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Veränderlichenbeobachtung mit Stardial

Dieser Text ist die leicht veränderte und um Neuentdeckungen erweiterte Fassung des Vortrags, den ich im Mai 1999 in Hartha gehalten habe. Was ich dort zwischen den Zeilen (oder eher Sätzen) ziemlich penetrant zum Ausdruck bringen wollte und hoffentlich auch konnte, möchte ich hier ganz explizit als Kernaussage an den Anfang stellen: mit Stardial hat jeder die Möglichkeit, an "modernen" Formen amateurastronomischer Betätigung (CCD-Kameras, Bildverarbeitung) teilzuhaben, ohne finanziell mehr investieren zu müssen als in einen Feldstecher oder in ein billiges Kaufhausfernrohr!

Was ist Stardial?

Stardial ist ein Projekt der Professoren Peter McCullough und James Kaler für den Astronomieunterricht. Aufgabe ist das regelmäßige Erstellen von Aufnahmen des Sternhimmels und das quasi sofortige Verfügbarmachen der Aufnahmen über das Internet. Das Angebot richtet sich vornehmlich an Schüler und Studenten (und an Lehrkräfte, die angeregt werden, Projekte mit dem zur Verfügung gestellten Material durchzuführen), natürlich aber auch an alle anderen astronomisch Interessierten.

Ort des Geschehens ist das Dach des Astronomischen Instituts der Universität von Illinois in Urbana-Champaign, circa 200 km südlich von Chicago (wenn man so will könnte man auch das Internet als "Ort" dazuzählen). Auf diesem Dach steht ein unscheinbarer kleiner Holzkasten, darin eine CCD-Kamera (KAF-400-Chip) mit einem ganz gewöhnlichen Fotoobjektiv mit 50mm Brennweite und Rotfilter - keine Montierung, kein Motor! Verbunden ist die Kamera mit einem betagten Steuer-PC im Gebäude, die fertig verarbeiteten Bilder stehen dann schließlich auf einer UNIX-Workstation zum Abruf bereit.

Die Kamera ist feststehend und fotografiert das Sternfeld, welches gerade im Süden in der Deklinationszone 0 bis -8 Grad vorbeizieht. Die Ausleseelektronik arbeitet im sogenannten TDI-Mode, das Auslesen geschieht also mit der Geschwindigkeit, mit der die Sterne auf dem Chip von einer Seite zur anderen wandern. Die Belichtungszeit ist damit auf die Zeitspanne begrenzt, die ein Stern benötigt, die Chipausdehnung zu durchwandern, maximal etwa 2 Minuten. Das ganze Technische Drumherum ist sehr interessant, soll hier aber nicht näher erläutert werden. Interessierte sollten unbedingt die Homepage von Stardial besuchen, ein schöner Artikel von Uli Bastian stellt Stardial in SuW 8-9/1998 vor, und genaueres zum TDI-Mode findet man in P.Martinez / A.Klotz "A Practical Guide to CCD Astronomy".

Das ganze Projekt hat an Hardware nur 7755 Dollar gekostet, ein Schnäppchen also. Deswegen sollte vor allem das persönliche Engagement der Initiatoren gewürdigt werden, besonders von Peter McCullough, der sich immer wieder hilfsbereit um Interessierte kümmert - wie fast immer macht nicht die Hardware den Erfolg, sondern der Mensch. Sicher ist Stardial nicht das optimale Himmelsüberwachungssystem, aber es funktioniert.

Wie kommt man an die Stardial-Aufnahmen?

Schlicht und einfach über das Internet:

http://www.astro.uiuc.edu/stardial/ oder ftp://ftp.astro.uiuc.edu

Die Organisation der Dateien ist durchdacht und deckt alle Wünsche ab: man kann nach Datum vorgehen, nach Rektaszensionszone, nach Dateiformat (FITS oder JPG). JPGs kann man sofort in einem Browser betrachten, die FITS-Dateien lädt man sich am besten mit einem FTP-Programm herunter.

Technisches zu den Stardial-Aufnahmen

Stardial wendet sich nicht nur an Photometrieinteressierte, sondern hat ganz verschiedene Zielgruppen, daher gehen einige Kompromisse in die Bildaufbereitung ein, die man zumindest oberflächlich kennen sollte, um die erreichbare Genauigkeit abschätzen zu können.

Aufnahmeprozedur (PC):

Bildaufbereitung auf der UNIX-Workstation

Die Bildaufbereitung hat das Ziel, ein für den durchschnittlichen Schüler bzw Amateur ansprechendes Bild zu erzeugen, z.B. soll kein Gradient für die unterschiedliche Horizonthöhe des abgebildeten Feldes sichtbar sein (der wäre sonst sehr auffallend), der Himmelshintergrund soll keine störenden Ungleichmäßigkeiten zeigen (Dunst, kleine Wolken) usw. Ein fotometrisch arbeitender Amateur wird hier wohl schon aufschreien, aber diese Gruppe ist eben nur eine der denkbaren Interessenten. Durch Experimentieren wurde innerhalb eines Stardial-internen Projekts ein Verfahren erarbeitet und seitdem auf alle Aufnahmen angewendet. Die Grundlage der Bildbearbeitung bilden folgende vier Dateien:

Die letzte Datei ist nötig, weil zum Ausgleich des Gradienten und von Durchsichtsungleichheiten der Median smooth(c) von der dunkelkalibrierten Aufnahme c abgezogen wird. Danach wären allerdings keine flächenhaften Objekte mehr übrig, weswegen diese wiederum künstlich mit der Datei i beigesteuert werden.

Das fertige Bild wird dann mit folgender Rechnung erzeugt:

fertiges Bild = m ( c - smooth( c ) + i - r ) + b

Dabei ist m ein Skalierungsfaktor wegen der unterschiedlich langen Belichtungszeit und b eine Konstante, um im Ergebnis nur positive Pixelwerte zu haben.

Die fertige Datei wird dann in zwei Formaten abgespeichert und zur Verfügung gestellt:

Aus dem Genannten zur Aufnahmeprozedur, Bildaufbereitung und zu den Dateiformaten wird klar, dass man keine Aufnahmen erwarten kann, mit denen man Photometrie auf eine Hundertstel Größenklasse Genauigkeit betreiben kann. Der typische Fehler einer Einzelmessung beträgt 0,05 bis 0,07 Größenklassen, wenn man die dekomprimierten FITS-Dateien verwendet, immerhin wesentlich genauer als ein durchschnittlicher visueller Beobachter. Auf den JPG-Aufnahmen kann man mit 0,1 Größenklasse Fehler rechnen, auch das ist je nach Beobachtungsprogramm in Ordnung. Natürlich kann McCullough auf den noch nicht komprimierten Original-FITS-Dateien eine höhere Genauigkeit erzielen, wir dagegen zahlen den Preis der gegenwärtig geringen Übertragungsbandbreiten.

Wie kann man die Aufnahmen auswerten?

Zur Auswertung der Aufnahmen kommen vollkommen unterschiedliche Verfahren in Frage:

Anzeigeprogramme (JPG-Aufnahmen)

In jedem Bildverarbeitungsprogramm und in jedem Browser (sinnvollerweise natürlich offline) können die JPG-Aufnahmen dargestellt werden, Auswertemöglichkeiten sind:

Photometrieprogramme (wenn möglich FITS-Format)

Getreu meiner Absicht, Stardial als Komplement zu einem Feldstecher oder Kaufhausfernrohr darzustellen zunächst einige kostenlose leicht im Web zu findende Software:

Keine praktische Erfahrung (außer Reinschnuppern) habe ich mit DAOPHOT II für PCs und mit den ATFTOOLS der Universität Iowa. Kostenlos ist auch vieles der unter LINUX lauffähigen Profisoftware (MIDAS, IRAF etc), aber damit habe ich auch noch keine praktischen Erfahrungen.

Welche Veränderlichentypen sind geeignet?

Es kamen schon einige der Stardial-Besonderheiten zur Sprache, als da wären:

Damit bietet sich Stardial besonders zur Beobachtung von Halbregelmäßigen und Mirasternen an, weniger gut zur Beobachtung von kurzperiodischen Veränderlichen. Für tiefrote Kohlenstoffsterne ist Stardial ausgezeichnet geeignet. Optimal ist Stardial auch zur Novasuche und zum Suchen nach neuen Veränderlichen.

Beispiele und Ergebnisse

Die folgenden Beispiele sollen nicht das Optimum zeigen, was machbar ist, sondern das, was man mit durchschnittlichem Einsatz mit verschiedenen Verfahren erwarten kann. Es sind Demo-Lichtkurven, keine Auswertungen.

Stufenschätzungen auf JPG-Dateien (V453 Oph)

Diese Methode ist mit jeder Bildverarbeitung möglich. Genauso, wie man mit Fotos verfahren würde, wählt man sich einige Vergleichssterne aus, ermittelt aus den Schätzreihen die Stufenabstände, und stellt als Ergebnis die Lichtkurve in Stufenhelligkeiten oder - wenn man die Helligkeiten der Vergleichssterne aus Katalogen ermitteln kann - in normalen Größenklassen dar. Mein Beispiel ist der RV-Tau-Stern V453 Oph:

Lichtkurve von V453 Oph

Beispiel 1) Auswertung von V453 Oph auf JPG-Aufnahmen

Die Methode ist vollkommen ausreichend, um die Eigentümlichkeiten eines Lichtwechsels wiederzugeben, dessen Amplitude nicht größer als eine Größenklasse ist (allerdings habe ich mir beim Schätzen hier große Mühe gegeben). Deutlich wird aber auch, dass Stardial durch die starre Ausrichtung nach Süden nur recht kurze Beobachtungszeiträume pro Feld hat, abhängig von der Rektaszension kaum mehr als 150 Tage.

Photometrie mit WINMIPS, pro Datenpunkt eine Messung (RU Sct)

Zur Demonstration einer kleinen Unannehmlichkeit bei WINMIPS ist die folgende Lichtkurve absichtlich verrauscht. Obwohl die Photometrie-Funktion ausgezeichnete Ergebnisse liefert, muß man aufpassen wo man mißt: WINMIPS mißt nämlich genau dort, wo man die Blenden plaziert. Ist hier nicht das photometrische Zentrum des Sterns, wird die Messung eben nicht ganz genau. In der Praxis muß man also jeden Stern mehrfach messen, um einen Mittelwert bilden zu können. MIRA dagegen hat eine frei einstellbare Auto-Center-Funktion: man clickt so ungefähr auf einen Stern, und die Software ermittelt sofort das exakte Zentrum auf Bruchteile eines Pixels genau und mißt dann die Sternhelligkeit. Das ist sehr bequem und war für mich mit ausschlaggebend für den Erwerb dieser Software.

reduzierte Lichtkurve von RU Sct

Beispiel 2) Auswertung von RU Sct mit WINMIPS auf FITS-Dateien

Die vielen Ausreißer sind sehr auffallend, es muß aber betont werden, dass die Lichtkurve bei Mehrfachmessungen besser ausfällt. Der Zeitaufwand ist dann natürlich wesentlich höher. Dennoch ist auch oben schon der Cepheiden-Lichtwechsel wunderschön zu erkennen. Die einzelnen Messungen von 1996 bis 1998 wurden mit der Periode 19,70062 Tagen auf einen mittleren Zeitraum reduziert.

Photometrie mit MIRA (AR Mon)

Um auch einen Bedeckungsveränderlichen zu zeigen und um die Qualitäten von MIRA zu demonstrieren das folgende Beispiel:

reduzierte Lichtkurve von AR Mon

Beispiel 3) Auswertung von AR Mon mit MIRA AP 5.0 auf FITS-Dateien

Für diese Lichtkurve wurden alle Einzelmessungen von 1997 bis 1999 mit der Periode 21,20911 Tagen auf einen gemeinsamen mittleren Zeitraum reduziert. Der Bedeckungslichtwechsel wird wunderbar wiedergegeben, nur ein deutlicher Ausreißer stört, und auch der könnte sich durch eine von mir übersehene "anti-photometrische" Korrektur zum Beispiel einer kleinen Wolke erklären lassen. Normalerweise berücksichtige ich keine Aufnahmen, die zu offensichtlich "schöngerechnet" sind. Schon auf dieser Demo-Lichtkurve läßt sich erkennen, dass AR Mon ein Minimum bei etwa 2450762,25 hat und sicher nicht bei 2450763,584 (laut den Elementen des GCVS). So nebenbei haben wir also ein erhebliches B-R bei einem langperiodischen Bedeckungsveränderlichen festgestellt.

Suche nach neuen Veränderlichen

Dank seiner spektralen Empfindlichkeit kann man mit Stardial auf die Suche nach neuen Veränderlichen gehen, ohne Sorge tragen zu müssen, dass einem Hipparcos schon alles vor der Nase weggeschnappt hat: wir arbeiten schließlich im nahen Infrarot. Um einige Erfahrungen zu sammeln habe ich mit zunächst nur vier Aufnahmen in einer normalen Bildverarbeitung versucht, was so alles zu finden ist. Das Ergebnis: ca 40 Sterne habe ich nach dem ersten Durchgang von ca 2 Stunden Aufwand auf einem Ausdruck markiert, von denen sich natürlich die meisten als schon bekannt herausgestellt haben (den ersten Check mache ich mit GUIDE 7.0). Fast alle bekannten Mira- und SR-Sterne des Feldes lassen sich ohne Probleme neu entdecken. Zehn Sterne haben sich als noch unbekannte Veränderliche herausgestellt, das heißt: sie tauchen nicht im GCVS auf (wobei schon die bekannte Positionsungenauigkeit des GCVS berücksichtigt ist: einen Positionsfehler von bis zu 5 Bogenminuten betrachte ich als noch GCVS-normal), nicht im NSV, und eine Recherche in SIMBAD und ADS ergibt kein Resultat. Die meisten Sterne sind im IRAS-Katalog zu finden, das ist aber kein Veränderlichenkatalog. Für einen neuen Mira-Stern habe ich mit Uli Bastian einen Aufsatz für das IBVS verfaßt.

Zum großen Teil sind die Funde tiefrote Halbregelmäßige oder Mira-Sterne, die visuell etwa die 13. Größenklasse im Maximum erreichen, im Helligkeitsbereich von Stardial aber teilweise bis zu vier Größenklassen heller erscheinen. Bei einer Nachsuche mit der Animationsfunktion von MIRA konnte ich die Zahl der Kandidaten im selben Feld auf 20 erhöhen. Bei dieser Ausbeute ist es klar, dass die Arbeit nicht im Finden besteht, sondern im Auswerten: ca 150 bisher schon vorhandene Aufnahmen pro Feld wollen bearbeitet sein, das kann pro Stern locker vier Stunden dauern. Bisher habe ich das nur für vier Sterne geschafft. Ein typischer neu gefundener Halbregelmäßiger ist z.B. IRAS 19116-0310:

Lichtkurve von HassfortherV22

Beispiel 4) ein neu entdeckter Halbregelmäßiger: HassfortherV22 = IRAS 19116-0310

Gezeigt wird nur der Ausschnitt von 1997 und 1998: offensichtlich hat der Stern eine Periode von ca 75 Tagen, der sich eine längere Variation von ungefähr zwei Jahren überlagert: für weitere Aussagen zum längerperiodischen Lichtwechsel ist der bisher verfügbare Zeitraum natürlich zu kurz. Obwohl die Amplitude klein erscheint (ca 0,25 bis 0,3 mag für die 75-Tages-Variation im I-Bereich) ist dieser Stern auf den Aufnahmen leicht zu entdecken. Im Blauen könnte man eine Amplitude von ca 1 mag erwarten, bei einer Helligkeit von allerdings nur etwa 14 mag.

Es gibt ein erheblich ambitionierteres Parallelprojekt zu Stardial, THE AMATEUR SKY SURVEY (TASS) - natürlich auch im Web -, was allerdings etwas an dem höheren Anspruch (das kann kontraproduktiv sein) und der "Bastler"-Natur der Teilnehmer krankt und deswegen nur langsam vorankommt. Dabei wird fast der gleiche Deklinationsbereich ebenfalls mit dem TDI-Verfahren abgegrast, doch mit 135 mm Brennweite in mehreren Farbbereichen. Bisher kamen immerhin einige Neuentdeckungen zusammen und ein Katalog mit einigen hunderttausen Sternen, wobei für jeden Stern die Einzelmessungen verfügbar sind (Fotos werden nicht bereitgestellt). Fast alle meine Sterne finden sich in dieser Datensammlung, nur eben noch nicht herausgefischt, für mich aber eine willkommene Möglichkeit, durch genauere Parallelbeobachtungen meine Funde zu bestätigen und Helligkeitsangaben in V und I (teilweise auch in R) zu bekommen. Weitere Informationen zu neuen Sternen bietet der USNO-A2.0-Katalog, der B- und R-Helligkeiten von 526.280.881 Sternen verzeichnet (meist auf der Grundlage des POSS, geeicht mit Tycho). IRAS 19116-0310 hat darin die Helligkeiten 11,5 R und 14,1 B, im Visuellen laut GSC 12,5 (SERC V).

Was wäre der nächste Schritt?

Stardial ist von vornherein als ein Projekt konzipiert, welches von der Kreativität und dem Engagement der Nutzer lebt. Ganz offensichtlich ist die Schwachstelle gegenwärtig die Software. Es sollte nicht sein, dass man einen Veränderlichen einen ganzen Abend lang mühsam über 150 bis 200 Aufnahmen verfolgt, denn es ist Software verfügbar, die alle Sterne einer Aufnahme automatisch messen und in eine Datei schreiben kann (das TASS-Projekt macht das ja mit seinen Aufnahmen auch). Eine Frage oder Anregung also an die BAV-ler, die schon mit MIDAS oder IRAF arbeiten: wer beschreibt, wie man MIDAS installiert und ohne großen Aufwand auf die Stardial-Aufnahmen losläßt?

Schluß

Ich hoffe mit diesem Aufsatz gezeigt zu haben, dass die Veränderlichenbeobachtung zum Glück immer noch nicht darauf angewiesen ist, sich ein Instrumentarium im Wert von knapp 10000 DM beschaffen zu müssen. Mit den frei verfügbaren Aufnahmen und einem für knapp 300 DM gebraucht zu erhaltenden PC incl. Monitor läßt sich all das nachvollziehen, was oben vorgeführt worden ist.


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Gestaltet von Béla Hassforther. Letzte Änderung: 13.02.2003
Adresse dieser Seite: http://www.bela1996.de/astronomy/sd/sd1.html