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Lektürenotizen, Zitate aus:

Spätbarock und Klassizismus

Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel

bearbeitet von Stefanie Heraeus

Staatliche Museen Kassel 2003. Edition Minerva. UB: 2003B677
Gelesen Mitte November 2003. Inhalt: sehr gut. Abbildungsqualität: sehr gut.

Der fest gebundene Band ist ein vollkommenes Gegenstück zum Taschen-Band "Malerei der Welt": Ein ausgezeichneter Text, gründliche Recherchen zu jedem Bild mit ausführlichen Literaturangaben, exzellent fotografierte Gemälde, bei denen keinerlei Reflexe zu sehen sind, wunderbare Reproduktionen in einer Top-Qualität. Obwohl Spätbarock und Klassizismus nicht "meine" Zeiten sind und ich nur einigen privaten Forschungen zur Tischbein-Familie u.a. nachgehe, habe ich mich doch oft ertappt, den Band langsam und genüßlich durchzuschauen. Sogar manche eher langweilige Gemälde sind derart gut präsentiert, dass es reizt, auch sie genauer anzuschauen und den Katalogtext zu lesen.

Fazit: Einer der bestgemachten Kunstbände, die mir je untergekommen sind - und das waren viele.

Schöne bzw interessante Bilder

Johann Appelius Johann Appelius (1721-nach 1790): "Eine Dame mit einer Maske in der Hand" (Paris 1753). Eine gelungene Bildkomposition, bei der mir das gemalte Samtkleid einiges an Bewunderung abverlangt. Die gute Frau ist derart reich geschmückt, dass man dahinter wohl französischen Hochadel vermuten muß. (Kat. 2)
Wilhelm Böttner Wilhelm Böttner: Schlafende Venus mit Amor (Kassel 1789). Eine Venus mit einer sehr guten Figur. Der kleine Amor hat sich einen neckischen Liegeplatz ausgesucht und deckt wichtige Partien der Venus ab. (Kat. 4)

Johann Baptist Lampi: Porträts von Theresia von Wohlleben und Stephan Edler von Wohlleben (beide 1801). Nichtsdran zu deuteln, die sind sehr gut gemalt, Scans habe ich mir aber gespart. (Kat. 94 und 95)

Johann August Nahl d.J. Johann August Nahl d.J.: Die Entstehung der roten Rose (Rom 1790 u Kassel 1816). Schönes Nakedei, wenn auch der Kopf eine Spur zu klein ist. Keine Schamhaare, dz dz dz. Der kleine Amor hat ein äußerst süßes Gesicht. (Kat. 108)

Johann August Nahl d.J.: Orpheus und Eurydike (1807): Nicht sonderlich hübsch, aber Eurydike trägt ein durchsichtiges Kleid und hat ganz deutlich Schamhaaer - na endlich! Beide Figuren mit extremen "klassischen" Profil. Kein Scan. (Kat. 109)

Ludovike Simanowiz Ludovike Simanowiz (zugeschrieben): Selbstbildnis (um 1791/92). Früher Gainsborough zugeschrieben(!). Das Haar à l'enfant entspricht der französischen Haarmode nach Ausbruch der Revolution und ist als Bekenntnis zu werten. Hübsche Frau und hübsches Bild. (Kat. 145)

Johann Friedrich August Tischbein: Familienbildnis (um 1795/1800). Ob es sich um ein Selbstbildnis des Malers mit seiner Frau und seinem Sohn handelt, muß offen bleiben. Ungewöhnlich ist die Stillszene, die direkt ein Bekenntnis zu den neuen Erziehungsidealen ist, nach denen die Kinder durch die eigenen Mütter, nicht durch Ammen gestillt werden sollten. Diese Ideen kann Tischbein in Dessau (Philanthropin) aufgenommen haben, wo er von 1795 bis 1800 Hofmaler war. Kein Scan. (Kat. 168)

Johann Friedrich August Tischbein Von Johann Friedrich August Tischbein enthält der Band viele teilweise recht kleine Ölskizzen (zu Gemälden), sehr locker gemalt, "moderner" aussehend als die fertigen Gemälde. Hier nur ein Beispiel (Kat. 185)

Johann Heinrich Tischbein d.Ä. Johann Heinrich Tischbein d.Ä.: Herkules und Omphale (1754). Die Omphale hat ein allerliebstes Köpfchen mit herrlich schrägstehenden Augen. Und eine schöne helle Haut. Und einen tollen Busen. Bei Omphale (lydische Königin) mußte Herkules drei Jahre als Sklave dienen. Im Bild tauschen sie gerade die Rollen, ein häufig dargestelltes Sujet. Eine brauchbare Abbildung findet sich auch im Katalog "Goethe und die Kunst", Scannen der ganzen Abbildung ist also nicht nötig (wichtig ist der Kopf der Omphale...). (Kat. 194)

Johann Heinrich Tischbein d.Ä., Selbstporträt Johann Heinrich Tischbein d.Ä., dem ein großer Teil des Kasseler Bestandskataloges gewidmet ist, hat sich sehr oft selbst porträtiert, die Porträts durchziehen sein ganzes Schaffen und sind ein Bestandteil der ständigen Selbstreflexion, der sich dieser Künstler unterzogen hat. Jedes Porträt ist ein Bekenntnis, so auch dieses Altersporträt an der Staffelei. Tischbein hält keine Pinsel sondern die Zeichenkohle, bekennt sich damit zur zeitgenössischen Ästhetik, die die Linie (die Zeichnung, die Komposition) höher schätzte als das Malerische. Die beiden Bände von Sulzers "Ästhetik" betonen den Charakter dieses Bildes als eines künstlerischen Bekenntnisbildes. Vom ganzen Habitus her ist Tischbein damit ein Vertreter des gelehrten Künstlers.

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Pygmalion vor der Statue der Venus, Skizze (um 1800/05). Das Ambiente erinnert an nächtliche Galeriebesuche, wie sie damals Mode waren. Ansonsten ein eher mittelmäßiges Gemälde. Leider muß ich sagen, dass Tischbein zwar eine hochinteressante Lebensbeschreibung geschrieben hat, die ich intensiv gelesen habe, dass er als Maler aber wenig überzeugend ist. Auch sein berühmtestes Bild, "Goethe in der Campagna", enthält einige haarige Fehler. (Kat. 301)

 

Interessante Personen

Wilhelm Böttner (24.2.1752-24.11.1805): der letzte bedeutende Akademiedirektor in der Residenzstadt, überwiegend Bildnisse, nur wenige Historienbilder. Nach dem Tod von Tischbein d.Ä. wurde er dessen Nachfolger als erster Hofmaler Landgraf Wilhelms IX und zugleich Professor und Direktor für Malerei an der Akademie (bis zu seinem Tod)

Joseph Rinald (1744-1811): stammte aus einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie in Kassel. E besaß eines der ersten Seidengeschäfte in der Residenzstadt, zu dessen Kunden auch der landgräfliche Hof und der Adel gehört haben sollen. Der Sohn des Dargestellten, Wolf Rinald, hat zwei Pendantbildnisse seiner Eltern gemalt, die Ludwig Emil Grimm 1814 als Radierungen gestochen hat. Ehefrau: Brendel Joseph Rinald (1747-1818).

Johann Baptist Lampi (31.12.1751-11.2.1830 Wien): Ging 1783 nach Wien, wurde dort 1785 Mitglied der Akademie und im Januar 1786 Professor der Historienmalerei. Ab 1788 in Warschau, dann Rumänien und St. Petersburg, 1797 zurück nach Wien. 1798 wurde er in den erblichen Ritterstand erhoben und 1799 zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt. Lampi ist einer der letzten Vertreter der höfisch-barocken Porträtmalerei mit hoher malerischer Qualität.

Johann August Nahl d.J. (1752-1825 Kassel): Nach langen Reisen 1793 zurück nach Kassel, erhielt dann eine Professur für Malerei an der Kunstakademie. Wenig Bildnisse, fast nur Historiengemälde und Landschaften.

Johann Christian Ruhl (1764-1842): ab 1791 Lehrer, ab 1829 Professor an der Kasseler Kunstakademie. Möbelentwürfe und Skulpturen für die Ausstattung des Wilhelmshöher Schlosses.

Ludovike Simanowiz (1759-1827): Erste Unterweisungen durch Nicola Guibal, dann zwei Jahre in Paris. Simanowiz hat den Sturm auf die Bastille begeistert miterlebt, 1789 nach Deutschland zurückgekehrt, aber 1791 wieder nach Paris gegangen. Im Sommer 1792 wegen der Revolutionswirren nach Ludwigsburg zurückgekehrt.

Anton Wilhelm Tischbein (1730-1804), auch "Hanauer Tischbein" genannt. 1769 als Hofmaler nach Hanau berufen, an der 1772 dort errichteten Academie der Zeichenkunst dann Mitglied und Lehrer.

Johann Friedrich August Tischbein (1750-1812), auch "Leipziger Tischbein" genannt. Ziemlich umtriebig in Europa. Gehört zu den bedeutendsten Vertretern der Künstlerfamilie Tischbein. Bekannter Porträtmaler. Schöne Sachen im Katalog.


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Gestaltet von Béla Hassforther. Letzte Änderung: 09.12.2003
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