister Reporter namens Mark Fielding tritt auf den Plan: immer der Erste der Medienmeute vor Ort. Aus dem Looser, der bei seinem Sender auf der Abschussliste steht, wird durch die folgenden dramatischen Ereignisse ein Mega-Medienstar. Anders als Felding zu Beginn des Romans, ist Officer Dees sehr erfolgreich in seinem Beruf und wurde mehrfach ausgezeichnet, was auch die Medien begierig aufgriffen. Diese Erfolge werden ihm sicherlich geneidet...

Seit jedoch seine einzige Tochter Katy verschwunden ist, sitzen seine Frau und er tief im Loch. Seit etwa einem Jahr hatten sie bereits keinen Kontakt zu ihr und die Nerven in dieser Familie liegen bloß. Beide stürzen sich in die Arbeit, um ihre private Misere zu vergessen. Als immer mehr Mädchenleichen gefunden werden, steigt bei dem Ehepaar Dees automatisch die Furcht, dass auch ihre Tochter in den Fängen des Mörders ist.

Der Journalist Felding ist Adressat mehrerer Ölgemälde, auf denen die ermordeten Mädchen abgebildet sind, weswegen die polizeiliche Suchaktion dann auch den Titel „Picasso“ erhält. Auf diesen Bildern befinden sich jeweils Hinweise auf den späteren Fundort der Leichen, die Officer Dees immer entschlüsseln kann. Es taucht die Vermutung auf, dass der Täter sich in einem Wettkampf mit Dees befindet

Zuerst wird der Ehemann Todd LaManna verdächtigt, der kein Alibi für den Entführungszeitraum hat. Die Mietwohnung in miesen Vorstadgegend (shitsville S. 64) wird gefilzt. Die ganze Stadt wurde aus dem Boden gestampft. Die Rundumbewachung des Stiefvaters von Lainey bringt die Beamten zu einem Bordell für Minderjährige, das von zahlreichen Männern jenseits der Lebensmitte besucht wird. Hier ist auch Todd LaManna Mitglied und kann dort seine Schulmädchenphantasien ausleben. Da er auf frischer Tat ertappt wurde, muss er mit einer langjährigen Haftstrafe rechnen. Auf später macht er sich verdächtig, als eine weitere Gemeinsamkeit zum Mörder entdeckt wird: er malt in einer versteckten Kammer, die auch seiner Frau unbekannt war (S. 237).

Die Gier alternder Männer nach „Frischfleisch“, die dann zu solchen Kinderprostitutionsringen (S.298 ff) führt, das ist absolut lebensnah. Der Leser erfährt etwas über Ausreißer (S. 122): Flucht aus dem Elternhaus liegt oft sexueller Missbrauch zu Grunde, doch unerfahrene junge Menschen werden in der freien Wildbahn erst recht das Opfer sexueller Übergriffe. Die Mutter von Lainey, obwohl offensichtlich nicht in einer glücklichen Ehe lebend, hält weiterhin zu ihrem Mann, den sie für untreu hält (S. 121f). Darauf, dass er seinen Stieftöchtern nachstellen könnte, ist sie noch nicht gekommen oder verschließt die Augen davor.

In einem kurzen Einschub wird auf den Täter gezoomt, der sich tierisch freut, dass er es mit seinen Missetaten in die Hauptsendezeit des Fernsehens geschafft hat (S. 134). Er plant, seine Medienpräsenz noch auszubauen und geht dabei buchstäblich über Leichen.

Bei einer Pressekonferenz kommt es zur ersten direkten Konfrontation zwischen Officer Dees und Reporter Felding (S. 140), wobei dem ersteren quasi unterstellt wird, dass er zwar die höchste Alarmstufe ausgerufen hat, als seine Katy verschwunden ist, aber anderen Kindern amtlicherseits nicht halb so viel Interesse entgegengebracht wurde. Felding hat eine Liste von 19 Mädchen erstellt, nach denen, seiner Meinung nach, ebenfalls mit höchster nationaler Priorität gesucht werden sollte.

Sonderkommission „Picasso“ wird auf neun Leute aufgestockt und eine Profilerin wird kontaktiert (S. 312); der Täter hat sich ihrer Meinung nach auf junge, weibliche Ausreißer spezialisiert, denen er wohl schon seit Jahren auflauert. Der Mörder liefert sich einen Wettkampf mit Bobby Dees, dessen Spitzname „Shep“ (shepherd) anerkennend darauf anspielt, dass er bereits viele vermisste Kinder zu ihren Familien zurückgebracht hat, genau wie ein Schäfer, der seine verlorenen Schafe wieder zur Herde zurück bringt(S. 317).

Durch den polizeilichen Einsatz eines digitalen Lockvogels namens „Janizz“, mit dem man Pädophilen auf die Schliche kommen möchte (S 318), gibt es „instant messages“ zum vermutlichen Psychopathen-Mörder „TheCaptain“: ein Treffen am McDonald wird vereinbart, ein angeblich 17jähriger trifft sich mit einer „13jährigen“. Vor diesem McDonald wird auch Reporter Felding gesichtet, worüber Bobby sehr verärgert ist. Ein älterer Mann winkt die „ kleine Natalie“, in Wahrheit eine sehr jung wirkende Polizistin, zu sich ans Auto. Eine Fahrzeugkontrolle dieses Wagens führt zur Fahrerflucht mit tödlichem Ausgang für den Wagenlenker: Bobby hatte sich dem vermeintlichen Psychopathen auf die Fersen gesetzt, der sich jedoch nur zufällig für die junge Frau interessierte.

Wollte man das Vorgehen des Mädchenmörders grafisch darstellen, so wäre eine Pyramide geeignet: die Basis bildet die Entführung, darauf folgt Gefangenhaltung, Folterung, Ermordung und Verstümmelung sowie das Porträtieren der Toten und Übergabe des Bildes an die Presse, genauer gesagt an Felding.

Auf dem letzten Ganzkörperporträt in Öl meint Officer Dees seine verschwundene Tochter Katy wiederzuerkennen: Frisur, Haarfarbe und Kleidung sind ähnlich, wenn nicht identisch. Im Hintergrund des Bildes sind Flammen zu sehen und Dees schließt daraus, dass sich die Leiche auf einer Müllverbrennungsanlage befindet, womit er völlig richtig liegt. Zum Glück für Familie Dees handelt es sich jedoch nicht um die vermisste Katy.

Fast gleichzeitig wird auch in der Presse darüber berichtet, dass die Leiche von „Ray“ Coon, dem damaligen Freund von Katy identifiziert ist (S.357). Sollte das ein weiteres Indiz sein, dass Katy doch Opfer des Psychopathen ist, der junges Leben so grausam zerstört? Und LuAnn, die Gattin von Officer Dees, ist geschockt über einen üppigen Blumengruß zum einjährigen Verschwinden ihrer Tochter. Bobby vermutet, dass der Psycho selbst der Blumenbote war, denn wer sonst hätte es fertig gebracht, den Schmerz einer Mutter derartig zu verhöhnen. Das Haus der Dees wird ab sofort unter Polizeischutz gestellt.

Nun erfährt der Leser, wie die gefangene Lainey verzweifelt davon träumt, zur Superfrau zu mutieren (S.187). Der Kontakt zu einer weiteren Gefangenen, die ebenfalls von Trockenfutter für Hunde leben muß und versucht, sich aus ihrem Verließ herauszugraben , hebt ihre Stimmung ein wenig.

Ein Obdachloser namens Walter „Wally“ Jackson entdeckt auf der Suche nach einem Nachtlager weitere Opfer: dieses Mal ein Leichenpaar (S.243ff) auf einem Boot.

Der oben erwähnte Ausbruchsversuch der „falschen“ Katy, die schließlich sehr übel zugerichtet, auf der Müllhalde gefunden wird, führt endlich näher an den Täter heran: das Gebiet, wo sich der Folterkeller befindet, lässt sich anhand der Spuren an den Fingerkuppen des Opfers eingrenzen (S.413). In diesem Gebiet macht sich der nunmehr vom Dienst freigestellte Bobby allein auf die Suche nach dem Mörder, der möglicherweise auch seine Tochter gefangen hält. Er fährt durch Belle Gade, eine Stadt, die ihre Glanzzeit schon mehr als ein halbes Jahrhundert hinter sich hat, inmitten eines Zuckerrohrgebiets gelegen. Bobby entdeckt beim ziellosen Herumfahren ein heruntergekommenes Hotel: THE HOME SWEET HOME INN (S. 419): eine Kleinigkeit, ein Päckchen Streichhölzer mit der Werbung für dieses Hotel, entlarven Felding als den Täter. Er hatte ein solches Päcken bei einem seiner Treffen mit Bobby mit. Showdown: Das Hotel steht plötzlich in Flammen (S.423). Aber Bobby verschafft sich mit Gewalt Zutritt, im Hotel wird er beschossen, es ist dunkel und voller Rauch. Lainley macht sich bemerkbar, gerät aber zuerst an ihren Möchtegern-Henker (S. 435). Er spielt weiterhin mit Bobby, indem er behauptet, auch seine Tochter gefangen zu halten. Bobby und Lainley schaffen es, das marode Hotel zu verlassen, bevor es zusammenbricht und den Bösewicht unter sich begräbt. Wie schön, dass das Mädchen noch mal mit dem Schrecken davon gekommen ist und Weihnachten mit Mutter und kleinen Bruder feiern kann.

Meine absoluten Lieblingssätze:

S. 354...dann wurde man zu einem Bereich begleitet, wo sie die Drogen vor deinen Augen verbrannten. Wenn man sich nahe genug hinstellte, hat man eine Woche keine Schmerzen gespürt.

S. 193 Der Kerl ist zu gut um seine Schwimmer zu hinterlassen.

Elke Konstandin-Hassforther August 2014

 


Startseite, Neues, Blog, Filmbesprechungen, Kunst, Kunstunterricht, Lebenserinnerungen

Gestaltet von Elke Konstandin-Hassforther. Letzte Änderung: 01.10.2014
Adresse dieser Seite: http://www.bela1996.de/elke/hoffman.html