Karl August Böttiger -
"Literarische Zustände und Zeitgenossen"
Karl August Böttiger (1760-1835), Gemälde von Tischbein
Die ersten Zitate habe ich abgetippt: da habe ich natürlich automatisch die Rechtschreibung etwas modernisiert (die Fassung der Handschrift kann man im Buch goutieren). Später habe ich nur noch gescannt: da bleibt die von Böttiger gewählte Rechtschreibung meist erhalten.
Interessante oder lustige Zitate
Nach einem Abendessen bei Wieland am 8.10.1791 wurde in hochkarätiger Runde
folgendes wichtige Thema ventiliert (S.30):
Auch über die Ursachen wurde gesprochen, warum man in hiesiger Gegend so wenig erträgliche Gesichter unter den Bauernmädchen fände. Wieland fand die vorzüglichste in dem vielen Kuchenfressen, da es jährlich wohl 8 Festtage gibt, wobei der Magen mit Kuchenteig vollgestopft wird. Goethe bemerkte, dass die hier überallgewöhnliche Sitte, jede Last auf dem Rücken zu schleppen, den Körperwuchs zerdrücke, und platte Physiognomien hervorbringe. ...
Unter der Überschrift "Weimarsches Geniewesen" bekommt beiläufig die folgende Gestalt ihr Fett ab (S.38):
Auch aus Frankreich kam vor 8 Jahren ein schöner Geist hierher, der bekannte Anse de Villoison. Er bewohnte Herzogliche Zimmer, überschwemmte einen jeden mit einer Flut von Worten, lernte in zwei Jahren, die er sich hier aufhielt, kein Wort Deutsch (worüber Wielanden mehr als einmal die Galle gewaltig überlief), ging aber dem ohngeachtet in die Kirche, und starrte den Prediger an, von dem er kein Wort verstand, und führte im Ganzen eine sehr cynische und unreinliche Lebensart. Da er alle philologischen Bücher, deren er habhaft werden konnte, zusammenkaufte und kistenweise nach Paris schickte: so war er, um im übrigen Ersparnisse zu machen, sehr geizig, vernachlässigte sich durchaus in seiner Kleidung und Wäsche, so dass er wie ein Wiedehopf roch, und jedes Glied immer einen anderen Gestank hatte. Da er den Weibern, die die Nachtstühle aus dem Schloße tragen, nichts geben wollte, so liessen ihm diese oft den ganzen Vorrat tagelang stehen. In diesem Fall pflegte er sich recht auch damit zu helfen, dass er seine Notdurft ex tempore ins Waschbecken verrichtet, und dies Depositum wohl den ganzen Tag lang für männiglich zur Schau da aufgeschüsselt da stehen ließ.
Sehr appetitlich. Die "Weiber" kann man nur bedauern. Vielleicht muß man aber auch uns bedauern: nur die wenigsten dürften ad hoc wissen, wie ein Wiedehopf aussieht, geschweige denn wie er riecht. Mit einigen Tatstatureingaben hat man zwar heutzutage eine große Enzyklopädie konsultiert (die selbstverständlich auf der Festplatte allzeit dienstbereit ist) und weiß dann, wie dieser seltsame Geselle aussieht - aber der Geruch bleibt unbekannt. Schade.
Am 12. November 1796 äußert sich Wieland über Merck und Goethe (S.42):
Merck war mit Goethen schon früh Kumpan und Lebebruder gewesen, ohngeachtet er etwa 6 Jahre älter war. Er hatte einst seine Frau in flagranti mit einem Liebhaber ergriffen, und zweifelte daher an der Echtheit seiner Kinder. Weil er sich nun selbst aktäonisiert wußte, bezweifelte er auch die Treue der übrigen Weiber, und streuete überall, wo er Eheglück fand, Samen der Zwietracht aus. Überhaupt fand er eine teuflische Lust darinnen, Leute, die sich glücklich fühlten, auf die linke Seite aufmerksam zu machen, und ihr Glück zu stören. Ihn hat daher auch Goethe zum Original des Mephistopheles in seinem Faust (dies ist Goethe selbst) genommen, und mehrere Szenen sind Anspielungen auf wirkliche Begebenheiten, die er mit Merck erlebt hatte, z.B. die Szene in Auerbachs Hof und das Liedchen vom Stroh. Schade nur, dass dieser Faust, so wie wir ihn jetzt in seinen Werken haben, ein aus frühern und spätern Arbeiten zusammengeflicktes Lappenwerk ist (so wie auch der Wilhelm Meister), und dass die interessantesten Wollustszenen (z.B. im Gefängnisse, wo Faust so wütend wird, dass er selbst den Mephistopheles erschreckt) unterdrückt worden sind.
Noch ein cynischer Sonderling wird erwähnt (interessant die Verwendung des Wortes). Ein Programmpunkt der Sitzung des Weimarer Gelehrtenvereins am 23.3.1792 war der Geheime Rat Bode mit seiner Übersetzung von Montaigne, aus der er einige Proben vorlas (S.66):
Es gehört gewiß sehr viel dazu, diesen alten launichten, aber oft sehr cynischen Sonderling schön und doch so zu übersetzen, dass der alte ehrwürdige Rost nicht ganz weggewischt wird.
(Und hier macht Böttiger selber eine Fußnote für den folgenden Text:) Das schwerste und unsauberste Kapitel im ganzen Montaigne ist gewiß das Über die Einbildungskraft. Bode laß uns jüngst die Übersetzung auf seiner Stube vor. Er hat sich meisterhaft geholfen. L'art de peter, die Kunst zu fo...n, hat er die Bauchrednerkunst, peter, die Orgelei des Afters übersetzt.
Klar, dass ein eigenes Kapitel von Goethe handelt. Hier zuerst die Beschreibung von Goethes "Häuslichkeit" um 1795 (S.67f.):
Nichts ist einfacher als seine jetzige Häuslichkeit. Abends sitzt er in einer wohlgeheizten Stube, eine weisse Fuhrmannsmütze auf dem Kopf, ein Moltumjäckchen und lange Flauschpantalons an, in nieder getretenen Pantoffeln und herabhängenden Strümpfen im Lehnstuhl, während sein kleiner Junge auf seinen Knieen schaukelt. In einem Winkel sitzt stillschweigend und meditierend der Maler Meyer, auf der anderen Seite die Donna Vulpia mit dem Strickstrumpf. Dies ist die Familiengruppe.
Allerliebst. Ganz klar, dass Goethe heute zuhause einen Jogginganzug tragen würde und für kleinere Gänge ins Freie eines der berüchtigten Ballonseidemodelle überziehen würde. Wer weiß: vielleicht sogar Männer-Leggins.
Goethe über Homer und die Menschheit... (S.68):
Beim erneuerten Studium Homers empfinde ich erst ganz, welches unnennbares Unheil der Jüdische und Christliche Praß uns zugefügt hat. Hätten wir die Sodomitereien und Ägyptisch-Babylonischen Grillen nie kennen lernen, und wäre Homer unsere Bibel geblieben! Welch eine ganz andere Gestalt würde die Menschheit dadurch gewonnen haben!
Zweifellos. Aber welche Gestalt? Nach der Lektüre von Christa Wolfs "Kassandra" überkommt einem ein Frösteln über diese "homerische Welt" (wo so viele Vorläufer der "Blonden Bestie" "nach Beute und Sieg lüstern" durch die Landschaft streiften). Und auf der anderen Seite: für den Kohelet würde ich die Illias hergeben (für die Odyssee allerdings nicht). Wie Arno Schmidt so nett in seiner "Julia" schrieb: "... man muß schon wählen zwischen Schnitzel und Koheleth ..." (Julia, S.66). Sicherlich hätten Arno Schmidt und Goethe Kohelet gewählt.
Man muß Herders "Briefe und Aufzeichnungen über eine Reise nach Italien" (ich habe die schöne Ausgabe aus dem Rütten & Loening Verlag, Berlin 1980, herausgegeben von Walter Dietze und Ernst Loeb, Titel: "Bloß für Dich geschrieben") gelesen haben, um bei folgenden Anmerkungen Böttigers Bescheid zu wissen:
Seine Reise nach Italien trat er in Gesellschaft des Barons v. Dalberg u. der Frau v. Seckendorf an. Letztere versicherte den H[of]R[ath] Schulz im Kissinger Bade, daß H[erder] auf der Reise bald auf Dalberg, der ihr schön that, eifersüchtig geworden wäre. Bald versuchte er es, seinen Nebenbuhler durch Witz und Händedrücken aus der Gunst der Donna zu heben. Da dieß [nicht] ging, wurde er unausstehlich knurrig und mislaunig, wollte bey jedem kleinen Unfall wieder nach Weimar zurück reisen, stellte sich im Wagen immer schlafend, und trennte sich endlich wirklich in Rom ganz von seinen Reisegefährten. (S.101/102)
Auch diese Stelle kann jeder Leser von Herder-Material bestätigen:
Er hat viel Herrschsüchtiges und einen grossen Egoismus, dem nichts gut dünkt, dem er nicht selbst das Siegel der Billigung aufgedrückt hat. (S.103)
Eine interessante Stelle zur Mutterliebe (oder zur Deutung der Mutterliebe) findet sich im Bericht über ein Treffen bei Herder im Dezember 1796, bei dem u.a. über ein Buch von Hißmann gesprochen wird:
Hißmann sagte, daß auch die Mutterliebe nichts natürliches, sondern bloß ein Trieb sich der Milch zu entledigen sey, u. daß die Mutter ihr Kind grade so liebe, wie ein gutes Stück Fleisch. (S.116)
Und in den Anmerkungen, in denen eine längere Stelle aus Hißmanns Buch zitiert wird, kommt es richtig drastisch:
In Hißmanns "Untersuchungen, über den Stand der Natur" heißt es: "Die mütterliche Pflege ist anfänglich nichts weniger, als eine Frucht ihrer Zuneigung zum gebornen Kind. Sie hängt es an ihre Brüste; weil der Stich der Muttermilch, der ihr den heftigsten Schmerz verursachte, durch das Saugen des Kindes nachläßt. Das Gefühl des Schönen müßte in der That bei den Müttern ganz abgestumpft; und ihr Geschmack müßte in einem ungewöhnlich hohen Grad verdorben seyn, wenn sie den häßlichsten unter allen Gegenständen der ganzen Schöpfung schön finden, oder sich gar in denselben verlieben könnten. Denn so wie der erwachsene Mensch, den die Natur übrigens nicht versäumt hat, das schönste unter allen schönen Objekten ist: ebenso ist, auf der andern Seite, ein ungebornes, oder ein ebengebornes menschliches Kind, das häßlichste unter allen Dingen. Widerlich, unangenehm und beleidigend sind die Eindrücke, die es auf jeden unsrer äußeren Sinne macht. Der Anblick desselben ist unaushaltbar; und man muß Mutter seyn, um es nur einen Augenblick sehn und hören zu können. [...] Aber den ungestalteten, unproportionierten, schwachen, unmündigen Säugling lieben, ist dem menschlichen Herzen ganz unmöglich; so unmöglich den Philosophen die Erklärung einer solchen Liebe seyn müßte." (S.455, Anmerkung zu S.116)
Im Folgenden bin ich ganz überrascht über die Charakteristik Kants - das hätte ich mir in den beiden sterbenslangweiligen Seminaren, die ich zu Kant besuchen mußte, nicht träumen lassen:
Als Herder Königsberg verließ, sprach Kant mit dem damaligen 19jährigen Jüngling u. ermahnte ihn, er solle doch nicht so viel über Bücher brüten, sondern vielmehr seinem Beispiel folgen. Er sei sehr gesellig und nur in der Welt könne man sich bilden. (Wirklich war damals Magister Kant der galanteste Mann von der Welt, trug bordirte Kleider, einen Postillon d'Amour, u. besuchte alle Cotterieen) (S.127)
Wieland (über dem nun ein langer Abschnitt des Buches handelt), hatte zu unrecht einen gewissen Ruf wegen einer angeblichen Schlüpfrigkeit seiner Schriften. Er selber sah das ganz anders:
So bald der Mensch nur ein Glied an seinem Leibe hat, dessen er sich schämen muß, hat er seine Unschuld verloren. Man tadelt es, daß nackte Figuren da aufgestellt werden, wo Mädchen im Hause sind. Hätte ich nur recht viel, ich wollte alle meine Zimmer davon anfüllen. Warum ziehn wir denn den Hunden und Ochsen nicht auch Hosen an? Der heiligste Naturtrieb ist durch Pfafferei entadelt und verschrien worden. Um dieser Bigoterie zu entgegnen habe ich solche Themen ausgemahlt, die ich absichtlich gegriffen habe, nicht daß sie mir, wie Schiller beliebt zu sagen, unglücklicherweise in die Hände gefallen wären. (S.172/173)
Wieland hat oft über seine eigenen Werke und sein Leben reflektiert. Ein interessantes Gespräch wird dem Thema gemäß sehr detailliert von Böttiger wiedergegeben:
Aber was ich sehr wünschte, wäre, daß jedermann das Wort zum Räthsel seines Lebens, die wenigen Hauptmaximen und das simulacrum, was ihn immer umschwebte, als Testament, niederschreiben möchte. So wie der Bildhauer zuerst auf den Marmorblock in wenigen Ausenlinien die Höhe und die Umrisse seines Bildes zeichnet: so hat gleichsam die Natur für einen jeden Menschen ein solches Maaß angegeben, das aber wenig Menschen nur durch die glücklichste Combinationen erreichen. Aber alle Menschen tragen dieß Urbild, diesen Maaßstab dunkel in sich herum und das Gefühl der Unzufriedenheit mit sich selbst, das dunkle Emporstreben zu etwas, was man gern seyn möchte, und nie werden kann, ist dieß unentwickelte Bewußtseyn jenes Simulacri. Dieß macht zugleich die geheimsten Wünsche des Menschen, die eigenlich nur ein König laut werden lassen darf. So dachte Friedrich Wilhelm I, des großen Friedrichs Vater, in seiner Morennatur als das höchste Ideal den Erbstatthalter, an dessen Hof er in früher Jugend geweßen war. Diesem ahmte er laut nach. Uebrigens war ein Oberster zu seyn, das höchste Maaß seiner Natur und noch auf seinem Todtenbette bat er seine Gemahlin, sich ja nicht unter den Rang eines Obersten zu verheirathen. Was dieser als König laut sagte, tragen 1000 Menschen verschlossen in ihrem Herzen. Ich selbst trage etwas in mir, das ich sehr wohl weiß, das ich nie erreichen werde, was mich unglücklich macht, daß ich es nie erreichen kann, und das ich nie sagen kann. Dieß ist mein Simulacrum. Dann sollte jeder Mensch bey seinem Tode geschrieben hinterlassen, was er eigentlich immer für Possen- oder Puppenspiel hielt, aber nie aus Furcht vor Verhältnissen laut dafür erklären durfte. Wir alle haben solche Lügen des Lebens um und an uns, und es müßte uns wohl thun, sie wenigstens dann auszuziehn, wenn wir den Todten kittel anziehn. (S.211/212)
Und Du, lieber Surfer: kennst Du all' Deine Hauptmaximen und heimlichen Triebfedern?
Ich habe mich in den Achtziger Jahren mal lange und intensiv mit der Kunst und dem Leben des Goethe-Tischbein (Johann Heinrich Wilhelm Tischbein) beschäftigt. Bei dieser Passage hatte ich daher sofort das wunderbare Porträt Bodmers vor Augen:
..., und fragt ob er nicht wisse, wo ein Bild vom Neapolitanischen Tischbein, Bodmers Kopf im hohen Greisenalter, hingekommen sei. Da habe der Greiß mit seinen dick straubigten Augenbrauen wie ein Mann vor der Sündflut ausgesehen. (S.239)
Johann Jakob Bodmer, gemalt von J.H.W.Tischbein 1781/1782
Über Erotik wird recht oft diskutiert, wenn die berühmten Männer von Weimar unter sich sind. So hier über den erotischen Witz:
Göthe äuserte gegen Wieland, daß die ursprünglich einzige vis comica in den Obscenitäten und den Anspielungen auf Geschlechtsverhältnisse liege, und von der Comödie gar nicht entfernt gedacht werden könne. Darum sei Aristophanes der Gott der alten Comödiendichter, sagt Wieland, und darum hätten wir eigentlich gar kein Lustspiel mehr. (Selbst die Comödie des Menanders hatte noch einzelne bons mots, die das Volk unendlich belustigten Lepus tute es, et pulpamentum quaeris. Ego illum vel sobrins. Quis heri Chrysidem habuit? u. s. w.) Es ist auch wahr, fuhr Wieland fort, daß selbst der strengste, ernsthafteste Mann, sobald er es unbemerkt thun darf, bei einem glücklichen Einfall aus dieser Fundgrube des Witzes, der den Bettler wie den König belustigt, seine Stirn entrunzelt, und daß diesem universellen Mittel aus Democritus Apotheke eigentlich kein Sterblicher widerstehen kann. (S.251)
Ein schönes Beispiel für die krasse Ausdrucksweise unserer Klassiker im intimeren Rahmen:
[Wieland über Unarten und Härten des Vossischen Hexameters:] Es sei abscheulich, daß ein solcher eigensinniger, bocksbeiniger, mit Hamburger Rindfleisch gestopfter Queerkopf durchaus der teutschen Sprache seine Gesetze aufdringen wolle, ... (S.251)
Hier bekommt dagegen Wieland sein Fett ab:
Mit Recht hat Göthe Wielanden die zierliche Jungfrau von Weimar genannt. Er ist kaum ein Viertel Mann. Dennoch ging alle seine Begeisterung eigentlich vom penis aus und daher kann er jetzt durchaus nicht mehr dichten. Daher die Sehnsucht nach seiner Frau. (S.255/256)
Wieland liefert ein schönes Beispiel für eine funktionierende Ehe. Seine Trauer nach dem Tod seiner Frau finde ich sehr rührend:
Ich habe eigentlich seit dem Tod meiner Frau alle Lebenslust verloren und der Glanz, den sonst die Sachen für mich hatten, ist auf immer verschwunden. Ich suche mich absichtlich zu zerstreuen, um mich über diesen mich beim Einschlafen und Erwachen begleitenden Verlust so gut es gehn will zu betäuben. Ich habe nie in meinem Leben etwas geliebt, als meine Frau. Wenn ich nur wußte, sie sei neben an im Zimmer, wenn sie nur zuweilen in mein Zimmer trat, ein paar Worte mit mir sprach u. dann wieder ging: so wars genug. Mein Schutzengel, der alles Widrige von mir abhielt und auf sich nahm, war da! Seit sie todt ist, gelingt mir auch keine Arbeit mehr recht nach Wunsch. (S.280)
Die folgende Passage über Auswüchse in der Genieperiode von Weimar ist erschreckend:
Bertuch war, als die Genieperiode grassirte, immer das Stichblatt des Spottes bey den Genies und dem Herzog, u. hieß (...) der Spießbürger. An eben dem Abend, wo er seine Frau zuerst nach Weimar in sein Logis gebracht hatte, erhielt er noch vom Herzog u. Göthe einen Besuch. Der Herzog debütirte damit, daß er gehört habe, er habe sich verteufelt spießbürgerisch eingerichtet, einen prächtigen Nachtstuhl machen lassen, und triebe großen Luxus. Er müsse doch also sehen, was daran sey. Sogleich fielen ihm ein paar neue schöne Spiegel ins Auge, die er mit seinem Hieber zertrümmern wollte, sich aber doch, als Bertuch vorstellte, daß er sie auf des Herzogs Unkosten noch einmal so kostbar anschaffen würde, zureden ließ, u. mit der Aeuserung abstand, daß man die Spiegel um der Frau willen lassen müsse, damit sich diese bespiegeln könne. Darauf hielt der Herzog Revision auf Bertuchs Schreibepult, fand einen Roman von Göchhausen, mit dem er so gleich eine Exekution vornahm, Blätter herausriß, u. herausbrannte, Taback hineinstreute, u. so die Bescheerung der Fräulein v. Göchhausen versiegelt unter Bertuchs Namen zuschickte. Endlich hieb u. stach er in die neuen Tapeten, weil dieß verflucht spießbürgerisch sei, daß man die nackten Wände überkleistern wollte. Die junge Ehefrau schlich sich, wie vom Donner gerührt, über diese Behandlung davon. Bertuch verbiß seinen Aerger, ward aber einige Tage darauf sterbenskrank. Als der Arzt von Todesgefahr sprach, kam der Herzog noch um Mitternacht um gleichsam Abbitte zu thun, u. Göthe ging mit Thränen aus der Kammer, u. drückte der tiefgekränkten Frau die hand mit den Worten: sie habe einen harten Anfang. (S.289/290)
Ich hätte mir die Hand von Goethe dann wohl nicht mehr drücken lassen...
Zum Erholen nochmal eine schöne Passage über Wielands Liebe zu seiner Frau:
... Indem Wieland mit ganzer Seele auf dieß Papier geheftet war, trat die Hofräthin [also Wielands Frau] in die Stube. Der Hofrath, der bei gewissen Unterbrechungen erschrecklich böse werden kann, fuhr mit der sichtbarsten Ungeduld auf und zeigte seinen Mismuth. Dagegen that seine Frau nichts, als daß sie sich ganz unbefangen lächelnd verbeugte, und wieder davon schlich. Welch eine edle Gattin haben Sie! rief Göschen mit Begeisterung. Blitzschnell fuhr W[ieland] von seinem Sitz auf und ergriff G[öschen] mit dem herzlichstem Händedruck. "Junger Mann, rief er mit einer Verklärung der Freude im Angesichte, daß Sie den Werth dieser Frau so schön erfassen und würdigen, macht Sie auf immer zu meinem Freunde. Und diese Freundschaft will ich Ihnen thätig beweisen, ... (S.305/306)
Der Anatom Ferdinand Justus Christian Loder, Professor in Jena, hatte natürlich wie alle Anatomen seiner Zeit seine private Präparatesammlung. Jede Sammlung hat ihre Prachtstücke, auch diese:
Wegen eines monströs großen penis in seiner Präparatensammlung hat er viel Angst ausgestanden. Er wußte diese Rarität bey einem angesehnen Bürger in Jena noch bey Lebzeiten des Besitzers zu entdecken, und brachte [es] durch Bestechung des Todtengräbers dahin, daß er dieß schöne Specimen noch aus dem Sarge rettete. Unglücklicher weise hatte die Frau des Verstorbnen Verdacht geschöpft, und verlangte nun vom Todtengräber, daß er ihr den Sarg noch einmal öffnen solle, weil sie sich nicht eher zufrieden geben könnte, als bis sie wisse, es sei mit dem Leichnam ihres Mannes nichts unrechtes vorgegangen. Als der Todtengräber keine Ohren dazu hatte, wandte sie sich an den Stadtrat, u. verlangte von diesem die Erlaubniß, und nur durch strenge und standhafte Verweigerung konnte man es dahin bringen, daß sie sich zwar nicht beruhigte, aber doch nichts zu unternehmen wagte.
Sein Portefeuille ist seine Rocktasche, in der er alle alten Briefe, die noch zu beantworten sind, oft Monate lang mit sich herumträgt. (.S319/320)
Nun eine Super-Charakteristik von Johannes von Müller zu Sylveden. Arno Schmidt hat über Johannes von Müller einen seiner Funk-Dialoge geschrieben.
Charakteristik. In einem kleinen Körper viel Kraft u. natürlicher Anstand. Einnehmend, offene Gesichtszüge, eine fürgewölbte Stirn und eine liebliche Freundlichkeit um die Lippen. Im (übrigens sehr blödsichtigen) Auge ein leckendes Feuer voll verfeinerter Genußbegierde. Ein unerschöpflicher Fond von Schweizer Biederherzigkeit und Gutmüthigkeit, verbunden mit einem hohen Enthusiasmus für alles Große, Edle, Menschen würdige. Griechische Seelen- und Schönheitsliebe. Unbegränzte und wahre Dienstfertigkeit. Völlige Entfernung von jeder schmutzigen Habsucht und Liebe zum Geld. Großherzige Aufopferung für Freunde. Ein äuserst treues u. alumfassendes Gedächtniß, das durch keine Excerpten gelähmt oder eingeschläfert wurde. Ein treffender synchronistischer Ueberblick. Viel Weichheit und daher einige Veränderlichkeit in politischen Glaubensartikeln. (S.324)
Und wie arbeitet Johannes von Müller?
... Dann geht es an die Ausarbeitung der Universalgeschichte, wozu er schon seit 24 Jahren alles vorbereitet. Sie soll in 30 Büchern alle Hauptepochen der Geschichte enthalten. Dazu hat er 30 große Collectaneensammlungen, wohin er alle seine Excerpte u. Lesefrüchte einträgt. Kömmt es nun zur Ausarbeitung der Geschichte selbst: so durchdringt er sich auf einmal durch die Lectüre aller dieser Collektaneen mit dem Geist der ganzen Epoche und dann schreibt er ohn alle Citate seine Abschnitte bloß nach der innern Intuition, die das Product aller jener unermeßlichen Sammlung ist. Er verzichtet dabei auf alle (höchstlächerliche) ethnographische Volständigkeit. Jede Periode enthält nur ein Hauptvolk, ein Hauptfactum, einen Universalmenschen, um welche sich dann alles crystallisirt u. ansetzt. (S.327/328)
Ein ansehnlicher Teil des Buches handelt von Anne Louise Germaine de Staël-Holstein, u.a. Verfasserin des einflußreichen Werkes "De l'allemagne". Böttiger ist offenbar fasziniert von dieser Frau, die zu Beginn ihres Aufenthalts in Weimar zunächst reserviert behandelt wurde, oder - wie Böttiger etwas ironisch formuliert:
Die Frau v. Staël hatte in der Meinung der Menschen, die hier überhaupt eine Meinung haben, mehr gegen als für sich, als sie hier auftrat (zu Ende Decembers 1803). Sie wäre, hieß es, von Bonaparte aus Paris verbannt, und als eine intriguante Parteiführerin anzusehn; sie sei ein Mannweib und befinde sich nur im Kreise der Männer wohl, weil sie zu häßlich sei, um durch den Gürtel der Venus zu erobern, wolle sie durch Witz und Gelehrsamkeit glänzen u.s.w. (S.347)
Eine schöne Stelle zur Philosophie Kants und überhaupt ein wichtiger Satz:
Sie [Frau von Staël] liebe die Kantische Philosophie um der Moral willen. Wenn der Alte in Königsberg auch weiter nichts gesagt hätte, als daß der Mensch stets Zweck sei, nie als Mittel gebraucht werden dürfe: so sei dieß schon eine Ehrensäule werth. (S.357)
Hier hat sie vollkommen recht:
..., auch konnte sie gar nicht begreifen, wie die hiesigen Weimarischen Gelehrten mit so geringen Mitteln und Gehalte auskommen könnten. Sehr oft kam sie auf die Idee zurück, daß doch der Herzog statt des prächtigen Schlosses sich mit einer bloß anständigen Fürstenwohnung begnügt und die hundert Tausende, die die Erbauung und Ausschmückung dieses Schlosses gekostet haben müsse, auf Pensionen und kleine Belohnungen ausgezeichneter Männer in der Literatur u. in den Wissenschaften gewandt haben mögte. Welche Eroberungen hat da nicht ein Fürst wie der unsrige, dessen gleichen sie nirgends weiter angetroffen habe, bei der Gnügsamkeit deutscher Gelehrter machen können. (S.365)
Zum guten Schluß eine ganz unklare Stelle aus einem eingeschobenen Abschnitt über Benjamin Constant, dem Begleiter der Staël: Was war da bloß los in Bern??
In seinem 18 Jahr war er in Bern, wo damals 200 Jünglinge die Päderastie trieben u. deßwegen verbannt wurden. Dieß rettete ihn. (S. 392)
Der kritisch zuschauende Böttiger...
Karl August Böttiger - "Literarische Zustände und Zeitgenossen"
Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar
Herausgegeben von Klaus Gerlach und René Sternke
Aufbau Verlag, 1998
ISBN 3-351-02829-6
Gestaltet von
Béla Hassforther.
Letzte Änderung: 06.10.2003
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