Ein Ziel dieses Aufsatzes ist die Rekonstruktion des Lichtwechsels im genannten Zeitraum, verbunden mit ersten Auswertungen. Daneben sollen aber auch Probleme bei der Untersuchung derartiger Sterne genannt werden, sowie provokativ nach dem Sinn von abgeleiteten Ergebnissen bei Halbregelmäßigen gefragt werden.
Ältere Bearbeitungen von AF Cyg haben meist das Ziel, Elementsysteme abzuleiten. Dabei wird nach unterschiedlichen Methoden vorgegangen:
Eine Möglichkeit besteht darin, lineare Elemente abzuleiten. Dabei wird nach einer oder mehreren Perioden gesucht, die über den ganzen Beobachtungszeitraum hindurch gültig sind. Der GCVS bietet lineare Elemente, da sie nicht auf einen Zeitraum eingegrenzt sind, ältere Beispiele gibt es von D.J.O'Connell und M.W.Mayall, sowie in der ersten Bearbeitung der GuL von 1920.
Die nächste Möglichkeit besteht in der Herleitung von
Elementen mit periodischen Zusatzgliedern, ein Verfahren,
welches bis vor einigen Jahrzehnten noch verbreitet war, aber
inzwischen zumindest bei SR-Sternen keine Rolle mehr spielt. Es
gelang zwar, einen Lichtwechsel im Nachhinein zu beschreiben,
aber Vorhersagen ließen sich damit nie machen. Als Beispiel
seien Elemente von Vorontsov-Velyaminov von 1928 gezeigt:
Max = 2419070 + 88,59d·E + 80d·sin(7,2·E21,6)
Die dritte Möglichkeit besteht darin, instantane Elemente abzuleiten, also Elemente, die nur für einen klar abgegrenzten Zeitraum gültig sind. Ein ebenfalls in der GuL von 1936 (s.o.) referiertes Beispiel ist von Kopal, der zunächst das Versagen der instantanen Elemente konstatiert und dann von der Beobachtung ausgeht, daß ein deutlich ausgeprägter Wechsel zwischen tiefen und flachen Minima vorhanden ist. Für drei Zeitabschnitte werden dann erstmals instantane Elemente bestimmt, wobei sich die Perioden für die Hauptminima zwischen 182,4 und 190 Tagen bewegen. In seiner Bearbeitung für den BAV-Rundbrief nimmt Klaus-Peter Timm den Ansatz von Kopal wieder auf und kommt für den Zeitraum 1950 - 1976 zu den Elementen: Hauptmin. = 2433582 + 170,5d E. Eine neuere Bearbeitung mit instantanen Elementen für den hier zur Betrachtung stehenden Zeitraum kommt auf folgende Elementsysteme:
Zeitraum: gültige Elemente: 2444885 - 5280 Max = 2445073.5 + 89.3·(E + 7) 2445280 - 6205 Max = 2445691.2 + 163.7·(E + 2) 2446205 - 7195 Max = 2446678.1 + 92.7·(E - 6)
Zuletzt noch einige kritsche Anmerkungen zu den referierten Ansätzen: i.P. bei allen Autoren ist es üblich, das Material so hinzubiegen, daß es den eigenen Ableitungen genügt. Bei linearen Elementen werden Abweichungen von mehr als einer Periodenlänge toleriert, bei instantanen Elementen wird, wo es praktisch erscheint, die Epochenzählung so angepaßt, daß sie die Beobachtungen zwar darstellt, aber im Gegenzug wird darauf verzichtet, die Epochenzählung fortlaufend zu haben (z.B. folgt in einem gut durchbeobachteten Kurvenstück bei Mayall auf das Maximum mit der Epoche 117 sofort das Maximum der Epoche 120, dann das Maximum 122). Auch Timm muß für seine Elemente mit Phasenverschiebungen etc. arbeiten. Eine Rekonstruktion des Lichtwechsels in der Vergangenheit mit solchen Elementen scheitert sofort daran, nicht zu wissen, welche Epochen man wegzulassen oder zu verschieben hat.
Moderne Untersuchungen gehen von den puren Messungen oder von normalisierten Lichtkurven aus und lassen ein Periodensuchprogramm über das Material laufen. Diese Methode soll auch hier angewandt werden, zunächst soll aber die Lichtkurve aus 10-Tages-Mitteln rekonstruiert werden.
In dieser Bearbeitung ist folgendes Beobachtungsmaterial berücksichtigt:
Nach der Sicherstellung, daß die drei Einzelschätzungsquellen unabhängige Bestände bilden, wurden die Daten in einer Datei gesammelt. Ein erster Plot diente dazu, einige wenige Ausreißer zu eliminieren (wobei es sich wahrscheinlich um Eingabefehler der AFOEV handelte). Anschließend wurden 10-Tages-Mittel errechnet, und zwar um die Kurven etwas dichter zu besetzen zweimal: dafür wurde für den zweiten Rechenlauf der Startwert um 5 Tage versetzt. Während zu Beginn des Zeitraums die Mittelwerte aus durchschnittlich nur etwa 7 Einzelwerten ermittelt sind, bestehen die Werte zu Ende des Zeitraums aus durchschnittlich 15 bis 20 Einzelschätzungen, sind also vertrauenswürdig.
Die folgende Darstellung (Abb. 1) des gesamten Zeitraums zeigt schon einige Besonderheiten von AF Cyg. Zunächst die stark variierende Amplitude: pulsierte AF Cyg Anfang der achtziger Jahre mit einer Amplitude von durchschnittlich 1,3m bis 1,5m (und bis zu 2m), kommen andererseits auch Phasen vor, bei denen fast kein Lichtwechsel zu erkennen ist, wie z.B. nach dem plötzlichen Helligkeitsabfall um JD 24448620, oder Phasen mit Amplituden von etwa 0,7m bis 1,0m. Die mittlere Helligkeit ist langfristig konstant, kann aber plötzlich für Jahre reduziert sein bei gleichzeitig reduzierter Amplitude und nur allmählich zum alten Niveau zurückfinden: in dieser Phase ist AF Cyg heute noch. Zumindest auf den ersten Blick ist keine Periode in der Größenordnung von 1000 Tagen zu erkennen.
Geradezu abrupt wechelt AF Cyg dann in einen Modus, der aus annähernd regelmäßigen Schwingungen mit einer Amplitude von 0,5m bis 1,0m besteht, wobei am Anfang (gegen 46100) wie am Ende des Zeitraums (47200) die Amplitude kleiner ist. Ob die Einsenkung bei 47240 reell ist oder eine Folge der hier knapper gesäten Beobachtungen läßt sich leider nicht beantworten.
Wieder wird die Amplitude größer (bis zu 1,5m Amplitude), wobei sie vergleichbar einer Schwebung bis 47700 zunimmt und dann wiederum bis 48100 abnimmt. Die nächste Phase (bis 48650) ist gut mit Beobachtungen besetzt, und so kann das kleine Zwischenmaximum bei 48490 (vgl. Abb. 6) als sicher betrachtet werden. Nur 30 Tage beträgt die Dauer dieses Maximums!
Um 48620 sackt AF Cyg plötzlich um ca 1,3m ab, um dann nahezu 200 Tage bei geringen und uneindeutigen Fluktuationen bis zum Wiedereinsetzen des Lichtwechsels (ca. 48940) bei ca 7,7m zu verharren.
Der folgende Lichtwechsel wirkt bis heute "gestört": teils kommen Abschnitte mit einer Periode um 90 Tagen vor, teils folgen zwei kurze flache Maxima schnell hintereinander (49225 und 49255, eine sehr dicht mit Beobachtungen besetzte Phase). Dann setzt bei 49800 ein langer, nahezu linearer Anstieg bis 49940 ein und macht einen Trend hin zu den ausgeprägten Hauptminima vom Beginn des Untersuchungszeitraums offensichtlich, der sich dann bis zur Gegenwart noch verstärkt.
Ein Periodensuchprogramm über die 10-Tages-Mittel ergibt folgendes Ergebnis (die Ordinate gibt die einer Frequenz zugeordnete "Wahrscheinlichkeit"), die Periode in Tagen ergibt sich aus dem Kehrwert der Frequenz:
93,55 O'Connell / Mayall (94,1), Andronov / Chernyshova (92,7) 163,6 Andronov / Chernyshova (163,7) 168,7 Timm (170,5) 88,5 Vorontsov-Velyaminov (88,59), Andronov / Chernyshova (89,3)
Nicht direkt Thema dieses Aufsatzes aber als Vorgriff interessant ist eine vorläufige Periodenanalyse des Zeitraums 2425000 bis 2450300:
Ziel der BAV ist von Anfang an, zu abgeleiteten Ergebnissen zu kommen, sprich: Minima und Maxima zu bestimmen. Das hat bei den meisten Veränderlichenarten seine Berechtigung, allerdings ist die Anwendbarkeit dieser Auswertungsmethode bei Halbregelmäßigen (oder gar bei Unregelmäßigen) zu prüfen. Für AF Cyg liegt wie erwähnt beispielhaft viel BAV-Material vor, für den Zeitraum 44000 bis 50100 insgesamt 161 Ergebnisse, damit ist dieser Stern ein geeignetes Beispiel, die Bedeutung von Max-/Min-Bestimmungen zu prüfen.
Die Liste der BAV-Ergebnisse wurde implizit geprüft, da es häufig möglich war, einem Maximum oder Minimum mehrere Ergebnisse zuzuordnen; auch die Abfolge der Ergebnisse bot eine Prüfmöglichkeit. Die zweite Plausibilisierung bestand in einem Vergleich mit der Lichtkurve aus den abgeleiteten 10-Tages-Mitteln. Aufgrund aller dieser Prüfungen mußten zunächst sieben Ergebnisse (vorläufig) ausgeschieden werden, teils aufgrund von Widersprüchen mit anderen Ergebnissen oder der Lichtkurve, teils wegen nicht tolerierbarer Abweichungen (> 20 Tage) o.ä.!
Von den verbleibenden 154 Ergebnissen fallen zehn auf einige problematische Abschnitte der Lichtkurve. Ein Beispiel ist der Zeitraum 48400 bis 48600 (Abb.6): die gut belegten 10-Tages-Mittel zeigen ein deutliches kleines Maximum bei 48492 und ein ebenfalls gut ausgeprägtes Minimum bei 48505. Die BAV-Ergebnisse ergeben dagegen folgende Abfolge:
Phase JD Beobachter Max 48439,0 HH (48436), DM (48442) Min 48495,7 HH (48491), SM (48494), DM (48502) Max 48537,7 SM (48533), DM (48540), HH (48540) Min 48574,0 SM (48572), HH (48574), DM (48576)
Die beiden Beispiele verdeutlichen, daß eine Epochenzählung auch bei gut abgedecktem Lichtwechsel und bei Parallelbeobachtungen von BAV-Beobachtern zu Zweifelsfällen führt, mithin willkürlich wird. Der Bestimmung von Lichtwechselperioden auf dieser Grundlage haftet also eine nicht auszuschließende Unsicherheit an.
Zu was sind dann eigentlich die BAV-Ergebnisse für Halbregelmäßige wie AF Cyg noch gut? Man findet sie weder in Fachaufsätzen (dort werden Periodensuchprogramme verwendet) noch in eigenen Veröffentlichungen der BAV zitiert. Versucht man sich an einer Auswertung, fühlt man sich zwar in der Pflicht, dieses Material zu nutzen, kann aber wenig damit anfangen (ganz klar muß hier allerdings das Verfahren für andere Veränderliche verteidigt werden, wie zum Beispiel den RV-Tau-Sternen, die in der BAV-Terminologie ebenfalls zu den Halbregelmäßigen gerechnet werden: nur um SR-Sterne geht es hier!)
Als Konsequenz für die BAV-Beobachter möchte ich daraus den Schluß ziehen, daß die Beobachtungstätigkeit für Halbregelmäßige Sterne auf das Sammeln langjähriger Reihen von Einzelbeobachtungen verlegt wird. Es hatte schon vorher wenig Sinn, einen Halbregelmäßigen für 100 Tage zu beobachten, ein Ergebnis abzuleiten und den Stern zu vergessen. Was von der AAVSO zum Thema Halbregelmäßige gesagt wurde, zählt noch immer: wichtig sind nicht zwanzig sporadische Beobachter, sondern vier, fünf Beobachter, die einen Stern über Jahre und Jahrzehnte verfolgen. Das macht das Beobachtungsmaterial homogen und geeignet für rechnerische Auswertungsverfahren.
Weiter ist daraus die Anforderung abzuleiten, die Energie, die bisher in das Erstellen eines Lichtkurvenblatts investiert wurde, mindestens auch für die Verfügbarmachung der Einzelbeobachtungen aufzubringen: noch nicht alle BAV'ler, die Lichtkurvenblätter erstellen, nehmen an der Sammlung der Einzelbeobachtungen teil, das sollte sich ändern. Vielleicht ziehen die Beobachter die gleiche Motivation aus Aufsätzen, die die Beobachter der Einzelschätzungen dankbar erwähnen, wie aus der jährlichen Zusammenstellung der abgeleiteten Minima und Maxima.
Vielleicht ist auch die BAV gefordert, ein geeignetes Verfahren für das Sammeln, Prüfen und Weiterleiten von Einzelschätzungen zu entwickeln, Ansätze gibt es seit Jahren. Zur BAV gehört wohl jeder Leser, jeder sollte sich also angespochen fühlen. Wer sich wie ich hier engagieren möchte oder Ideen hat, soll bitte Kontakt mit mir aufnehmen.
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